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Bis '/-10 Uhr vormittags eingehende Anzeigen finden am gleichen Tage Aufnahme Das Pulsnitzer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft u. des Finanzamtes zu Kamenz des Amtsgerichts und des Stadtrates zu Pulsnitz sowie der Gemeinderäte Großnaundorf und Weißbach behördlicherseits bestimmte Blatt Hauptblatt und älteste Zeitung in den Ortschaften des Pulsnitzer AmtSgcrichtSb^irkS: Pulsnitz, PulSnitz M. S., Großröhrsdorf, Bretnig, Hauswalde, Ohorn, Obersteina, Niedersteina, Weißbach,. Ober- und Niederlichtenau, FriedcrSdorf, Thiemendorf, Mittelbach, Großnaundorf, Lichtenberg, Kleindittmannsdorf Geschäftsstelle: PulSnitz, Albertstraße Nr. 2 Nummer 22S Druck und Verlag von E. L. FörsterS Erben (Inh. I. W. Mohr) Mittwoch, den 1. Oktober 1S3V Schriftleiter: I. W. Mohr in PulSnitz 0WM8W8NWWWWWWMWWWMWWWWU>WWWWI 82. Jahrgang Das Sparprogramm der Reichsregierung Fehlbetrag etwa Sott Millionen Mark — Einsparung vo« ruud 1 Milliarde Das Echo des Regierungsprogramms in der Berliner Presse — Wieder zollfreies Gefrierfleisch Dr. Curtius antwortet Briand Das neue Sparprogramm der Reichsregierung ist überaus umfangreich. In der Einleitung wird die Er klärung abgegeben, daß die Vorschläge der Reichs- regierung aus der Not der Zeit geboren seien. Richt höhere Steuern, sondern nur Sparmaßnahme«, Ent lastung und die Wiederherstellung des Vertrauens seien die Grundlagen, auf denen ein Programm der Regierung aufgebaut werde« könne. Das Programm beschäftigt sich dann zunächst mit dem Reichshaushall und stellt fest, daß im Reichshaushall 1930 mit einem Fehlbetrag von 750 bis 9OO Millionen Mark gerechnet werden muffe. Die Abdeckung dieses Fehlbetrages, der sich bei Abzug von 300 Millionen Mark für die Arbeitslosenversicherung auf 450 bis 600 Mil lionen Mart belaufen werde, soll in den Hauschalten der nächsten drei Jahre aus einem besonderen Fonds erfolgen. Durch ein sofort verabschiedetes Gesetz soll die Bildung dieses Fonds sichergestellt werden. Für das Jahr 1931/32 fordert der Vorschlag der Reichsregierung die Senkung der Ausgaben um rund eine Milliarde Mark Hierzu wird vorgeschlagen 1. Gehaltskürzungen. Beim Reichspräsidenten, dem Reichskanzler, dem Reichsfinanzminister und den Abgeord netendiäten soll die Kürzung 20 Prozent, bei Reichs beamten, Wartegeldempfängern, Nuhegeldempfängern 6 Prozent betragen. Die Senkung soll vom 1. April 1931 fürdieDauervondrei Jahren erfolgen. Die Reichshilfe soll mit dem 1. April 1931 fortfallen. Kinderzu lagen. sind ausgenommen. Personen, deren kiirzungspflichtige Abzüge 1500 Mark jährlich nicht übersteigen, sind von der Kürzung befreit. Bei der Re i chsbahn und Rei chs b ank sollen entsprechende Kürzungen durchgeführt werden. 2. Kürzung der Ueberweisungen. Durch die Senkung der Beamtengehäkter soll die Ueberweisung an Länder und Ge meinen um 100 Millionen gekürzt werden. Nach dem Rückgang der Einnahmen soll eine weitere Kürzung der Ueberweisungen von Ländern und Gemeinden um 88 288 Millionen Mark erfolgen. 3. Arbeitslosenversicherung. Der Ausgleich von Ein- nahmen und Ausgaben der Arbeitslosenversicherung soll ohneInanspruchnahmedesEtats durch Erhöhung der Beiträge auf 6^ Prozent sichergestellt werden. Für die Krisenfürsorge sollen nur 420 Millionen Rm. bereitgestellt werden. 