Volltext Seite (XML)
TLL^Zweites Blatt/ML Wochenblatt Nr 1888. Nr. 82. Freitag, dm 13. Oktober Erscheint wöchentlich L Mal Dienstag und Freitag.) AbvnnementSpreiS vierteljährlich 1 Mark. Eine einzelne Nummer kvstet^O Ps. Inseratenannahnie Montags u. Donnerstags bi« Mittag 18 Uhr. Erscheint wöchentlich 2 Mal (Dienstag und Freitag Abonne«ent»»rei» dierteljährli ch 1 Nark Eine einzelne Rümmer _ kostet^io Pf Wilsdruff, Thumudt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. für die Königl. Amtshauptmannschast zu Meißen, das König!. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Aweittn-vierzigster Jahrgang. Der letzte Moment. Bon Eugen Hermann. (Schluß.) Armer Arthur, dachte ich, dein sentimentales Herz wird nie diese Frau verstehen, die einen Despoten einem Anbeter vorzieht. Dies Weib verlangt einen Mann im vollsten Sinne des Wortes; sie kann nur lieben und hassen, das Letztere wird dich treffen, wenn es sie lang weilt, mit dir zu spielen. Eine Zeit lang schwankte ich, ob es nicht Freundespflicht sei, Ar thur die Augen zu öffnen und ihm mit gutem Rath beizustehen; ich stand jedoch sehr bald davon ab, als ich den Blick sah, welchen er mir zuwarf, als ich bei einem Spaziergang anfing, von Bertha zu reden. Dieser Blick sprach das volle Bewußtsein seines Glückes aus; er war ihrer Liebe so sicher, daß es grausam gewesen wäre, auf blose Vermuthung hin, ihn aus diesem zu Himmel reißen. „Ich bin so glücklich", rief er, „ich habe das große Loos in dieser Lotterie des Lebens gezogen, aber ich fühle es auch, wie wenig ich es verdiene, wie wenig ich ihr bieten kann für die Seligkeit, die sie mir bringt. Ich zittere zuweilen", setzte ersinnend hinzu, „vor meinem Glück, ich Halle es für einen Traum unv bebe vor dem Erwachen." So hielt Arthur die Oede in seiner Brust, welche der Mangel an wahrem Glück offen ließ, für das Bangen des Seligen auf schwin delnder Höhe; ihm fehlte der Frieden, die Ruhe; er war, wie gesagt, ein seliger Liebhaber, aber ein unglücklicher Ehemann. Und als ich nun an die Folgen der Beiden dachte, da stand ihr Bild vor mir; dies schöne Auge, dies Frauenherz war weggeworfen an Jemanden, der nur das Funkeln sah und für den ein Glasstein denselben Werth gehabt hätte, wie der Diamant. Mein Herz pochte, wenn der Schmelz ihres Blickes so weich und sonnig auf meiner Wange flammte; ich glaubte in ihrem Blick zu lesen, daß sie das Wogen meines Herzens sah — ich liebte sie. Wir verstanden uns ohne Worte. Oft, wenn von gleichgültigen Fragen gesprochen wurde, wenn Arthur fast gähnte, tauschten wir mit einander Gedanken ans. Mein Auge las in ihrer Seele, das ihre in der meinen. Arthur merkte nichts. Woraus hätte er auch Argwohn schöpfen sollen? Er war zu glücklich, seines Glückes so sicher, um auch nur an Argwohn zu denken. Sie lächelte ja und ihr Lächeln bezauberte ihn; sie war liebreizend, und ihre Schönheit war sein Glück. Mit jedem Tage erlag ich mehr und mehr dem Zauber. Das Fieber, welches in meinen Ädern brannte, mich die Nacht nicht ruhen ließ, mir im Traum ihr Bild vorführte und des Tags mich an ihre Schwelle fesselte, kam zur Krisis. Ich sah den Abgrund, vor dem ich stand, und beschloß zu fliehen. Ich riß mich los. Mein Herz blutete, als sie mir die Hand zum Abschied reichte. Ein kalter Schauer über lief mich, als er mir herzlich Lebewohl sagte und aufforderte, mich daran zu erinnern, daß ich ihnen einen baldigen Besuch