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Wochenblatt - für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 4. Freitag den 13. Januar 1871. Neueste Nachrichten. Berlin, II. Januar. Die soeben erschienene offizielle „Pro- binzial-Corrcspondenz" meldet: Die Reichstags-Wahlen können zeilig- stens erst Mitte Februar stattfinden. — Aus dein Corps des Ge neral Werder und des von General Zastrow und andern bedeuten den Truppenabtheilungen ist eine große Ostarmee gebildet worden, die unter ein eigenes Obercommando gestellt ward, dessen Operationen inan mit dem größten Vertrauen entgegen sehen darf. Das Schick sal von Paris wird in nicht langer Zeit zur Entscheidung gelangen. Berlin, II. Januar. Offizielle militärische Nachrichten melden: I. Versailles, 10. Januar. Der Königin Augusta in Berlin. Gestern hatte General von Werder südlich von Vesoul bei Vallerois ein glückliches Gefecht gegen Truppen des General Bourbaki, und Mächte 800 Gefangene. Desgleichen vor Belfort stürmten einige Ba taillone das Dorf Danjoutin und machten 700 Gefangene. Hier Mieder Nehel und Schneefall, daher schwaches Feuer. Wrlhelm. 2. Versailles, 10. Januar. Am 8. Januar Nachmittags schlug Oberst von Dannenberg bei Montbard einen Angriff Garibaldinischer Freischäaren zurück. Am 9. Januar stieß General von Werder bei seinem Bormarsche auf Villersexel auf die Flanke des 20. französi schen Corps, nahm den Ort, wobei 2 Stabsoffiziere, 14 Offiziere und über 500 Mann, nebst 2 Adlern in unsere Hände fielen. Alle Angriffe des hierauf in bedeutender Stärke sich entwickelnden Feindes, bei dem auch das 18. Corps eingriff, wurden mit diesseitigem ge ringen Verluste in der Linie Villersexel-Moimay und Murat abge- wiescit. Die Truppen des Generals Chanzh wichen am 9. auf allen Punkten vor unseren vordringenden Cvlonnen auf le Mans zurück. Der Abschnitt von Ardenay wurde von unseren Teten überschritten. Neber 1000 Gefangene sind constalirt, welche bis jetzt in unsere Hände gefallen sind, von Podbielski. Versailles, 11. Januar. (Offiziell.) Die gegen General Chanzh vperirenden Colonnen drangen am 10. unter fortwährenden siegreichen Gefechten mit ihren Teten bis auf 1 Meile an Le Mans heran. 1 Geschütz, 3 Mitraillcusen und über 2000 unverwundete Gefangene fielen in unsere Hände. Diesseitiger Verlust nicht sehr bedeutend. Der Verlust des Generals von Werder im Gefechte von Villersexel betrug 13 Offiziere und etwa 200 Mann, von Podbielski. — Im Lause des 10. Januar wurde die Beschießung der ver schiedenen Fronten von Paris fortgesetzt. Der Feind antwortete mäßig. Diesseitiger Verlust 17 Mann. AmienS, 10. Januar. Pcronne hat capitulirt. Die Be satzung von über 3000 Mann ist kriegsgefangen, v. Göben. Tagesgeschichte. Dresden. Während der letzten Woche sind ununterbrochen Truppen nach dem Kriegsschauplätze befördert worden, sowohlprcu- ßische wie sächsische. In der Regel gingen täglich zwei bis drei Exlrazüge ab. Mit dem 9. Januar haben jedoch diese Massen transporte aufgehört. Jedenfalls sind unsere Streitkräfte in Frank reich jetzt derart verstärkt, daß sie mit wuchtigen Schlägen die Ar meen der Republik ebenso zertrümmern können, wie im August und September v. I. die Armeen des Kaiserreichs, Im Dresdner Garnison-Lazarethe befinden sich, wie die „Dr. N," berichten, bis zu ihrer Verabschiedung zwei sächsische Soldaten, deren Schicksal der allgemeinen Theilnahme sicher sein kann. Der eine ist der Soldat Heinrich Ed. Schuster, welcher durch einen Granat splitter ziemlich um beide Augen gekommen ist. Dieser Splitter zer störte ihm, von der Seite einschlagend, das linke Auge, zertrümmerte die Nasenwand und beschädigte auch das rechte Auge in einer Weise, daß man bis vor Kurzem glaubte, seine Sehkraft sei ebenfalls gänz lich verloren. Vor einiger Zeit jedoch hat sich ein schwacher Licht schimmer eingestellt und dieAcrzte geben die Hoffnung nicht auf, daß der Unglückliche wenigstens nicht ganz geblendet durch das Erden- leben gehen werde. Keinesfalls aber wird der schwache Lichtstrahl genügen, daß Schuster, welcher als junger Soldat ins Feld zpg, je mals sich seiner Schneiderprvfession hingeben kann. Ein anderer Unglücklicher ist ein Soldat, der durch seine Erlebnisse in der Schlacht bei St. Privat um die Sprache gekommen ist. Man brachte ihn nicht verwundet, aber