4. Abstriche im Reichshaushalt. Die Ausgaben sollen gegenüber 1930 um 300 Millionen vermindert werden, insbesondere durch Kürzungen bei der Zentrale für Heimatdienst und beim Statistischen Reichsamt, das auf ein Mertel der Ausgaben beschränkt werden soll. Weiter soll der Tabak stärker belastet werden, und zwar durch einen Mehrbetrag an Zöllen und Steuern von 167 Millionen Mark. In Ländern und Gemeinden soll die Gehalts kür z u n g glei ch-falls durchgefirhrt werden. Außerdem sollen Länder und Gemeinden zu einheitlichen Sparmaßnahmen, einer verschärften Haushaltskontrolle, einer sparsameren Rechtspflege und einer Vereinfachung der Gemeinden ange halten werden. Der Vorschlag der Reichsregierung beschäftigt sich dann weiter mit der Vereinfachung des Steuersystems und sieht dafür vor eine vereinfachte Besteuerung der Landwirtschaft, bei der die Reichsvermögens- steuer künftig für Vermögen bis zu 20 000 Mark fortfallen soll. Außerdem soll die Grundvermögenssteuer, die Reichsvermögenssteuer und die ersten 10 Pro - zentderEinkommensteuer (also für die ersten 8000 Mark des Einkommens) durch die Grundver mögenssteuer als abgegolten gelkn. Ebenso soll eine vereinfachte Besteuerung der Klein gewerbetreibenden durchgeführt werden. Umfang reiche Maßnahmen find vorgesehen fiir die Verrechnung der GruudvernMgenssteuer. Bei der Umsatzsteu e r/ sollen Unternehmungen mit einem Gesamtumsatz von nicht mehr als 5000 Mark künftig der Umsatzsteuer nicht mehr unter liegen. Sehr eingehende Maßnahmen enthält das Programm über die Neuregelung der WohnungSwirtschaft. Das Programm gibt genau die Finanzierung des Wohnungs baues in den nächsten Jahren, insbesondere für Klein st - wohnungen, an. Im Haushaltsjahr 1931 sollen bis zu 215 000 Wohnungen erstellt werden, davon 165000 Wohnungen einfachster Art. Für Instandhaltung der Alt wohnungen und für Errichtung von Gebäuden in ländlichen Siedlungen sollen 40 Millionen Mark verwandt werden. — Weiter beschäftigt sich das Programm mit der Real steuersenkung. Die Grundsteuer soll um IO Prozent gesenkt werden, und zwar sowohl beim landwirtschaftlichen Grundvermögen wie beim Hausbesitz. Schließlich sieht das Programm Maß nahmen für den Finanzausgleich vor, der eine voll ständige Veränderung der Ueberweisungen der Anteile cm die Länder durchführt und eine Höchstgrenze für die Aus gaben der öffentlichen Hand. Es soll durch-ein besonderes Gesetz sichergestellt werden, daß für die Dauer von drei Jahren die Ausgaben in Reich, Ländern und Gemeinden keine Erhöhung erfahren dürfen. Alle höheren Einnahmen müssen zur Steuersenkung ver wandt werden. Die schwierigste Frage: Die Bekämpfung der Arbeits losigkeit. Aus den Erläuterungen des Regierungsprogramms geht hervor, daß ein Gesamtfehlbetrag von 1260 Millionen vor handen ist, zu dessen Abdeckung man zunächst für die nächsten drei Jahre je 420 Millionen Mark in den Etat emsetzen will. Um über den schwierigen Iahresschluß hinwegzukommen, ist ein Ueberbrückungskredit nötig, dm: durch eine Anleihe im Auslande ausgenommen werden soll. Das Regierungspro gramm selbst stellt zunächst nur eine Zusammenstellung der gedachten Richtlinien dar, während die notwendigen Gesetzes vorlagen erst noch zum größten Teile fertiggestellt werden müssen. Auch bei dem von der Reichsregierung geplanten Eingriff in das Etatsrecht der Länder und Gemeinden — sie