versprochen habe. Sie sprach kein Wort, aber ihr Auge hatte einen eigenthümlichen, saft düsteren Glanz. Arthur sah den Blick nicht, den sie ihm zuwarf, oder er verstand ihn nicht; sonst wäre der Schleier von seinen Augen gefallen. Nie in meinem Leben habe ich so mit mir gekämpft, wie damals, als ich abreiste; auf keinen Sieg bin ich stolzer gewesen, als auf den über diese Liebe. Zwei Jahre waren vergangen, als mich der Zufall wieder nach Dresden führte. In den 2 Jahren hatte sich das Verhältniß zu Arthur aufgelöst. Die Freundschaft war schon erloschen, als ich Bertha lieben lernte und ihn beinahe haßte, weil er dies Wesen mir entzog und es doch nicht glücklich machte. Sechs Wochen nach meiner Abreise hatte ich an ihn geschrieben, mehr an Bertha als an ihn; denn während ich schrieb, dachte ich daran, daß sie den Brief lesen würde. Ich bekam ein Antwortschreiben von Arthur, aus welchem ich ersah, daß meine Ahnung eingetroffen war. Das ganze Schreiben enthielt Lamentationen, die sich um die Klage drehten: „ich fühle mich unglücklich!" — Näheres schrieb er nicht; von Bertha erwähnte er nur, daß sie gesund sei. Mein zweiter Brief blieb unbeantwortet; den dritten erhielt ich zurück mit dem Bemerken von der Post, „Adressat sei auf Reisen." Drei Monate später erhielt ich ein kurzes Schreiben von Arthur, worin er mit kalten, fast beleidigen den Worten erklärte, seine jetzige politische Gesinnung passe sich nicht für die Freundschaft mit einem Offizier. Zum Schluß setzte er ironisch hinzu, er bleibe mein Schuldner für den Dienst, welchen ich ihm einst erwiesen habe. Dies würde mir jedenfalls im Himmel zu Gute kom men, auf Erden aber nicht, denn es wäre besser gewesen, wenn ich im Gasthofe damals meine Neugierde bezwungen hätte. Er hat dumme Streiche gemacht und ist toll geworden — die arme Frau! das waren meine Gedanken, mit denen ich den Brief bei Seite legte. Jetzt als der Zufall mich wieder nach Dresden führte, beschloß ich jedoch, Arthuraufzusuchen, und ich gestehe, daß der Wunsch, Bertha wiederzusehen, mehr dazu beitrug, als das Interesse, welches ich noch für das Schicksal Arthur's hegte. Als ich ihn in seiner früheren Wohnung aufsuchte, hörte ich, daß er dieselbe seit anderthalb Jahren nicht mehr inne habe. Er sei zu der Zeit auf Reisen gegangen, theilt man mir mit, und habe sich nicht wieder blicken lassen, es sei allgemein die Rede davon gewesen, Herr von M . . . habe sich von seiner Frau scheiden lassen wollen! ob die» aber geschehen, und was aus beiden geworden, das wisse man nicht anzugeben. Meine Neugierde wurde immer gespannter. Im Wohnungsan- zeiger fand ich seinen Namen nicht, ich begab mich deshalb aus die Polizei. Hier musterte man mich, als ich den Namen nannte, von oben bis unten, und der Beamte theilte mir erst die Adresse Arthurs mit, nachdem er vorher mit einem anderen, vermuthlich seinem Vorgesetzten, darüber leise Rücksprache genommen hatte. Es muß arg mit ihm stehen, dachte ich, beinahe verletzt durch das Polizeiexamen und verwundert über die Winkelgasse, in der Arthur wohnen sollte. Es muß arg mit ihm stehen, dachte ich, als ich die schmale Treppe des Hauses Hinanstieg und die Klingel seiner Wirthin zog. Eine alte Frau öffnete mir. Wohnt hier Herr v. M . . .? fragte ich. „Ja," antwortete sie; „aber Sie können jetzt nicht herein, er fiebert." „Ist Herr v. M . . . krank? Es wird wohl morgen mit ihm zu Ende sein," sagte