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Das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft und des Finanzamtes zu Kamenz des Stadtrates zu Pulsnitz und des Gemcinderates zu Ohorn behördlicherseits bestimmte Blatt Nr. 106 Donnerstag, den 7. Mai 1936 88. Jahrgang und Zwangsvergleich wird der für Aufträge etwa schon bewilligte Nachlaß hinfällig. Anzeigen sind an den Erscheinungstagen bis vormittags 10 Uhr aufzugeben. — Verlag: Mohr 8- Hoffmann. Druck: Karl Hoffmann und G. L. Förster's Erben. Verantwortlich für Oertliches u. Sächsisches, Unterhaltüngsteil, Sport u. Anzeigenteil Walter Hoffmann, Pulsnitz, für Politik und den übrigen Teil Walter Mohr, Pulsnitz. D. A. IV.: 2250. Geschäftsstellen: Albertstr. 2 u. Adolf-Hitler-Str. 4. Fernruf 518 u. 550. Diese Zeitung erscheint täglich mit Ausnahme der, gesetzlichen Sonn, und Feiertage. Der Bezugspreis beträgt bei Abholung wöchentlich 45 gips., bei Lieferung frei Haus V0 Rp,. Postbezug monatlich 2.30 RM. Im Falle höherer Gewalt oder sonstiger Betriebsstörungen hat der Bezieher keinen Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Rückzahlung deS Bezugspreises. - Anzeigenpreise und Nachlaßsätze bet Wieder- Holungen nach Preisliste Nr. 8 (in unseren Geschäftsstellen erhältlich). Bei Konkurs Unterhaus-Erklärung Edens „Der Völkerbund mutz fortbestehen" Pulsnitzer Anzeiger Ohorner Anzeiger Haupt- und Tageszeitung für die Stadt und den Amtsgerichtsbezirk Pulsnitz und die Gemeinde Ohorn London, 7. Mai. Außenminister Eden erklärte in seiner Siede im Unter haus, man müsse zugeben, daß der Völkerbund geschci tert sei. Mau müsse zugebcn, daß England enttäuscht sei Obwohl die Struktur des Völkerbundes und die kollek tivc Sicherheit einen schweren Schlag erhalten hätten dürfe man sich nicht scheuen, die Lehre aus diesen Er fahrungen zu ziehen. Man müsse der Welt sagen, was für einen Kurs Großbritannien für die Zukunft Vor schläge. Es sei klar, daß der Völkerbund sortbestehen müsse. In der heutigen Welt sei der Völkerbund für die Organisierung der internationalen Angelegenheiten nichi zu entbehren. Ebenso klar sei aber auch, daß die Lage überprüft werden müsse und daß diese Ueberprüfung nach Ansicht der britischen Regierung durch den Völker bund erfolgen müsse. Jede Negierung müsse heute Rückschau halten und über ihr künftiges Vorgehen entscheiden. Zur gegebenen Zeit werde die britische Negierung vollkommen bereit fein, ihre Ansichten darzulegen. England beabsichtige, sofort in eine Erwägung der zur Behandlung stehenden Probleme einzutreten, und zu diesem Zwecke werde sic sich mit den Dominions ins Benehmen setzen. Auf Deutschland über gehend sprach Eden die Hoffnung aus, daß es möglich fein werde, den britischen Fragebogen am Donnerstag in Berlin zu übergeben. Auf die Frage Lloyd Georges, ob es richtig fei, daß es sich nicht um kollektive Fragen handele, sondern ledig lich um Fragen der britischen Regierung an die deutsche Regierung, erklärte Eden, England wisse zwar, was für Punkte andere Regierungen interessierten, die Fragen feien jedoch von England auf eigene Verantwortung ge stellt worden. Sie seien niemanden unterbreitet worden, und er hoffe, daß sie morgen in Berlin überreicht werden würden. Bezüglich der von England auf der Ratstagung am Montag einzuschlagenden Politik erklärte Eden, er nehme an, daß das Unterhaus mit ihm darin übereinstimme, wenn