sollen künftig ihre Etats nur unter Mitwirkung eines Reichs kommissars aufstellen können — ergeben sich große Schwie rigkeiten. Ferner liegen bereits Gerichtsurteile vor, die die Unzulässigkeit der Kürzung kommunaler Beamtengehälter — sie ist bekanntlich in Breslau verfügt worden und wird in den nächsten Tagen in anderen preußischen Städten ange ordnet werden — feststellen. Das schwierigste Problem jedoch bildet nach wie vor die Arbeitslosenversicherung. Hier hat nach einer Mitteilung des Reichsarbeitsministers die Reichsregierung den Beschluß gefaßt, die Beiträge zur Ar beitslosenversicherung mit Wirkung vom 1. Oktober ab um zwei Prozent zu erhöhen, wodurch eine Steigerung der Ver sicherungseinnahmen um 520 Millionen Mark erzielt werden soll. Aber auch mit dieser neuen erheblichen Belastung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer befürchtet man kaum die Dauerkrise überwinden zu können, da die Gestaltung des Arbeitsmarktes ein absolut unsicherer Faktor ist. Um einer weiteren Steigerung der Arbeitslosenziffer zu begegnen, kündigt der Reichsarbeitsminister für die nächste Woche bereits Besprechungen mit den Arbeitgebe.rn über eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit an. Aber selbst wenn die Arbeitslosigkeit jetzt auch ihren tiefsten Stand erreicht hätte, was leider kaum anzunehmen ist, dann taucht für das nächste Jahr die Sorge uni die mit einer Million Köpfe berechneten Krisenfürsorgeberechtigten, auf, wozu nach ministerieller Schätzung noch rund 780 000 Wohlfahrtsbedürftiger in den Gemeinden kommen. Hierüber sollen im Reichsarbeitsministerium sofort die entsprechenden Beratungen beginnen. Hierbei soll auch die Frage der Einlegung eines neunten Schuljahres er wogen werden, um auf diese Weise die Ziffer der ein» tretenden jüngeren Arbeitskräfte und Lehrlinse zu senken. Zur Frage der Einführung einer Arbeitsdienst- pflicht erklärte der Reichsarbeitsminister, daß dieses Problem ungangbar sein dürfte, da für die Unterbringungs möglichkeiten, Kleidung und Verpflegung von etwa 150 000 in Frage kommenden Verpflichteten riesige Summen Geldes nötig wären, die einen Nutzen der Arbeitsdienstpflicht illusorisch machen würden. Oer Reichspräsident ließ sich das Regierungs-Programm vorlegen. Der Reichspräsident empfing am Dienstag den Reichs kanzler vr. BrLning zu einer Besprechung über das Pro gramm der Regierung. Der Reichskanzler hatte ferner eine Unterredung mit dem preußische« Ministerpräsidente« Braun, in der er sowohl die Einstellung Preußens zu dem Programm der Reichsregierung offiziell feststellte, wie auch die Frage erörterte, wie weit der preußische Ministerpräsident gewillt ist, auf die sozialdemokratische Reichstagsfraktio«, die am Freitag zusammentritt, de« notwendige« Einfluß auszu- Lben, damit die Fraktion zunächst gegenüber der RerchsreK« rung Neutralität bewahrt. Finanzprogramm gegebenenfalls ohne Reichstag? Der Reichskanzler wird zunächst den Parteiführern das Programm als sogenanntes „unteilbares Ganzes" vorlegell mit der Erklärung, daß das Kabinett vom Reichstage die An - nahm« des gesamten Programms fordert. Das Kabinett wird außerdem den Versuch machen, eine Mehrheit für sein Programm zu finden. Die Aussichten dafür sind noch sehr ungewiß. Die Sozialdemokraten haben bereits gegen einen Teil des Programms ihren Widerspruch