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Zweites Blatt. "MM Thmndt, Nossen, Jiebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für die König!. Amtshauvtmcmnschast zu Meißen, das König!. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. 44. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich I Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg- — Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. 1884. »tr. S8 Freilag, den 5. DecemLer Etwas über Kindererzichung. In unserer Zeit mehren sich die Klagen über die Heranwachsende Jugend in bedenklicher Weise. Es sind nicht bloß die uralten Klagen über den Leichtsinn, die Genußsucht, den Hang nach Vergnügungen und dergleichen, nein es erheben sich Klagen, die früher selten gehört wurden. Ueber eine Gleichgültigkeit in Sachen der Religion und des Glaubens, ja über einen Widerspruch gegen alles Heilige und Himm lische, Ewige und Göttliche klagt man, wie solche Gleichgültigkeit und Widerspruch bis vor noch zwanzig Jahren unerhört und noch nicht dagewesen ist. Diese Klagen sind bedenklich. Denn abgesehen von dem, was jeder Einzelne in Bezug auf sein Jugendleben mit seinem Gewissen abzumachcn Hat, lehrt uns doch die Weltgeschichte, daß Völker, bei denen die Religion im Niedergang begriffen mar, ihrer sittlichen und nationalen Auflösung entgegengingen. Es ist mit den Völkern wie mit einem Baum. Ist die Wurzel krank, so geht der Baum ein. Die Wurzel eines Volkes aber ist die Religion. Geht die Religion rückwärts, so geht nach und nach das ganze Volk zu Grunde. Soll unser Volk, unser so reichgesegnetes deutsches Volk vor dem Rückgang und Verderben bewahrt bleiben, dann muß ihm die Religion erhalten bleiben und da muß vor Allein mit der Jugend angefangen werden, denn auf der Jugend ruht die Zukunft des Volkes. Die Jugend aber läßt sich, was die Religion betrifft, am besten und am ehesten von Vater und Mutter leiten. Diese stehen der Jugend am nächsten. Darum ist es heilige Pflicht aller Eltern, dafür zu sorgen, daß ihre Kinder, nicht bloß die kleinen und schulpflichtigen, sondern auch die der Schule entwachsenen, einen religiösen Wandel führen. Bei dieser Sorge muß aber das Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein, die Kinder vor schlechtem verführerischen Umgang zu bewahren. Denn böse Ge sellschaft verdirbt gute Sitten. Tausende und abertausende junge Leute würden auf gutem Wege geblieben sein, wenn sie durch ihre Eltern vor schlechtem Umgang treulich gewaret worden wären. Mammäa, die Mutter des römische» Kaisers Alexander Severus, verstattete kei nem jungen Menschen, der nicht eine gute Erziehung genossen hatte, den Umgang mit ihrem Sohne, indem sie zu sagen pflegte: Die Feinde in einer Schlacht mögen überwunden werden; die Lasten aber dauern die ganze Zeit unsers Lebens. Wenn eine Heidin solche Erziehungs- Weisheit in sich trug, wieviel mehr sollten Christen von solcher und noch viel höherer Weisheit durchdrungen sein. Möchten doch alle christliche Eltern darüber wachen, daß der in ihre Kinder eingestreute gute Same nicht durch schlechte Gesellschaft wieder zertreten werde. Die Verantwortung für die Kinder ist doch eine gewaltige. Im stillen Kafen. Erzählung von Ludwig Habicht. Verfasser der Romane: „Auf der Grenze." „Der Stadtschreiber." rc. (Nachdruck verboten.) Im nordöstlichen Winkel Böhmens, der von Schlesien und Sachsen begrenzt wird, liegt, von Bergen eingeschlossen, ein kleines Dorf. Die Bewohner sind nicht reich, aber gutmüthig und leichtlebig, so daß der dort ansässige Schenkwirth, ein