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Jahrgang Der Ulmer Reichswehr - Prozetz Die »«geklagte« Offiziere lege« ihre Plä«e dar Hindenburg gegen die Putschgerüchte Leipzig. Vor dem 4. Strafsenat des Reichsgerichts stehen die drei Reichswehroffiziere Scheringer, Ln din und Wendt vom Feldartillerieregiment 5 in Ulm, die be schuldigt sind, im Dezember 1929 den Versuch gemacht zu haben, innerhalb der Reichswehr nationalsozialistische Zellen zu bilden. Nach Eintritt des Gerichtshofes richtete der Vor sitzende, Reichsgerichtsrat Baumgarten, an die Zuhörer die Mahnung, den Sitzungssaal oder die Vorräume nicht zum Tummelplatz politischer Streitigkeiten zu machen. Die Ver- nehmung der Angeklagten zur Person ergab, daß Leutnant Richard Scheringer am 13. September 1904 in Aachen ge- Loren ist. Leutnant Hans Ludin ist 1905 in Freiburg im Breisgau geboren, Oberleutnant a. D. Hans Friedrich Wendt 1903 in Celle. Letzterer hat Ende Dezember 1929 seinen Abschied aus dem in Ulm liegenden Feldartillerieregiment Nr. 5 genommen und ist jetzt in Kassel wohnhaft. Die ge ladenen 20 Zeugen werden erst morgen vernommen werden können, weil Ler ganze heutige Tag mit der Vernehmung der Angeklagten ausgefüllt wird. Die Anklage. Nach dem Eröffnungsbeschluß sind die Angeklagten hin reichend verdächtig, im Inlands, insbesondere in Ulm, Han nover, Berlin und Eisenach im November und Dezember 1929 gemeinschaftlich und fortgesetzt handelnd 1. das hoch verräterische Unternehmen, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern, vorbereitet, 2. mehrere Sol daten aufgefordert oder angereizt zu haben, gemeinschaftlich entweder den Vorgesetzten den Gehorsam zu verweigern oder sich zu widersetzen, 3. es unternommen zu haben, durch Aeußerungen Mißvergnügen in Beziehung auf den Dienst in ihren Kameraden zu erregen, 4. Befehle in Dienstsachen nicht befolgt und dadurch vorsätzlich Gefahr für die Schlag fertigkeit der Truppe herbeigeführt zu haben. Die Vernehmung der Angeklagten. Auf Befragen des Präsidenten erklären die Angeklagten sämtlich, daß sie unschuldig seien und daß sie aussagen wollen. Leutnant Scheringer wird von seinen Vorgesetzten als temperamentvoller Offizier und große Draufgängernatur geschildert. Auch Leutnant Ludi n stellen seine Vorgesetzten ein ausgezeichnetes Zeugnis aus. Wendt ist Dezember 1929 aus dem Ulmer Artillerie-Regiment Nr. 5 ausgeschieden. Ueber den Grund seines Abschieds verweigert er die Aus sage. Er ist, wie der Präsident erwähnt, von seinen Vor- gesetzten als leichtlebig und leichtsinnig und nicht immer takt voll geschildert worden, jedoch treu und opferbereit den Kameraden gegenüber. Im Februar 1930 wurde Wendt in Kassel Beamter der Zeugmeisterei. Bei der Klärung des Sachverhalts ergibt sich, daß Scheringer und Ludin jugendliche Brauseköpfe sind. Scheringer behauptet, der Geist der Wehrhaftigkeit sei im Heere und im Volke nicht genügend gefördert worden. Daran sei allein die Reichsregierung schuld. Sie seien davon überzeugt gewesen, daß der Wille, wie er in der Unterzeich nung des Versailler Vertrages zum Ausdruck kommt, nicht dem Willen des Volkes entspreche. ' Es habe sich — und das betonen beide Angeklagten immer wieder — nicht etwa nur um ein vorübergehendes Mißvergnügen oder um die persönliche Anschauung von Einzelpersonen gehandelt, sondern die Stimmung in der ganzen Reichswehr sei es gewesen, die sich während ihrer Dienstjahre in dieser Richtung entwickelt habe. Alle hätten sie unter der Hetze, die im Theater, in der Oeffentlichkeit und gerade in den angeblich zum Staate stehenden Blättern immer wieder gegen die Reichswehr getrieben worden sei, gelitten, alle seien sie sich wie schutzlos, wie einem im Grunde militär feindlichen System ausgeliefert, vorgekommen. In den Schilderungen der Angeklagten kommt immer wieder zum Ausdruck, daß namentlich derRücktrittdesGenerals von Seeckt, des Schöpfers des neuen Heeres, in aller Augen ein Einschnitt in die Entwicklung der Reichswehr von geradezu verhängnisvoller, nicht wieder gutzumachendcr Be deutung gewesen sei. Mit dieser Verabschiedung hätten die heeresfeindlichen politischen Kreise Deutschlands die Reichs wehr fester an ihre Zügel legen wollen. Das sei gelungen. Die Auffassung des ganzen Heeres sei das gewesen, sagt Scheringer. Als