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Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Ticbmlch» und die Nmgcgcudr». Umlsölatl für das Königliche GeriäKamt Wilsdruff und den Dtadtrath daselbst. I87V. Dienstag den 1. Uovemder Was müssen wir wollen? Die wenigen zur Zeit der deutschen Befreiungskriege erscheinen den Zeitungen brachten im Gegensätze zu denen der Jetztzeit noch keine Leitartikel. Aber es tauchte bereits das Bedürfniß darnach auf und der wohlbekannte Geschichtsschreiber Heinrich Luden, Professor in Jena begründete damals zu diesem Behufe unter dem Titel „Ne mesis" eine „Zeitschrift für Politik und Geschichte." In deren 2. Bande (crscb. Weimar 1814) befindet sich denn nun auch ein Artikel mit der Ueberschrift „Was müssen wir wollen?" und es wird darin vor Wem „Sicherheit für Deutschland" verlangt. Diese aber „beruhe einzig und allein in der Geineinkraft aller Deutschen und in der Gewißheit, daß Einer für Alle und Alle für Einen stehen." Wollen wir — schreibt Luden — yinsüro in ehrenwerther, achtbarer, kräftiger Selbstständigkeit leben, ungeneckt, unbeleidigt, ungeschlagen von Fremden und Feinden, gewiß unserer Selbst, fest, frei und treu, und wollen wir auf solche Weise, durch welche es allein möglich ist, eine eigenthttmliche VolkScultur, eine große und ächte menschliche Bildung in deutscher Eigenthümlichkeit möglich machen und sichern: so müßen wir die Kraft mit der Kraft verbinden und vereinigen zu einer heiligen Macht; so müssen alle Deutsche gegen das Aus land wie ein Mann stehens so müssen alle Scheidewände fallen, welche dm Deutschen vom Deutschen dergestalt trennen, daß der Eine von Feinden überfallen und bewältigt werden kann, ohne daß der Andere ihm hilft; so muß cs unmöglich gemacht werden, daß Deutsche, ohne sich selbst als Treulose, als Verräther und Meineidige vor Welt und Nachwelt darzustellen, jemals gegen Deutsche mit Frem de» verbunden sein können; es muß unmöglich gemacht werden, daß ein Deutscher das Schwert erheben kann gegen den Deutschen, das Heißt gegen einen Theil seines Volkes und mithin gegen sich selbst. Pier daher die bürgerliche Trennung in solchem Sinne erhalten will, wer da, will, daß die deutschen Staaten in solcher Unabhängigkeit fortbestehen, daß sie sich unter einander eben so fremd bleiben, als sie den Staaten fremder Völker sind oder sein sollen: Der ist be fangen in dem unglückseligsten Jrrthume, oder er ist ein Verräther an seinem Volke und an der Menschheit, er mag Fürst sein oder Nath, Geistlicher oder Laie. — Alle unsere Anstrengung ist umsonst gewesen; umsonst und eitel ist unsere Hoffnung; und unsere Freü- densbezeug»ngen werden unsern Feinden zum Hohngelächtcr die nen und bon unsern Enkeln verflucht werden in dem Unglücke, wel ches wir über sie bringen, wenn wir nicht diesen großen Augenblick benützen, um ein neues und starkes Band um alle Deutsche zu schlingen, sie mit demselben an das gemeine Vaterland zu knüpfen und hierdurch eine allgemeine Freiheit und ein großes, edles deut sches Gememleben möglich zu machen!" Aber auch in dieser Hinsicht wurden damals alle Hoffnungen getäuscht. Dem Aufschwünge und der Begeisterung folgte die übliche Abspannung, und diese — benutzte der böse Feind .... Aberma lige Aufforderung für uns, das diesmalige Blut und Eisen nicht erkalten zu lassen. Uebrigens gab es auch damals schon Politiker, welche über dem Wie? die Sache vergaßen. Einige wollten den Norden mit Preußen, den Süden mit Oestreich an der Spitze (die sogen. Mainlinie); An dere wollten neben Oestreich und Preußen die andern deutschen Staa ten zu einem Ganzen verbinden (die von Beust aufgcwärmte Trias- Idee), noch Andere endlich ein Deutschland mit einem Kaiser an der Spitze. Warum schließlich keines von den Dreien, sondern ein kraftloser Bundestag entstand, mag ebenfalls in der Geschichte nach gelesen werden. Dem vor kurzer Zeit von Paris her (Jules Favre) wehenden Friedcnslüftchen gegenüber wollen wir endlich noch auf eine Aeußer- ung Hinweisen, die Luden in einem andern Artikel der ciürtcn Zeit schrift niacht. Er bespricht darin den Frieden von 1814 und meint: „es möge keiner im deutschen Volke den Wahn hegen, als seien wir jetzt vor den Franzosen sicher, vielmehr möge jeder Deutsche im häus lichen wie im öffentlichen Leben an die großen Lehren sich erinnern öl welche einst (siehe d. griech. Gesch.) Demosthenes alle Weisheit gegen Maccdonicn zusammenfassen zu können glaubte und welche uns durch die Geschichte unserer Verhältnisse zu den Franzosen auf's stärkste zugerufen würden. Die erste Lehre heißt: „Trauet ihnen nicht!" Die zweite Lehre heißt: „Trauet ihnen nicht!" Die dritte Lehre heißt gleichfalls: „Trauet ihnen nicht!" So trat Luden im Jahre 1814 auf. 6. 