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Bis V»10 Uhr vormittags eingehende Anzeigen finden am gleichen Tage Aufnahme Das Pulsnitzer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft u. des Finanzamtes zu Kamenz des Amtsgerichts und des Stadtrates zu Pulsnitz sowie der Gemeinderäte Großnaundorf und Weißbach behördlicherseits bestimmte Blatt Hauptblatt und älteste Zeitung in den Ortschaft« de« Pulsnitzer AmtSgerichtSbezirkS: Pulsnitz, Pulsnitz M. S., Großröhrsdorf, Bretnig, HauSwalde, Ohorn, Obersteina, Niedersteina, Weißbach, Ober- und Niederüchtenau, FriedcrSdorf, Thiemendorf, Mittelbach, Großnaundorf, Lichtenberg, Kleindittmannsdorf Geschäftsstelle: Pulsnitz, Albertstraße Nr. 2 Druck und Verlag von E. L. Försters Erben (Inh. I. W. Mohr) Schriftleiter: I. W. Mohr in Pulsnitz Nummer 207 Freitag, den S. September 193V 82. Jahrgang Wahlen und Parteibewegung Brant weinverbot am 14. September. Der Reichs Minister des Innern hat bei sämt lichen außerpreußischen Landesregierungen angeregt, sich dem Vorgehen des preußischen Ministers des Innern anzuschließea und für den Tag der Reichstagswohl den Ausschank von Branntwein und den Kleinhandel mit Trinkbranntwein zu verbieten. Bei der durch den Wahlkampf sehr erregten leidenschaftlichen Stimmung in weiten Volkstreisen erscheint ein solches Verbot besonders dringend. Das neue Gaststättengesetz vom 28. April 1930 gebe den obersten Landesbehörden die Ermächtigung zu einem solchen Verbot. Keine EinsShrung der Wahlpflicht. Angesichts der bevorstehenden Reichstagswahlen wurden in der letzten Zeit wiederholt Vorschläge gemacht, wie ein Fort- bleiben großer Wählermassen von der Wahlurne verhindert werden könne. Wie jetzt von unterrichteter Seite verlautet, beabsichtigt die Reichsregierung nicht, eine Wahlpflicht einzuführen. Die Frage der Einführung einer Wahlpflicht ist im Reichskabinett im Zusammen hang mit der Beratung der Wahlreform behandelt worden. Dabei kam man jedoch zu der Ueberzeugung, daß durch eine Wahlpflicht nichts Wesentliches erreicht werden würde und daß durch den amtlichen Apparat, der zur Feststellung der Nichtwähler notwendig wäre, große Kosten entstehen würden. Dr. Wilhelm über die Ziele der Wirtschaftspartei. Bei einer WahlkundgeLung der Wirtschastspartei in Schneidemühl sprach Staatsminister a. D. Dr. Wilhelm, Dresden, über die programmatischen Ziele der Wirtschafts partei. Wilhelm faßte seine Ausführungen in folgenden Thesen zusammen: Die Wirtschastspartei wolle einen star ken Staat, sauber verwaltet, der sich auf seine ureigensten Aufgaben beschränkt und alle seine Kräfte auf das Pro blem der Befreiung des deutschen Volkes vereinigt, ein starkes Volk, das dem Staat gibt was des Staates ist, aber in dem Staat nicht eine Versicherungsanstalt, son dern ein Instrument der Macht sieht, das überparteilich ist und sein Selbstbestimmungsrecht behauptet. Wir wollen, so schloß er, daß der deutsche Mensch, das starke deutsche Volk und der starke deutsche Staat sich zu einem Dreiklang zusammenfinden. * In einer Versammlung deutschnationaler Ins dustrieller hatte Or. Oberfohren erklärt, daß die Notverordnung der Reichsregierung eine Kreditaufnahme ermächtigung von mehreren Milliarden Mark enthalte. Ein Finanzsachmann schätzte diese Kredite auf 2 bis 214 Milliar den. Von zuständiger Stelle wird hierzu mitgeteilt, daß in den finanziellen Teilen der Notverordnung, die bereits vor einiger Zeit veröffentlicht worden seien, in der Tat Einzelheiten über Aufnahme von Krediten enthalten seien. * Das „Neue Wiener Tagblatt" veröffentlicht eine Unterredung eines seiner Mitarbeiter mit dem ehe maligen deutschen Kronprinzen über rie deutschen Wahlen. Der Kronprinz schilderte die Weltwirtschaftskrise und ihre besondere Schärfe in Deutschland und Oesterreich. Die Ver fasser des Vertrages von Versailles hätten seinerzeit wohl selbst nicht die wirtschaftliche Auswirkung der Friedcns- bedingungen überblicken können. Die deutsche Wirt schaft werde durch die steigenden Zoll mauern, die Reparationszahlungen und die sozialenLa st engehemmt. Die notwendige Reform müsse von innen beginnen. Notwendig sei eine Reform der Arbeitslosenfürsorge, die vielfach den Charakter einer Rente angenommen habe, und die es verursacht habe, daß die Ar beiter nur durch verhältnismäßig hohe Löhne einen Anreiz zur Arbeit bekommen könnten. Der Kronprinz empfahl als Hilfsmittel die Einführung des Arbeitsdien st - jahres auf Grund einer allgemeinen Arbeitspflicht. Die zweite Notwendigkeit sei die Herabsetzung der Verwaltungs- kvsten. Der bis jetzt im Ernährungsministerium als Sachverstän diger für Getreidefragen tätige Sozialdemokrat Or. Fritz Baade kandidiert im Wahlkreis Magdeburg zum Reichstag. Baade lehnt die neue Roggenpreis-Stützungsaktion Schieles ab. Im gleichen Wahlkreis kandidiert sein Vorgesetzter, Mi nister Schiele, für die Landvolkliste. Im Berliner Sportpalast veranstalteten die Natio nalsozialisten eine Massenversammlung, auf der die bisherigen Reichstagsabgeordneten Georg Strasser, Göring und vr. Goebbels sprachen. Strasser erklärte, nicht zer- stören wollten die Nationalsozialisten den Staat, wie die Geg ner das jahraus, jahrein behaupteten, sondern sie seien im Gegenteil die eifrigsten Verfechter eines starken deutschen Staates. Staatszerstörer seien vielmehr diejenigen, die aus Deutschland eine Verwaltlmgsorganisation des internationa len Kapitalismus gemacht hätten. Göring erläuterte die Notwendigkeit einer Bekämpfung des Marxismus durch den Lampfgewohnten Nationalsozialismus. Die Toten des Welt kriegs seien nie und nimmer für das heutige System ge fallen, sondern für ein neues, besseres Reich, das aufzurichten die geschichtliche Aufgabe des Nationalsozialismus sei. Doktor Goebbels setzte auseinander, daß die heutigen Machthaber niemals mit einem ehrlichen Rechenschaftsbericht über ihre Tätigkeit vor die Massen treten könnten. Den meisten von ihnen fehle es an innerer Wahrhaftigkeit, die ihre Handlun gen selbst dann vor dem Volke rechtfertigen könnte, wenn diese Handlungen mit schweren Opfern für das Volk ver- knüpft gewesen wären. Die Sozialdemokratische Partei veranstaltet seit einigen Tagen mit FluKeugen des Flugunternehmens „Sturmvogel" Wahlpropagandaflüge, die Uber das ganze Reich führen. Im Zusammenhang mit der Behauptung, daß es sich bei einem oder mehreren dieser Flugzeuge um reichs eigene Flugzeuge handele, wird jetzt von amtlicher Seite mitgeteilt: „Mit Zustimmung des Reichsverkehrs ministers sind von der Deutschen Versuchsanstalt und der Deutschen Verkehrsfliegerschule vor längerer Zeit einige Flugzeuge an Privatlustfahrtvereinigungen verliehen wor den. Der „Sturmvogel" ist an einer solchen Förderung mit drei Flugzeugen beteiligt worden, nachdem er die Erklärung abgegeben hatte, daß er parteipolitischneutral sei. Der Reichsverkehrsminister ist grundsätzlich der Ansicht, daß die Unterstützung eines Flugunternehmens durch das Reich unmöglich wird, wenn dieses Unternehmen sichpartei- politisch betätigt. Ob der „Sturmvogel" gegen diesen Grundsatz