der Vorsitzende die beiden Leutnants wiederholt auf ihre Jugend und,auf ihre, nach seiner Auffassung eben um vieler äugens willen mangelhafte politische Einsicht hinweist, antwortet Scheringer: „Sie sprechen, Herr Präsident, immer von unserer Jugend. Ich bin im besetzten Gebiet aus gewachsen, und dort jedenfalls, wo es hart herging, haben wir Jungen das Vertrauen zu den älteren Führern ver- loren." Nach Seeckts Verabschiedung, so betonen die An- geklagten, sei die Disziplin in der Reichswehr immer mehr gesunken. Darum hätten sie, die Leutnants, auf eigene Faust Verbindung mit den nationalen Verbänden anzuknüpfen ge sucht, mit den Nationalsozialisten und auch vorher mit dem Stahlhelm. Zu Seeckt hätten weite Kreise des Heeres Ver trauen gehabt. Lin weiterer Grund der Unzufriedenheit sei der Rücktritt Geßlers und die Aeußerung des Generals Heye an die Mannschaften gewesen, wenn sie etwas hätten, sollten sie sich an ihn wenden. Das habe zu umfangreichen Beschwerden und anonymen Briefschreibercien und zu Verhetzungen gegen Offiziere und Unteroffiziere geführt. Dann sei gelegentlich der Perfassungs- feiern 1929 ein Befehl gekommen, daß Truppenteile, die an den Feiern teilnehmen, bei politischen Entgleisungen das be- treffende Lokal zu verlassen hätten. Diesem Befehl hätten verschiedene Kommandeure, z. B. in Breslau, zuwider gehandelt, indem sie in den Lokalen auch dann blieben, als rote Fahnen geschwenkt wurden. Diese Zuwiderhandlung gegen den Befehl sei ohne Folgen geblieben. Vor dem kom- monistischen Antikriegstag in Ulm sei Befehl gegeben ge wesen, daß die Reichswehr nur in Zivilkleidern auf die Straße gehen solle, was als große Kränkung angesehen worden sei. Eine Erklärung der Sachverständigen. Der als Sachverständiger an Gerichtsstelle anwesende Major Theisen vom Reichswehrministerium gab eine Er klärung ab, in der er die Behauptung, daß eine Mißstimmung ernsthaften Umfanges im Offizierskorps der Reichswehr vor handen sei, als unzutreffend zurückwies. Bei vielen Ge legenheiten, so im Manöver, habe er, der Sachverständige, sich vom Gegenteil überzeugen können. Natürlich mache die Not der Zeit und die allgemeine Stimmung unserer Tage vor der Truppe nicht halt; Spuren der Depression seien überall vorhanden. Desgleichen wandte sich Theisen gegen die Ansicht der Angeklagten, daß pazifistische Tendenzen in der Oberleitung des deutschen Heeres Eingang gefunden hätten. Wenn Reichswehrminister Groener sich im Reichstag zu einem gesunden Pazifismus bekannt habe, so sei doch der ungesunde Pazifismus, der vor Landesverrat nicht zurück- schrecke, von ihm wie von allen maßgebenden Instanzen immer wieder zurückgewiesen und immer wieder als vater- landsfeindlich gebrandmarkt worden. Auf den Einwand des Präsidenten, die Reichswehr sei in erster Linie das Instrument der Regierung und habe jede Leutnantspolitik zu verpönen, erwidert Scheringer: „und wenn die Regierung pazifistisch oder kommunistisch ist, dann ist die Reichswehr pazifistisch oder kommunistisch! Das ist es ja eben: Wir stehen stets unter dem System des gebogenen Kreuzes, und dabei sollten wir unser Leben opfern. Für wen? Für den Bauch der Kapitalisten, für die, die den Poung-Plan durchdrückten, für Sklarek und Genossen?" Scheringer erzählte weiter, Ludin und er seien nach München gefahren, um sich über die politische Lage z« orientieren, wie die Nationalsozialistische Partei sich verhalten werde, wenn der Volksentscheid ungünstig ausfallen würde. Sie seien zunächst zu der Wohnung des Hauptmanns a. D. Weiß, einem Schriftleiter des „Völkischen Beobachters", gefahren und dann mit diesem in die Schellingstraße (Parteibüro), wo sie sich über die Ziele der N.S.D.A.P. unterhielten. Es wurde ihnen u. a. gesagt, daß die Partei auch für den Fall, daß der Volksentscheid nicht durchgehe, über verfassungs- mäßige Mittel nicht hinausgehen würde. Illegale Wege kämen für die Partei nicht in Frage. Er habe vorgeschlagen, dahin zu wirken, daß in der Reichswehr mehr Sympathien für die N. S.D. A.P. herrschen soll. Scheringer berichtet, daß ihm der Gedanke große Sorge gemacht hätte, was werden sollte, wenn einmal die Reichs wehr vor die Tatsache gestellt wäre, auf die Verbände, die nationale Ziele verfolgten, zu schießen. Er hätte sich damals mit dem Gedanken getragen, seinen