1. Tagesgeschichte. Aus den sächsischen Feldlazarethen vor Paris zu Claye, Vau- jour, Annet, Souilly, Penchärd und Mcanx, in denen 1500 kranke Sachsen weilen, ergeht an die Redaclionen der heimathlichen Zei tungen und Localblätter die dringende Bitte, die seit Anfang October - fast gänzlich eingestellte Zusendung von Nummern wieder beginnen zu wollen. Je mehr Vie rauhere Jahreszeit die Rcconvalcscentcn und Leichtkranken auf das Zimmer beschränkt, desto lebendiger wird das Verlangen nach Lectüre. Der Unterzeichnete erbietet sich zur Entgegennahme derartiger Blätter und wird, wie bisher, für zweck mäßige Vertheilung derselben besorgt sein, auch seiner Zeit darüber öffentliche Rechenschaft ablegcn. Claye, am 21. October 1870. Di- visionspred. Schelle. (Hierzu erlauben wir uns zu bemerken, daß auch wir zu ver schiedenen Malen kleinere Parthien von unserm Wochenblatte in die sächsischen Lazarethe nach Frankreich spedirt haben, ebenso auch 25 Stück der von Herrn L. Seifert in Limbach am heurigen Erntefest gehaltenen und zum Besten der Angehörigen der einberufencn Reser visten und Landwehrmünncr in Druck gegebenen Predigt hinaus- gcsandt, welche uns Herr ?. Seifert uncntgcldlich überlassen. Wir werden auch von unserer heutigen Nr. und den folgenden mehrere Exemplare fortschicken. Sehr gefreut wü' dc eS »ns haben, wenn wir dann und wann einen hierher gelangten der Veröffentlichung wertsten Feldpostbrief zum Abdruck bekommen hätten, der dann draußen in Frankreich von unsern kranken Landeskindern (gewiß mit Interesse) wieder gelesen worden wäre. Wir bitten noch darum. Die Red.) Dem Vernehmen nach ist zur Unterbringung von noch 2500 französischen Gefangenen, welche nach Dresden kommen, die Errichtung eines vierten großen Carros in Kaditzer Flur, an die bereits bei Uebigau bestehende» sich anschließend, angeordnet worden, mit dessen Ausführung in allernächster Zeit begonnen werden soll. Der Reichstag tritt höchst wahrscheinlich in der zweiten Hülste des November zusammen. .Diese eilige Berufung entspringt, wie die „Corresfi. St." hört, nicht blos dem Wunsche des Bundespräsidiums, sich in finanzieller Beziehung für die Fortführung des Krieges, evcnt. für die Occupation bei Zeiten rüsten zu können, sondern auch und mehr noch dem Wunsche, die in Versailles getroffenen Vereinbarungen mit den süddeutschen Staaten möglichst rasch einem definitiven Re sultate entgegen zu führen. Bayern dürfte sich sehr bald der raschen Gangart Württembergs, Badens und Hessens »»schließen. Die „Vossische Zeitung" beschäftigt sich mit der inneren Ein richtung des neuen deutschen Bundes. Sie sagt, die Verwaltung müßte man den Einzelstaaten lassen, und fordert gleichzeitig Grund rechte und eine möglichst freie Entwickelung. „Ein gesundes ReichS- parlamettt, ein Reichsgericht und verantwortliche Minister sind selbst- veOändlich." Eine ofsiciöse Berliner Correspondenz der „Kölnischen Zeitung" meldet: Einem Wunsche des Königs von Preußen entsprechend, werdön dessen Alliirte (?) in den nächsten Tagen nach Versailles sich begeben. Es ist ein eigcnthümliches Zusammentreffen, daß die Capitu- lation von Metz an demselben Tage erfolgte, an dem im Jahre 1800 Napoleon I. seinen Einzug in Berlin hielt. Die Zahl der durch die Capitulation von Metz gewordenen Ge fangenen beläuft sich nencrcn Nachrichten aus 173,000 Mann, 3 Mar schälle und über 6000 Offiziere. Das sind weit mehr Kriegsgesanqne, als bei dem Siege von Sedan, und ohne alle Ucbertreibung können wir sagen, daß einen Erfolg in solchem Umfange die Weltgeschichte noch nicht anszuwcisen hat. Die vorzücslichcn tactischcn Operationen des preußischen Generalstabes, die Tapferkeit und Beharrlichkeit der deutschen Truppen, welche diese ungeheure Feindesmassc so eng cer-