ange- mcldet. Das Zentrum wiederum ist nicht bereit, eine Re gierungsmehrheit mit den Nationalsozialisten zu bilden. Man will nur formal mit -er nationalsozialistischen Reichstagsfrak tion in Verhandlungen treten. Eine Minderheitsregierung hätte in diesem Reichstag auch kaum Aussicht auf lange Dauer. Es wäre deshalb durchaus möglich, daß nach ergebnislose« Verhandlungen die Reichsregierung den Versuch macht, ohne Reichstag zu regieren. Das Echo des Regierungsprogramms in der Berliner Preffe BerN«, 1. Oktober. Das umfangreiche Programm der ReichS- regierung zur Sanierung iker Finanzen von Reich, Ländern und Gemeinden wird von den Berliner Blättern ausführlich besprochen. Die „Germania" schreibt, das Programm lasse erkennen, daß hier eine zielbewußte Führung am Werke sei, die nicht nur die Symptome unserer gegenwärtigen Not sehe, sondern auch ihre Wurzel zu beseitigen suche. Es sei ein Programm der strengen Sachlichkeit. Sein ökono misches und politisches Gesicht sei durch das große Gesamtziel einer dauernden Ordnung der Finanzen und einer organischen Gesundung der Wirtschaft bestimmt. An keiner Stelle habe es deshalb Sonderinteressen und parteiegoistischen Bestrebungen Eingang gewährt. Der „Lokal anzeiger" bezeichnet das Programm der Reichsregierung alsStück - werk. Unter den Vorschlägen des Kabinetts seien unzweifelhaft eine Reihe von vernünftigen. Bemerkenswert sei aber, daß die angebliche Sanierung nicht ohne eine neue Belastung der Wirtschaft auskomme, die vor allem in der abermaligen Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bestehe. Vor allem bemän gelt das Blatt, daß das umfangreiche Programm mit keiner Silbe und keinem Gedanken an das Grundübel der deutschen Wirtschaft rühre. Es nehme die „Heiligkeit der Verträge", die Unabänderlichkeit des Versailler Diktats und der Aoungtribute als genau etwas so Ge gebenes, wie das nur Herr Briand und Herr Poincarä tun könnten. Die Sparmaßnahmen seien kein Befreiungswerk sondern eine Anpas sung an die wirtschaftliche und politische Versklavung. Die „DAZ" schreibt, das Regierungsprogramm sehe zweifellos nur insofern zunächst wie eine ErsüllungSpolitik aus, als versucht werden solle, den Aoung» plan solange durchzuführen, bis die R e v i so n s f r a g e mit größerer ErfolgsauSsicht als im Augenblick aufgeworfen werden könne. Gerade deshalb habe sich die Regierung bemüht, denjenigen finanzpoli tischen Anmerkungen Parker Gilberts Rechnung zu tragen, die auch von deutschen Kritikern der inneren Finanzwirtschaft unterstrichen worden seien. Das „Berliner Tageblatt" hebt hervor, daß das Regie rungsprogramm in mehr als einem Punkt beanspruchen könne, als daS Reformprogramm angesehen zu werden, dar seit langem gefor dert werde. Das Blatt glaubt, daß die Regierung ihr Programm nicht in allen Punkten als unabänderlich ansehe. Da die Regierung gesagt habe, was auf dem Spiele stehe, liege der Zwang zum Handeln auf den Parteien, vor allem auf der Sozialdemokratie. Die „Börsen zeitung" hebt anerkennen!» uervor, daß in dem Programm eine feste Führung der Staats» und Finanzpolitik zu erkennen sei und bezeichnet es als besonders bedeutungsvoll, daß man endlich daran gegangen sei, auch die Grundlagen für eine Gesundung der Länder- und Gemeinde finanzen zu schaffen, indem auch hier Lie personellen Ausgaben Lie gleiche Kürzung erfahren sollen.