verstoßen hat, wird nachgeprüft." * In einer Wahlkundgebung in Breslau sprach Reichs minister Treviranu s, der eingehend die Tätigkeit des Kabinetts Brüning und die erweiterten Notverordnungen be handelte. Anschließend setzte er sich mit den Kritikern von links und rechts auseinander. Man müsse im kommenden Winter mit einer Zahl von über vier Millionen Arbeite losen rechnen, und es müsse dafür Sorge getragen werden« daß die Arbeitslosen nicht hungerten. Treviranus meinte, Laß wir aus unserer schwierigen Lage und der Reparations belastung nicht durch Bruch der bestehenden Verträge heraus kommen könnten. Um wirklich dem Ausland gegenüber etwas durchzusetzen, gebe es zunächst keinen anderen Weg, als un seren Haushalt in Ordnung zu bringen, damit nicht ein miß günstiges Ausland darauf dringen könne. * In der Liederhalle zu Stuttgart hielt die Deutsche Volkspartei gemeinsam mit der Deutschen Staatspartei eine Wahlversammlung ab, in der vr. Heuß und Geheimrat vr. Kahl sprachen. Geheimrat Kahl führte unter anderem aus: Es sei ihm schwer gefallen, noch einmal in den politi schen Kampf einzugreifen. Lange habe er nach einer Wahl devise gesucht; er habe sie gefunden in den Worten: Einigkeit und Recht und Freiheit! Mit stolzer Freude habe er das Wahlbündnis der beiden Parteien in Württemberg begrüßt. Sein Ideal für die Zukunft sei Wiederaufrichtung einer gro ßen deutschen liberalen Partei. Die DVP. halte er persönlich für die geschichtlich berufene Anschlußpartei. Der Weg der bisherigen Außenpolitik müsse weitergegangen werden. Der Preußische Finanzminifter vr. Höpker-Aschoff be rührte in Elberfeld in einer Wahlversammlung die Frage: wer regiert nach den Wahlen? Und dabei erklärte Höpker, daß die Deutsche Staatspartei zwar die Sozialdemokratie be- kämpfen werde, solange diese sich den Staatsnotwendigkei- ten verschließe; sie werde aber die Sozialdemokratie von der staatserhaltenden Mitarbeit nicht ausschließen, wenn diese dazu bereit sei. Höpker-Aschoff sprach auch über die Gefahr der politischen Radikalisierung. Er erklärte, daß es Aufgabe der Deutschen Staatspartei sei, die radikalen Elemente niederzurinaen. Nichtwähler, wach auf! Dämmert es in den Massen des deutschen Volkes? Es scheint so, denn in den weitesten Kreisen hat sich die Erkennt- nis Bahn gebrochen, daß es bei dem diesjährigen Wahlkampfe um äußerst schwerwiegende Entscheidungen geht, daß der, der die nötige Verantwortung gegenüber seinem Vaterlande nicht aufzubringen vermag, sich am 14. September schwer versün digen könnte. Bei den Reichstagswahlen im Jahre 1928 waren es 10 Mil lionen Deutsche, Männer und Frauen, die von ihrem Wahl recht keinen Gebrauch machten. Zehn Millionen! Eine gi gantische Zahl, wenn man sich vor Augen hält, daß ungefähr 35 Millionen in Deutschland zur Ausübung des Stimm rechtes nur zugelassen sind. Kann man von dem Spiegelbild der Volksmeinung durch Reichstagswahlen sprechen, wenn rund zehn Millionen Wähler und Wählerinnen von ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch machen? Die Frage stellen, heißt sie verneinen. Dessen find sich auch alle die Politiker bewußt, die jetzt ihre Wahlreden halten. Um eine wirklich erfolgreiche Politik betreiben zu können, muß das gesamt« rmchlbe- rcchtigte Volk hinter seinen Vertretern stehen. Es ist ein trübes Zeichen, wenn zehn Millionen Wähler und Wählerinnen am Wahltage der Wahlurne fernbleiben. Diese zehn Millionen zeigen nur, daß sie sich nicht als Glied in der deutschen Volksgemeinschaft fühlen, daß sie das Schick sal des