er unter den gegenwärtigen Umständen um ein ge wisses Maß an Vertrauen für die Vertreter der Regierung bitte. Er halte cs nicht für unvernünftig, wenn die Ne gierung in dieser Angelegenheit um freie Hand ersuche. Zu Beginn der Sitzung hatte Ministerpräsident Bald win erklärt, daß er nicht in die Aussprache einzugreiien beabsichtige. Hieraus brachte der Haup:red-icr der oppo sitionellen Arbeiterpartei, Dr. Dalwu. einen Antrag aus Herabsetzung des Haushalts des Anßemnünfreriums ein, um die Möglichkeiten einer Abstimmung zu erhalten. Aufs schärfste kritisierte er sodann die Außenpolitik der Negie rung und bestritt die Richtigkeit der kürzlichen Aenßernng Edens, daß sich England im Abessinien-Konflikt keine Vorwürfe zu machen brauche. Lautes Gelächter auf den Minisierbänken rief die Aeußerung Daltons hervor, daß sich England nun auch den bitteren Haß der italienischen Nation zugezcgen habe, was England eines Tages vielleicht noch teuer zu sichen kommen werde. Wer könne bestreiten, daß die britische Oberherrschaft bedroht werde? Die Arbeiterpartei mache die Regierung für den Ausbruch des Krieges verantwort lich, denn sie hätte ihn verhindern können. Die englische Regierung habe auch ihre Verpflichtungen unter den Völ kerbundssatzungen und insbesondere unter Artikel 16 nicht ausgesührt, sie habe die Abessinier ermutigt, Wider stand zu leisten in dem Glauben, daß der Völkerbund helfen werde. England habe die Abessinier ihrem Schick sal überlassen und ihnen keinerlei Hilfe geleistet, sondern Mussolini in seinem Vernichtungsfeldzug noch unterstützt. Die englische Regierung habe den Völkerbund in Mißkredit gebracht und die Millionen der englischen Wäh ler verraten, von denen sie ihre Stimmen erhalten hätte, weil die Oeffentlichkeit geglaubt habe, daß England die Völkerbundspolilik unterstützen werde. Jeder Vorschlag für die Ausdehnung der Sühnemaßnahmen sei an dem Widerstand der „Hotelschlafzimmer-Diplomatie" geschei tert. Der Rat habe sich nicht mit der Teilfrage zu befassen, Was aus den besiegten Abessiniern und dem siegreichen Italien werden solle, sondern mit dem Völkerbundspro blem überhaupt. In diesem Stadium dürfe keine Rede davon sein, daß der Sieg Italiens durch eine Aufhebung der Sühnemaßnahmen anerkannt werde. Im Gegenteil spreche gerade jetzt sehr viel für eine Verschärfung dieser Sühnemaßnahmen durch die Verhängung der Oelsperre. Nach Dalton gab Eden die eingangs wiedergegebene Erklärung ab. Im übrigen betonte Eden noch, Dalton habe die Dinge in einer Weise geschildert, die mit der Wahrheit in keinerlei Beziehung stehe. Die Lage, der heute Großbritannien und alle anderen Mitgliedsstaaten des Völkerbundes gegenüberstünden, sei schwierig und ent täuschend. Man habe absichtlich mit den Sühncmaßnahmcn be gonnen, die ein begrenzter Völkerbund verhältnismäßig Wirksam gestalten könne. Die Schwäche dieser Maßnahmen habe darin bestanden, daß sie nicht sofort wirkten. DaS habe der Völkerbuild gewußt. Es habe nur eine Gühne- Maßnahme gegeben, die sofort wirksam gewesen wäre: Sperre des Suez-Kanals. Eine solche Maßnahme würd« aber eine militärische Aktion im Gefolge gehabt haben, die unvermeidlich zum Kriege geführt hätte. Wenn die Schließung des Suez-Kanals die einzig wirksame Sühnemaßnahme gewesen sei, wie unlogisch sei die Stellungnahme Daltons und seiner Partei, wenn diese sich gegen den Haushaltsantrag auf