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Wochenblatt - für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags und kostet vierteljährlich 10 Ngr. — Jnseratenannahme bis Montag rcsp. Donnerstag Mittag. -1- 98. Dienstag, den 15. December 1874. Tagesgeschichte. Graf Arnim, vor wenigen Monaten noch deutscher Botschafter in Paris, steht seit dem 9. December vor dem Stadtgerichte in Ber lin als Angeklagter. Die Verhandlungen sind zum größten Theile öffentlich, dem Angeklagten stehen drei Vertheidiger zur Seite und 40 Berichterstatter deutscher, österreichischer, französischer, englischer und amerikanischer Zeitungen sind unermüdlich thätig, den Verhandlungen die größte Oeffentlichkcit zu geben. Die Anklage begründet Staats anwalt v. Tessendorf. Er klagt den Grafen an, im Hotel der deut schen Botschaft in Paris während der Zeit von 1872—1874 durch ein und dieselbe Handlung als Beamter ihm amtlich anvertraute Ur kunden vorsätzlich bei Seite geschafft, Sachen, die er in amtlicher Eigenschaft empfangen hatte, sich rechtswidrig «»geeignet zu haben und des Vergehens Wider die Paragraphen 348, 350 und 74 des Strafgesetzbuchs schuldig zu sein. Die Anklage behauptet, daß die betreffenden Schriftstücke Urkunden im Sinne des Gesetzes seien und daß zur Unterschlagung eine gcwinnsichtige Absicht nicht nöthig sei. Eie thcilt die betreffenden Urkunden in drei Rubriken: I) geständlich mitgenommene, später jedoch auf amtliche Aufforderung zurückgegebenc Schriftstücke; 2) solche, die Arnim geständlich an sich nahm und als ihm gehörig zurückhält; 3) solche, von deren Verbleib Arnim nichts wissen will. Wenn einzelne Schriftstücke den Zusatz „vertraulich", „ganz geheim", ,,persönlich" u. s. w. tragen, so werde dadurch der amtliche Lharacter der Schriftstücke nicht verändert, sondern für die Behandlung ein Wink gegeben. Die einzelnen Schriftstücke werden ihrem Inhalte nach kurz geschildert und geben einen interessanten Einblick in die umfassende und verschiedenartige Thätigkeit der hohen Diplomatie. Die Anklage behauptet, daß Arnim die unterschlagenen Aktenstücke zu Angriffen auf Bismarck uud die Reichspolitik und na mentlich zu Artikeln in Belgischen, Wiener, Kölner und anderen Zei tungen benutzt habe. Unter den 9 Zeugen sind Beamte der deutschen Botschaft in Paris, mehrere Nedacteure und Literaten und — Feld marschall von Manteuffel. Unter den mit Beschlag belegten Papieren des Grafen haben sich mehrere Entwürfe der betr. Zeitungsartikel, Briefe an Nedacteure rc. gefunden. Graf Arnim erklärt sich bei seiner Vernehmung für nichtschul dig und läßt sich dahin aus. Da der Reichskanzler viele seiner Er lasse als für ihn (den Botschafter) persönlich bestimmt bezeichnet und sorgfältige Geheimhaltung zur Pflicht gemacht habe, so habe er die selben Bismarck persönlich übergeben wollen, sei aber durch seine Krankheit abgchalten worden; später habe er seinen Sohn damit be auftragt. Auf die Frage, ob er die (berühmt gewordenen) Zeitungs artikel über die römische Frage in der Wiener „Presse" geschrieben oder veranlaßt habe, giebt er ausweichende Antworten: er sei für sie nicht verantwortlich. Von gutuntcrrichtcter Seite wird eine persönliche Acußcrung des Kaisers über die Arnim'fche Sache mitgetheilt, welche geeignet ist, die Spannung zu erhöhen, mit der man den Enthüllungen entgcgen- sieht. Hiernach soll sich der hohe Herr auf der letzten Hofjagd zu Letzlingen in sehr unzweideutiger Weise darüber beklagt haben, daß ihm noch von keinem Beamten des Reichs eine solche Kränkung zugc- fügt worden wäre, wie vom Grafen Arnim, eine Kränkung, die um so schwerer wiege, als er, der Kaiser, ein unbegrenztes Vertrauen in ihn gesetzt habe und sich nun so schmählich getäuscht sehen müsse. Uebcr den Proceß Arnim läßt sich für jetzt, selbst vom Richter stuhle der Moral aus, ein definitives Urtheil nicht abgebcn. So viel dürste indcß feststehen, daß die juristische Bedeutung des von allseitiger Spannung begleiteten Prozesses nickt das Wichtigste an der Sache