deutschen Volkes, das schließlich auch ih; Schicksal ist, nicht als das ihrige fühlen und miterleoen. Wenn man heute von der Wahlreform spricht, so sollte man an dieser bedeu tungsvollen Frage der Wahlenthaltung nicht ohne weiteres vorübergehen. Um sie zu bekämpfen, hat man schon die ver schiedensten Vorschläge gemacht. Man hat erwogen, den Nicht- Wählern Geldstrafen aufzuerlegen, sie mit einer Sondersteuer zu belegen. Warum tut man es nicht? Man könnte in der Verfassung festlegen, daß jeder Deutsche verpflichtet ist, sein Stimmrecht bei Wahlen auch tatsächlich auszuüben. Dann würden Wahlen ein wahrheitsgetreues Bild von der politi schen Ueberzeugung und Meinung geben, die im Polke Herr- schen. Aber so, wie es bei den bisherigen Wahlen war, daß zehn Millionen in Deutschland ihr Wahlrecht nicht ausübten- kann man nicht davon sprechen, daß die politische Meinung des deutschen Volkes wahrheitsgetreu wiedergegeben wird. Aber wir wollen es nicht verhehlen: Die sogenannten Wahl - faulen schädigen sich selbst, wenn sie am Wahltage ihre Stimme nicht abgeben. Die Wahlfaulen gestatten damit, daß politische Kräfte ans Ruder kommen, auf deren Seite sie tat sächlich nicht stehen, und daß diese politischen Kräfte eine Po- litik betreiben, die vielleicht in sehr vielen Fällen gegen dis Interessen der Wahlfaulen selbst gerichtet ist. Gewiß, man kann den Wähler verstehen, wenn es ihm schwer wird, zwischen rund 30 Parteien, die sich um seine Gunst bewerben, zu entscheiden. Aber kann die Entscheidung so schwer fallen, wenn der Wähler von vornherein solche Parteien unberücksichtigt läßt, die keine Aussichten haben, in wirkungsvoller Stärke in den neuen Reichstag zu kommen? Kann es Menschen bei uns geben, die einer „Partei für die Hebung der Kaninchenzucht", um eine scherzhafte Übertrei bung zu gebrauchen, ihre Stimme geben, die, wenn sie wirklich vielleicht einen Reichstagsabgeordneten erhalten sollte, doch im neuen Reichstag für die Verwirklichung ihres Zieles über haupt,nicht einzutreten vermag? " Zehn Millionen Nichtwähler! Eine erschreckende Zahl. Es fehlt nickst an Appellen an das Verantwortungsbewusstsein der Wahlfaulen. Männer und Frauen, die Uber Namen von Klang in Deutschland verfügen, wie Rudolf Hertzog, Clara Diebig, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Prof. Spran ger, haben einen Aufruf an die Nichtwähler erlassen: „Wir richten den Ruf an die Partei der Nichtwähler: Diesmal greift ein!" Werden die Nichtwähler diesmal wirklich ein greifen? Die Abneigung gegen das politische Getriebe ist in weitesten Kreisen tief verwurzelt. Aber das Schicksal des Volkes ist das Schicksal jedes einzelnen. Jeder ist berufen, die Linie der deutschen Politik auch von sich aus zu beein flussen. Jeder, der am 14. September seine Stimme abgibt, bestimmt damit auch die politischen Machtfaktoren, die in Zu kunft in Deutschland maßgebend sein werden, und ist ein, wenn auch nur winziges Rad in dem Getriebe, das unsere gesamte zukünftige Außen- und Innenpolitik bestimmt Nicht wählen heißt, sich vor der Verantwortung drücken. Gefühlsmomente wie Wahlüberdruß, Abneigung gegen den „Parteiismus" oder Bequemlichkeit müssen ausgeschaltet wer den. Die Anteilnahme an der Wahl zeigt, ob dos deutsche Volk politisch bereits reif ist. Wer sich vor der Verantwor tung drückt, der hat auch kein Recht, sich über die Verhältnisse zu beklagen, der darf nicht nörgeln oder besscrwissen wollen. Das Volk hat sein Schicksal selbst in der Hand. Erfülle also jeder an seinem Platze seine Pflicht!