ganz schwach in das Lazarcth, in welchem er durch gute Pflege allmählich wieder erstarkt. Es zeigte sich aber, daß die Eindrücke des Kampfes so auf seine Nerven und Sinne gewirkt haben, daß er die Sprache vollständig verloren hat. Jin Bautzener Lazareth befindet sich ein anderer Leidensgenosse, welcher durch einen Granat splitter in der Nähe des Schlafs, man möchte sagen, kindisch ge worden ist. Der Splitter hatte einen Theil des Gchirnschädels zer trümmert, einen größeren Theil eingedrückt. Infolge dessen hat der Aermste das geistige Bewußtsein verloren. Nachdem die Lcibesgefahr beseitigt ist, sitzt er jetzt Tage lang, blöde vor sich hinstarrend da und spielt mit den Fingern, als stricke er. Neuerlich sollen sich aber auch bei ihm Symptome gezeigt haben, die ein allmähliches Sich- wiederfinden des menschlichen Geistes als möglich erscheinen lassen. Das „Leipz. Tagbl." schreibt: In einem Briese eines kriegsge fangenen sächsischen Soldaten aus Paris, datirk vom 28. December, welcher mit anderen Briefen durch Parlamentär an die deutschen Vorposten abgegeben worden, heißt es unter Anderin: „Ich befinde mich ganz wohl, lebe von Neis, Brod, Syrup, Schnaps und Pferde fleisch. Wir hungern also noch nicht, frieren aber desto mehr; eS ist jetzt furchtbar kalt. Wenn ich lesen will,, sehe ich mich auf mein Bett, decke mich mit zwei Decken zu und ziehe Mäntel und Hand schuhe an. Ueber hiesige Zustände habe ich kein Unheil; nach dem, wie wir verpflegt werden, scheint an den nothwendigstcn Lebensmitteln noch lein Mangel zu sein! Mit welchen Mühseligkeiten deutsche Soldaten im Felde zu kämpfen haben, ergiebl sich u. A. aus einem Feldpostbrief ä. ä. vor Paris, 25. December, den die „D. A. Z." mittheilt: Nachdem in demselben von der Weihnachtsfeier des süchs. Jäger-Regiments die Rede gewesen, heißt es weiter: — „Da traten auf einmal mitten in die Freude drei Preuß. Landwehroffiziere, von denen der jüngste, weil die beiden älteren ihrer Sprache nicht mehr mächtig waren, in herzzerreißenden Worten unserem Major erzählte, daß sie mit einem Transporte preußischer Gardelandwehr, 600 Mann stark, nur Männer von 38—40 Jahren, hier eingetroffen seien und Quartiere haben müßten. Diese Leute waren, acht Tage vor Weih nachten von ihren Weibern und Kindern geschieden. Seit acht Tagen hatten sie bei dieser furchtbaren Kälte Tag und Nacht den Dampf- wagen fast nicht verlassen, und als sie in Lagny ausgcladen wurden, fehlte es dort an Quartieren. Diese armen alten Jungen hatten auch noch sehr starken Hunger dazu. Gestern Abend um 8 Uhr kamen sic nun hier an, und nachdem ihre Führer auch hier von einem Hause zum andern, so recht von Pontius zu Pilatus geschickt worden und sie schon mehre Stunden aus dem zugigen Markte zugebracht, die von Berlin aus noch kein Feuer gesehen hatten, kamen sie zu uns. Bei den beweglichen Worten des Offiziers hätten wir weinen mögen — ihnen mußte geholfen werden, aber wie? Wo früher nur eine Com pagnie gelegen halte, lag jetzt ein Bataillon, trotzdem aber sagten wir, cs sollen nur so viel Mann in jedes HauS von uns gehen, als schon Schützen darin lägen, so daß jeder seinen Galt habe. Eine halbe Stunde darauf saß Jeder der 600 Mann an seinem warmen Kamin, aß seinen Kartoffelsalat und trank seinen Grogg, lag auf dem Stroh und rauchte sein Pfeifchen. Heute nahmen sie rührenden Abschied." Der Staatsanzeiger meldet: „Die Zahl von 3577 Offizieren, 113,700 Mann — sämmtlich unvcrwundet — und etwa 2100 Ge schützen, sowie 56 Adler, welche bis zum Schluffe des Monats Sep tember in die Hände deS deutschen Heeres gesallcn sind, hat sich im Laufe der Monate Octobcr und November auf 10,067 Offiziere, 303,842 Mann unverwundeter Kriegsgefangenen, auf etwa 4130 Ge- fchütze, unter denen 170 Mitraillcusen und auf 112 Adler erhöht. — (Die Zahl der Gefangenen soll jetzt 340,000 betragen.) Die Pariser haben den Deutschen mancherlei zugetraut, nur nicht dieses Feuer. Die Geschütze dreier Pariser Forts schweige». Das ist die beredteste Thatsache. Der Pariser kann Alles eher als schweigen; wenn er schweigt, dann hat etwas furchtbaren Eindruck auf ihn gemacht. Die Artilleristen des Forts Rosny gestanden am ersten Tage des Bombardements, dieses Feuer sei gewaltiger als das bei Sebastopol, die deutschen Bomben hätten alles durchschlagen und