Vermehrung der Rüstungen wendet und den Haushalt als ein Kriegs budget ablehnte? Man könne den Kanal nicht mit papiernen Abstim mungen schließen. Er wünsche es klarzumachcn, daß di« britische Regierung im Verlaufe dieses Streits sich des- halb nicht für militärische Sühncmaßnahmcn eingesetzt habe, weil sie den Krieg verabscheue, und nicht, weil sic dessen Ausgang fürchte. Wan müsse zugeben, daß der Völkerbund ge scheit e r k sei. Alan müsse zugeben, daß England enttäuscht sei. Obwohl die Struktur des Völkerbundes und die kollek tive Sicherheit einen schweren Schlag erhalten hätten, dürfe man sich nicht scheuen, die Lehren aus diesen Erfahrungen zu ziehen. Man müsse der Welt sagen, was für einen Kurs Großbritannien für die Zukunft vorschlage, denn es gebe nichts gefährlicheres als eine Außenpolitik, die nicht auf der Wirklichkeit beruhe. Wie sehe die unmittelbare Zukunft aus? Ls sei klar, daß der Völkerbund fortbestehen müsse. In der heutigen Welt sei der Völkerbund für die Organisierung der internationalen Angelegenheiten nicht zu entbehren. Ebenso klar sei aber auch, daß die Lage überprüft werden müsse und daß die Ueberprüfung nach Ansicht der britischen Re gierung durch den Völkerbund erfolgen müsse. Eden wiederholte, daß die britische Regierung ihre Ver pflichtungen in jeder Hinsicht erfüllt habe, und daß die Sühne maßnahmen weder den Ausbruch des Krieges verhindert, noch ihn aufgehalten haben. Im Licht dieser Erkenntnis müsse die Ueberprüfung der Lage stattfinden. Die Welt und der Völkerbund ständen vor außerordentlich schwerwiegenden Fragen. Überreichung des Fragebogens ««gekündigt Eo«n wjanbte sich dann der Vage in Westeuropa zu. Er erinnerte an die Schluß»rrlautbarung der LocarnomLchte in Genf, deren Inhalt er noch einmal kurz zusammenfaßte. Er betonte, daß die britische Regierung großen Wert auf die Erforschung aller Möglichkeiten für eine Versöhnung zwischen den ehemaligen Locarnomächten lege. Daher werde sie mit der deutschen Regierung in Verbindung treten ,um ein« gewiss« Anzahl von Punkten der deutschen Denkschrift aufzuklären. Dalton habe um weitere Mitteilungen über diese Frag« gebeten. Er glaube jedoch nicht, daß das Haus dies wirklich wünsche. Er wünsche, daß diese Verhandlungen die besten ErsolgsNussichten hätten und er bitte daher das Unterhaus, zu erwägen, ob es im Interesse der Verhandlungen liegen wenn er sich über die FrMgen äußer«, die England vorzu» bringen beabsichtige, noch bevor sie überhaupt übergeben worden seien. Er teile die Fragen auch keiner anderen Re« gllerung mit, bevor sie di« deutsche Regierung erhalten habe. Auf die Frage Lloyd Georges, ob es richtig sei, daß es sich nicht um kollektive Fragen handele, sondern ledig lich um Fragen der britischen Regierung an die deut sche Regierung, erklärte Eden, England wisse zwar, was für Punkte andere Regierungen interessierten, die Fragen seien jedoch von England auf eig«M Verantwortung gestellt worden. Sie seien niemand unterbreitet worden, und er hoffe, daß sie Donnerstag in Berlin überreicht werden würden. Er wünsche zu betonen, daß das Ziel Ler britischen Re gierung dasselbe sei wie von Ansang an. Sie wünsche aus äner Zeit der Krisen, eine Zeit der Gelegenheiten zu machen. Die „einseitige Aufkündigung" Lorcarnos sei ein Schlag für die Sicherheitsstruktur Europas gewesen. Die Aufgabe bestehe nunmehr darin, wieder aufzu bauen. Er