ist, sondern daß das Interessante, ja Pikante vornehmlich in dem durch die verschiedenen Correspondenzcn enthüllten eigenthüm- lichen Verhältnisse zwischen dem deutschen Reichskanzler uud dem früheren Botschafter zu suchen sein wird. Das Landsturmgesetz wird noch manchen harten Strauß im Reichstage herbciführen und dürften die „Rufer im Streit" noch heftig aufeinanderplatzen. Wir sind gegen das Gesetz, wie es vor liegt, und welches nur darauf hinausgeht, den deutschen Bürger zum Soldaten auf Lebenszeit zu machen. Das Bedenklichste ist die Be stimmung, daß Landsturm mit der Landwehr in die Truppcnthcile eingestellt werden kann. Soll dem deutschen Mann, welcher seine Wehrpflicht redlich erfüllt hat, nicht auch der Lebensabend noch ver kümmert werden, so muß die erste Bestimmung des Gesetzes sein: „Der Landsturm darf nur aufgeboten werden, wenn ein Theil des deutschen Gebietes vom Feinde occupirt ist." Eine zweite Bestimmung müßte dahin gehen, daß der Landsturm in eigenen Cadres organisirt werde. Das ist der Sinn der alten Gesetze für den Landsturm, in diesem Geiste organisirt wird der Landsturm die naturgemäße Er gänzung des „Volkes in Waffen." Das vorliegende Gesetz bringt aber den Militarismus zu höchster Blüthe und giebt alle Landsturm pflichtigen wehrlos der Willkür preis. Es gilt nunmehr als zweifellos, daß derSchluß der Ncichstags- session erst im Januar erfolgt. Die Bundesrathsausschüffe haben be reits am 7. und 8. December die preußischen Vorschläge wegen Er richtung der Reichsbank berathen und sollen die Arbeiten mit mög lichster Beschleunigung beendet werden. Anderweitigen Angaben gegenüber wird versichert, daß die preußischen Vorschläge allgemein als annehmbare Basis zur Verständigung anerkannt werden. Die Vereinigung der socialdemokratischen Fractionen in Deutschland wird neuerdings ernstlich betrieben. Der Präsident der Lassallcaner, Hasenclever, (der nach der in Zeitz überstandenen drei monatlichen Haft sich jetzt wieder auf freiem Fuß befindet) erläßt eine Ansprache an seine Parteigenossen, in welcher er die bevorstehende „Vereinigung der deutschen Sozialdemokraten" ankündigt. Es sei aber nothwendig, daß die Vereinigung „als Ausfluß des Gesammt- willcns der Mitglieder beider Parteien" angebahnt werde und sich vollziehe. Also Plebiscit! Aus Petersburg, 8. December, wird berichtet: Ein heftiger Sturm aus Nordwest trieb in der vergangenen Nacht das Wasser 9 Fuß über sein normales Niveau und wurden die niedrigeren Stadt theile am Ausflusse der Newa dadurch theilwcise überfluthet. Ein Opfer an Menschenleben ist nicht zu beklagen, aber über 7000 Men schen, die ihre Wohnungen verlassen mußten, sind mit Hilfe der Po lizei anderweit untcrgebracht. Für heute sind auf Anordnung des Sladtverwesers besondere Hilfsküchen errichtet. Das Wasser ist rasch wie immer gefallen; jede weitere Besorgniß war schon vor Tages anbruch vorüber. Oertliche und sächsische Angelegenheiten. Der sächsische Pestalozziverein blickt mit Dank und Freude auf eine 30jährige reichgesegnete Wirksamkeit zurück. Aus dem Rechnungs- Werke ist zu ersehen, daß das Vereinsvermögen die ansehnliche Summe von 38,525 Thlr. erreichte und im letzten Jahre 3747 Thlr. als Unter stützungen für Lehrerwaisen und Lehrerwittwen verwendet werden konnten. Das Statistische Bureau des Ministeriums des Innern hat in R. v. Zahn's Verlag in Dresden eine Generalübersicht sämmtlicher Ortschaften des Königreichs Sachsen, nach amtshauptmannschaft lichen Verwaltungsbezirken geordnet, herausgegeben. Diese neueste Uebersicht unterscheidet sich von der im Monat August er schienenen dadurch, daß die Aufhebung des Gerichtsamtes Hartha be reits Berücksichtigung gefunden hat und daß dem Orlsregister die Post- bestcllanstalteu beigcsügt worden sind, eine Neuerung, die allseitig mit Dank unerkannt werden wird. Der Preis für diese Uebersicht beträgt 15 Neugroschen. Den am 2. n. 3. Januar künftigen Jahres nach Döbeln zur Versammlung sächsischer Schuldirectoren reisenden, mit Mitgliedskarten