sie mit einer Gleichgültigkeit die mich entsetzte. Ich war sehr ergriffen. Jetzt, als er auf dem Sterbebette lag, ging mir sein Schicksal nahe, erwachte in meiner Brust wieder da» Gefühl, welches mich einst zu ihm gezogen hatte. Dazu kam noch eine Unruhe. Es war mir, als müsse ich ihn sehen, iHv um Vergebung bitten, als trage ich Schuld an seinem Wehe. Ich fragte, ob ich warten könne. Das Weib führte mich in eine kleine dumpfe Stube. „Wann kommt der Arzt?" fragte ich. „Der hat gesagt, es nützte doch nichts mehr, er wolle die Rech- nung nicht umsonst theuer machen." Ich bat das Weib, einen andern zu holen, und drückte ihr einen Thaler in die Hand. Das half. In wenigen Minuten trat sie wie der, von einem Arzte begleitet, in das Zimmer. Ich sagte dem Mediciner, daß der Kranke mein Freund sei, er solle alles anwenden, ihn zu retten, ich würde die Kosten tragen. Wir gingen ins Zimmer. Da lag Arthur. Er war so entstellt, daß ich ihn kaum wieder erkannte. Die Augen lagen hohl, er war ab gemagert, aus seiner Gesichtsfarbe las ich die Schrift des TodeS. „Hier ist nicht mehr zu helfen," sagte der Arzt, „er wird in einer Stunde zu sich kommen, lassen Sie ihm dann das Abendmahl reichen, es wird die höchste Zeit sein, denn er wird nicht lange die Besinnung behalten." Damit empfahl sich der Arzt, ich blieb am Krankenbett. Arthur stieß Worte aus, die mich bald davon überzeugten, daß sein inneres zerrüttet, sein Herz gebrochen und verzweifelnd sei. Er schmähte Bertha, mich, ballte die Faust und fluchte dann wieder gräß lich auf die Tyrannen, die Gunst und Speichelleckerei der Welt. Endlich beruhigte er sich, ich reichte ihm Arznei. Nach einer Weile schlug er die Augen auf und — erkannte mich. Ich werde den Blick nie vergessen, mit dem er mich anstarrte, dies Gemisch von Haß, Wuth und Bitterkeit. „Horsteck!" rief er, und seine Stimme war hohl, wie auS dem Grabe. „Ha, Du wartest wohl auf meinen Tod? — Wo hat sich die Buhlerin versteckt, laß sie nur kommen ich — ich sterbe ja! —" Seine Stimme versagte ihm den Dienst, er konnte nicht mehr reden, aber seine Faust ballte sich krampfhaft. „Arthur," sagte ich weich, „was redest Du da? ich verstehe Dich nicht. Ich bin es, Dein Freund, Horsteck?" „Mein Freund!" hohnlachte er und richtete sich auf „mein Mör der bist Du, aber nicht mein Freund!" Und wieder sank er matt in die Kissen zurück. Ich ergriff seine Hand. „Arthur," rief ich, „ich schwöre Dir, daß ich Dein Freund bin und jederzeit so gehandelt habe; was hast Du mir vorzuwerfen? War er durch die Sicherheit meines Wesens, durch das Uebe» zeugende der Wahrheit in meiner Stimme betroffen, oder war eS physische Schwäche, genug, er sah mich mit einem weichen, fast weh- müthigen Ausdruck an. „Ich habe Bertha sehr geliebt," flüsterte er, „und Du hast sie verführt; ich habe Dir vertraut, und Du hast mich getäuscht, Du hast mir das Glück meines Lebens gestohlen!" „Arthur!" rief ich, „so wahr ein Gott lebt, ich habe Dich nicht betrogen, nicht getäuscht. Als ich fühlte, daß mein Herz in der Nähe Deiner Frau unruhig ward, da floh ich, und nie habe ich sie wiedergesehen. Wer hat mich bei Dir verleumdet?" „Du hast sie nicht wiedergesehen? floh sie nicht zu Dir?" rief er heftig. Ich schwur, daß ich keine Ahnung davon gehabt habe, daß ste sich von ihm getrennt hätte. „Aber Du liebtest sie doch, Du hast mir ihr Herz abwendig ge macht, durch Dich habe ich sie verloren!"