sei entschlossen, das Aeuherste zu tun, um die Fragen und Schwierigkeiten, Lie der britischen auswärtigen Politik gestellt seien, zu lösen. Man dürfe jedoch nicht blind gegenüber Ler Wiederaufrüstung sein, die überall stattfinde. Der britischen Regierung sei ss natürlich schwierig, die internationale Verständigung zu för dern und zugleich auf der eigenen Wiederaufrüstung zu be stehen. Die große Aufgabe, die Lie britische Regierung zu erfüllen habe, könne in einer bewaffneten Welt nur dann wirksam durchgeführt werden, wenn England die nötigen Mittel hierzu zur Verfügung habe. Eden schloß mit einem Appell, die auswärtigen Ange legenheiten nicht vom parteilichen Standpunkt aus zu sehen, weil dies die Aufgabe der britischen Regierung nur schwierige? gestalte. > Rach Eden sprach Ler Führer der liberalen Opposition, Sir Archibald Sinclair, der erklärte, daß der Außen ¬ minister nicht vermocht habe, die gegen die Regierungspolitik von Dalton vorgebrachte Kritik sowie die Besorgnisse, die allenthalben in England gehegt würden, zu beschwichtigen. Der Abgeordnete der Arbeiterpartei, Arthur Hender son, ein Sohn des verstorbenen Präsidenten Ler Ab rüstungskonferenz, bezeichnete die Behauptung, daß die deut sche Wiederaufrüstung Lie einzige Arsache der englischen Aufrüstungsmahnahmen sei, als unzutreffend. Deutschland habe 16 Jahre lang gewartet, bevor «S mit seiner Aufrüstung begann. , Die Tatsache, daß sich Deutschland jetzt die Gleichberechtigung selbst genommen habe, sei auf die Politik der anderem europäischen Regierungen zurückzuführen. Sir Austen Chamberlain sprach sich in eindeutiger Weise gegen die Fortsetzung der Sühnepolitik aus. Er sagte zunächst, daß eine Großmacht, Lie sich für eine Angriffshandlung entschieden habe, nicht durch wirtschaftliche Sühnemaßnahmen abgeschreckt werden könnte. Rur die Ansammlung einer gewaltigen Streit kraft hätte Italien seinerzeit vom abessinischen Feldzug ab bringen können. Heute hätten sich die Umstände völlig ver ändert. Wenn mian heute Li« Sühnemaßnahmen fortsehea wolle, so wäre bas «ine gefährliche und zwecklos« Politik. (Kauter Beifall auf der Ministerbank.) Auch den Vorschlag der Opposition, den britischen Botschafter in Rom zurückzuziehen, bezeichnete Chamberlain als unzweck mäßig, da hierdurch die Politik Mussolinis nicht geändert würde. Ebenso würde es keinen Sinn haben, Italien aus dem Bölkerbund auszustohen, denn eine solche Maßnahme würde eine Schwächung des Bölkerbundes bedeuten. Chamberlain griff dann die englischen Sanktionspolitiker in scharfen Worten an. Wenn man heut« Flottenmahnahmen gegen Ita lien ergreifen wolle, so würde das den sofortigen Krieg be deuten. Wenn man den Bogen Überspanne, dann bestehe die Gefahr, dah sich viele Rationen ihren Dölkerbundsverpflich- tungen entzögen. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen setzte sich Chamberlain für eine Reform des Völker bundes ein. Die Bemühungen der englischen Regierung, Deutschland und andere Länder in den Völkerbund zurück zubringen und verschiedene regionale Pakte zu erzielen, seien Schritte in der richtigen Richtung. Der Konservative O'Reil erklärte, daß der Völkerbund in seiner jetzigen Form tot und erledigt sei. England solle die Sicherheit Frankreichs und Belgiens garantieren und gleichzeitig die Erzielung eines dauernden Ab kommens zwischen Deutschland und Frank reich unterstützen.