ehemaliger Seemann, trotz der Klein heit des Dorfes seine Nahrung fand. Freilich war er nicht auf die Leute seines Dorfes allein angewiesen, die Bewohner der ganzen Um gebung kehrten gern bei dem alten Friedel ein und auch mancher Reisende, von der romantischen Lage des Ortes gefesselt, blieb länger im „stillen Hafen" — so hieß die Schenke — als er Anfangs beab sichtigt hatte. Der eifrige Wirth allein hätte es trotzdem nicht ver mocht, sein Haus zum Mittelpunkt so vielen Verkehrs zu machen, und wenn er noch so ängstlich für die besten Speisen und Getränke gesorgt hätte, aber es gab da noch andere Anziehungspunkte, welche in den stillen Hafen lockten. Zwei junge Mädchen beherbergte die Dorffchenke und man stritt sich stets lebhaft darum, welche von den Beiden die Schönste sei? Marie, die Tochter des alten Friedel, war eine echte Blondine. Ihre Formen hatten etwas so Graziöses, daß selbst diese einfachen Dörfler für sie voll Bewunderung waren, und sie überall Aufsehen erregte, wo sie erschien. Freilich hatten nicht viele Gäste das Glück, sie zu sehen; Marie hielt sich nach Möglichkeit zurück und man hielt sie deshalb allgemein für sehr stolz. Das junge Mädchen hatte auch in seinem ganzen Wesen und Auftreten etwas so Apartes, als ob es wirklich eine vornehme Dame sei, und obwohl Marie einen ungebühr lichen Stolz zeigte, verzieh mau doch ihrer ungewöhnlichen Schönheit alles, und die jungen Leute waren glücklich, wenn sie einmal zufällig das prächtige Mädchen zn sehen bekamen. Wie viele zechten im „stillen Hafen" jeden Abend in der Hoffnung, doch einmal Mariens ansichtig zu werden, die dann aus dem Gastzimmer eben fo rasch wieder ver schwand, wie sie gekommen war. Die eigentliche Leitung der Schenkwirthschaft ruhte auf den kräf tigen Schultern Margarethens, der Nichte des alten Friedel, und weil sie früh und spät im Hause beschäftigt war, hieß sie allgemein die Martha und wurde auch von den Gästen so genannt. Selbst der Oheim hatte sich zuletzt an den Namen gewöhnt und rief sie damit, so daß Margarethe ihren eigentlichen Taufnamen bei nahe selbst vergessen hatte. Martha war derber, voller, sie konnte neben ihrer Cousine für keine eigentliche Schönheit gelten, aber die blühenden Lippen, das freundliche Lächeln auf dem runden Antlitz und die blitzenden Augen, das waren alles Vorzüge, die bei den Gästen viel Anklang fanden, und es gab Leute genug, die Martha viel hübscher, wenigstens ange nehmer fanden als Marie. Jedenfalls wäre das Schenkgeschäft des alten Friedel ohne die Nichte wohl schwerlich zu dieser Blüthe gekom men. Sie war in Haus und Hof rastlos thätig, hatte für alle Gäste ein freundliches Lächeln und ihre sorglose Heiterkeit gefiel Jedem, der einmal in dem „stillen Hafen" einkehrte. Martha war deshalb für den Oheim um so unentbehrlicher, als sich derselbe nicht viel um die Schenkwirthschaft kümmern konnte, da er noch ein ziemlich ausgedehntes Stück Land besaß, dessen Bebauung feine Zeit völlig in Anspruch nahm. Wie eifrig auch der alte Friedel auf Erwerb bedacht war und Jeder bei ihm sich tüchtig rühren mußte, hatte er doch seiner Tochter allein völlige Freiheit gelassen. Sie durfte sich mit weiblichen Ar beiten beschäftigen, auch wohl zu ihrem Vergnügen etwas Musik treiben und Bücher lesen, aber sie brauchte nirgends mit ernstlich Hand anzu legen und zur Bedienung der Gäste wurde sie niemals herangezogen. Vielleicht sah es der Alte gar nicht ungern, daß sich seine Marie so vornehm zurückhielt und jeder vertraulichen Berührung mit den Be suchern des „stillen Hafen" sorgfältig auswich. Er