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A-orker Wochenblatt. M L t t h e i l u n g e n über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Fünfter Jahrgang. Preis für den Jahrgang bei Bestellung von der Post 16 gr. SLchs., bei Beziehung de« Blatte« durch Botengclrgenhekt 1S Gr. SLchs. Erscheint jeden Donnerstag. 17. JaMMr 1839. Neue Gesetze und alter Schlendrian. (Fortsetzung.) Guten Morgen, mein Freund! Wie hast du ge schlafen? Ich vermukhe, daß du keine ruhige Nacht gehabt hast, so wie ich selbst spät erst das Auge zu schließen vermocht habe. Ein toller Lärm von einem nahen Bicrhause herüber, so wie herumzichende Grup pe» junger, sich traulich umschlingender Leute beider» M Geschlechts haben mich bis um Mitternacht wach erhalten! Ich hoffte, da es gerade Sonnabend war, wenigstens um io Uhr von dem wilden Koboltgeschrei der Nachtschwärmer befreit zu werden: allein verge bens; gerade das war der Tag, der sich am weitesten in die Nacht hinein ausdehnen ließ, weil der heutige Sonntagsmorgen für den verlornen Schlaf vollkomm- nen Ersatz versprach. Daher ist es eben jetzt, da noch dazu bei guter Frühe die Vogelsteller und so weiter ausgerückt sind, auf den Gassen so still und leer, daß man fast nichts, als die Töne der Glocken vernimmt, welche vom Kirchthurme herab den nahen Gottesdienst verkünden. Siehe! da stehet die Kirche offen! Laß uns eintrcten. Noch sind die Stühle leer genug, um uns Platz zu bieten. Werden sie bald ge füllt werden? Vielleicht, wenn der Prediger sich an schickt, den Lehrstuhl zu betreten — da kommt er. Ist er's wirklich? Er trägt ein Käppchen an heiliger Stätte, ob er schon noch in der Kraft der Jugend erscheint. Seine Stimme ist matt und gedehnt jetzt, jetzt wieder wild und polternd! Wie sein Blick um» cherschweift keck und ohne Weihe; schade, daß er dir Lorgnette vergessen zu haben scheint! Jetzt hat er den Tert verlesen, welche schöne und erhabene Schrift» worte! Wird er ihn ausgearbeitet und durchgearbeitet haben? Wahrscheinlich hatte er in dieser Woche zu wenig Zeit, weil er mit seinen Blumen, mit seinen Feldern, mit seinen Bienen, mit seinen Bäumen oder auch mit Nichts beschäftigt war! Daher ist eö kein Wunde-, daß er jetzt sich nach der Eingabe des Au genblicks auf den dürren Steppen der Moral herum- trribt, dir TogeSbegebenheiten verhandelt, Pel-föutich- keiten durch Stichelreden bemerkbar macht, von De- cem und Beichtgeld spricht und seinen Vortrag so gcist - und herzlos endet, wie er ihn begonnen hat. Meinst du, daß eS der wahre Prediger gewesen sey, wie du ihn im Bilde auf dem Salon der neueren Zeit aufbe» wahrt siebst? O! nein! das war nur Herr Schlen drian, der sich nicht scheut, auch das heilige Priester» grwand als Maske zu mißbrauchen, und unter dem Scheine frommer Mienen nicht nur den Predigtstuhl zu betreten, sondern auch in den Sessionsztmmern der höhern und höchsten KIrchenbehbrden sich Sitz und Stimme zu verschaffen. Könntest du ihn einmal ganz in der Nähe beschauen; er würde sich dir durch die Leichtfertigkeit, womit er daS Heilige behandelt, durch die Eile, die er bei seinen geistlichen Handlungen sich zur Pflicht macht, durch die Unbedenklichkeit, mit welcher er sich in Kleidung, Worten und Gesellschaf ten über den rechten geistlichen Anstand hinwegsetzt, auf den ersten Blick kenntlich machen. Doch wir wollen den Tempel verlassen. Wagt es dieser zudringliche Herr, seinen geist - und lebentöden-