Abschied zu nehmen, um diesem Gewissenskonflikt aus dem Wege zu gehen. Zwischen Ludin und dem Präsidenten entwickelt sich dann folgendes Gespräch: Ludin: „Wir wollten die ungegorenen Kräfte zu; Das Wichtigste Bei Barcelona ist am Dienstag ein spanisches Marineflugzeug abge. stürzt. Der Führer, ein Kapitänleutnant, fand dabei den Tod. Seine Begleiter wurden in schwer verletztem Zustand geborgen. Kapiiän Boyd und Leutnant Connor find mit ihrem Flugzeug „Co lumbia" am Dienstag um 21 Uhr MEZ auf dem Flugplatz Har bour Grace (Neufundland) eingetroffen, um von hier aus einen Flug über den Ozean anzutreten. Wenn das Wetter günstig ist, nüd las Flugzeug am Mittwoch ausstcigen. Der neufundländische Schoner „Coranza" ist nach einer Meldung Ber liner Blauer aus North Sidney (Neuschottland) in der Nähe der Seataiy.Jnsel, einer unbewohnten Insel bei Kap Breton, vom Blitz getroffen worden und untergeganqen. 8 Passagiere und 2 Mann der Besatzung sanden den Tod. 6 Personen konnten gerettet werden. Der Unteiwiltkönig Jack Diamond ist am Dienstag wieder auf freien Fuß gesetzt worden, doch wurde er auS Philadelphia ausgewiesen. jammcnfassen, um gemeinsam Eingaben zu machen in Gestalt eines Memorandums. Wir wollten die Stimmung des ganzen Heeres schriftlich schildern und mutzten dafür Unterlagen haben." Präsident: „Wenn Sie das gewollt hätten, drückt man denn das mit den Worten aus: ,Wir wollten in jedem Wehrkreis einen zuverlässigen Mann haben?' So ein Mann wie Sie, der quatscht doch nicht einfach." Ludin: „Dach, Herr Präsi- dent. Ich habe damals viel gequatscht." Präsident: „Dafür müssen Sie eben die Folgen tragen." Ludin: „Das weiß ich auch." Im weiteren Verlauf erklärte Ludin, Scheringer sei rein militärisch vorgegangen. Er und Wendt seien daher der Ansicht gewesen, daß eine gewisse Verbindung zwischen der Reichswehr und der N. S. D. A. P. hergestellt werden müsse. Er habe aber keine Ahnung gehabt, wie das gemacht werden sollte. Er habe die Reichswehr populär machen wollen, denn die Reichswehr sei in vielen Volksschichten sehr unpopulär. — Der Angeklagte Wendt bekennt sich zu der gleichen Ansicht. Er bestreitet, eine Zellenbildung beabsichtigt zu haben. Hitler als Zeuge. Im Prozeß gegen die nationalsozialistischen Reichs- lvehroffiziere beantragte der Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Frank II, Adolf Hitler als Zeugen zu laden, dafür, daß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei den ge waltsamen Umsturz nicht beabsichtige und ihn auch im Jahre 1929 nicht beabsichtigt habe, und daß sie ihre Mitglieder und Anhänger nicht aufgefordert habe, den ge waltsamen Umsturz zu betreiben. Dem Antrag der Ver teidigung wurde stattgegeben. Hitler soll am Donnerstag vor Gericht erscheinen. Hindenburg gegen die Putfchgerüchte Berit«, 23. September. Der Reichspräsident ist von verschiedenen Vertretern der nordamerikanischen Publizistik gebeten worden, zu den Alarmnachrichten Stellung zu neh men, die in den letzten Tagen über die deutsche Lage gerade in Amerika verbreitet worden sind. Seiner Gewohnheit ent sprechend, hat der Reichspräsident eine unmittelbare Antwort nicht gegeben. Er hat jedoch in seiner am Montag mit dem Reichskanzler geführten Unterhaltung diesen ermächtigt, zu s erklären, daß er die vom Reichskanzler am letzten Sonnabend dem Berliner Vertreter eines amerikanischen Nachrichtenbüros gegebenen Ausführungen vollinhaltlich teile. Auch der Reichs präsident ist der Auffassung, daß eine Putschgefahr in irgend- einem Bezirk Deutschlands in keiner Weise vorliege. Uebri- gens würden die vorhandenen Vollzugsorgane durchaus ausreichen, in kürzester Zeit Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Der Reichspräsident hat ferner in seiner Unterredung mit dem Reichskanzler der Absicht der Reichsregierung, all« Kräfte dafür einzusetzen, um die seit längerer Zeit in Angriff genommenen umfassenden Sanierungsmaßnahmen zum Besten der deutschen Wirtschaft und des deutschen Volkes zu Ende zu führen, feine ausdrückliche Zustimmung erteilt. Er ver traut hierbei auf den gesunden Sinn des deutschen Volkes und erwartet, daß trotz der ungewöhnlich schwierigen innen- und außenpolitischen Lage Deutschlands diese großen Auf gaben auf dem Boden der bestehenden Verfassung gemeistert werden können.