hatte es ja schon etwas vorwärts gebracht und seine Tochter deshalb nicht nöthig, sich durch Bedienung der Gäste etwaigen Zudringlichkeiten auszusetzen. Seit einigen Tagen ließ sich Marie, seltsam genug, weit öfter- im Schenkzimmer fehen; die Dörfler hatten freilich bald die Ursache entdeckt, warum die stolze Schöne plötzlich ihre ängstliche Zurückhal tung aufgab. Ein junger Mann hatte sich in diese Gegend verirrt und schweifte in der Umgegend umher, um Studien zu machen. Anfangs erregte sein Erscheinen keine geringe Verwunderung, aber endlich gewöhnte man sich an die Anwesenheit des jungen, lebenslustigen Künstlers, der durch seine Heiterkeit und sein liebenswürdiges, freundliches Wesen rasch sich Aller Herzen gewann. Er fand sich jeden Tag im „stillen Hafen" ein, um dort seinen Schoppen zn trinken, und merkwürdig genug, so oft der Maler erschien, war auch Marie im Schenkzimmer anwesend, ja, sie ließ sich sogar herab, ihn eigenhändig zu bedienen. Der junge Künstler hatte anfangs nur wenige Tage bleiben ge wollt, jetzt erklärte er, daß er sich freue, diesen romantischen Winkel entdeckt zu haben, der ihm die Stoffe zu einer Menge Bilder liefern werde, und daß er deshalb seinen Aufenthalt auf unbestimmte Zeit verlängern müsse. Es war freilich eigenthümlich, daß der junge Land- schaftsmaler feine Studien in der Umgegend immer mehr einschränkte und die größte Zeit des Tages im „stillen Hafen" zubrachte, als finde er dort in der räucherigen Schenkstube die Entwürfe zu den präch tigsten Landschaftsbildern. Die guten Dörfler merkten bald, daß den jungen Künstler weniger die schöne Landschaft, als das schöne Töchterlein des alten Friedel so lange fesselte, und es entging ihnen ebenfalls nicht, daß Marie die aufmerksame Wirthin spielte, sobald der Maler in der Schankstube erschien. Das Benehmen des stolzen Mädchens war zu auffällig, um nicht von den übrigen Gästen bemerkt zu werden. Es fanden sich wohl einige junge Burschen, die darüber sich är gerten, daß die hübsche Wirthstochter ihr mehr oder weniger verstecktes Werben ganz unbeachtet gelassen habe und dem Maler den Vorzug gab, aber im Allgemeinen fand man ihre Herzenswahl begreiflich. Marie hatte immer etwas Besonderes gehabt, — kein Wunder, daß der junge Maler ihr lebhaftes Interesse erregte und bald ihr Herz ganz gefangen nahm. Er hatte fo feine Manieren, wußte so viel von der großen Welt zu erzählen, und je stiller, in sich gekehrter sie sich von je gehalten, je mehr wurde sie von seinem fröhlichen, glücklichen Temperament bezaubert. Im ganzen Dorf gab es Niemand, der nicht von der erwachenden Herzensneigung der Beiden erfahren hätte, denn in ihrer jugendlichen Harmlosigkeit machten die Liebenden von ihren gegenseitigen Gefühlen kein Hehl, nur dem alten Friedel blieb es lange unbekannt, daß sich plötzlich in seinem „stillen Hafen" ein Liebesroman abzuspielen begann, der leicht die heftigsten Stürme bringen konnte. Endlich mußte doch ein unglücklicher Liebhaber dem Alten zuae- flüstert haben, daß Marie bereits mit dem fremden Maler ins Gerede gekommen fei, denn zur Verwunderung der beiden Liebenden kam er jetzt öfter in die Schenkstube und beobachtete mit finstern Blicken das Treiben des jungen Paares. Wohl suchten sich dann die jungen Leute etwas in ihren Schranken zu halten und die Gefühle zu verbergen, die sie beseelten; aber sie mochten in ihrer glücklichen Sorglosigkeit ihr Empfinden nicht tief ge nug verschleiert haben, denn der Alte nahm schon nach kurzer Zeit Marie ins Gebet, sprach sich sehr tadelnd darüber aus, daß sie sich