Volltext Seite (XML)
Zu Gast im Lande Lenins 1. Fortsetzung Im „Akademie-Echo“ Nr. 11 schilderten wir die Ankunft in der sowje tischen Hauptstadt und die Erlebnisse des ersten Tages. Sehr beein druckte uns am nächsten Tag der Besuch in der Zentralstation für schnelle Hilfe 10 Uhr wurden wir abgeholt, und im dicken Verkehrsgewühl des äußeren Ringes fuhren wir zur Zentralstation für schnelle Hilfe. Der Bau ist alt, noch unberührt von der umfassenden Re konstruktion der Hauptstadt. Das In stitut besteht seit 1919; das entspre chende in Leningrad ist noch zwei Jahre älter. Selbstverständlich konnte die „schnelle Hilfe" nicht von Anfang an so vorbildlich organisiert sein. Wir wurden sofort zum Leiter der Einrichtung, dem Verdienten Arzt des Volkes Professor Schapiro, gelei tet. Nach freundlicher Begrüßung er klärte uns Prof. Schapiro das System der schnellen medizinischen Hilfe. Auf gabe der Einrichtung ist es, in dringen den Fällen schnell dem Patienten außerhalb der Klinik zu helfen bzw. ihn sofort in eine Spezialklinik zu brin gen. Es geht also nicht nur um die Versorgung der Unfallverletzten, son dern um alle, die akut lebensgefähr lich erkrankt sind, sowie um den Trans port der Schwangeren zur Geburts klinik. Schildern wir einmal den Ablauf und die Organisation einer solchen Ret tungsstation an einem Beispiel: Ein Mann erlitt einen schweren Herzanfall oder ein Koma diabetikum. Ein Zeuge des Vorfalls eilt zum nächsten Telefon und wählt, ohne Geld einzuwerfen, die Nummer 03. Keine Sekunde später ist die Verbindung hergestellt, und es werden Ort und Art des Unfalles bzw. der Erkrankungen aufgenommen. Die sofortige Sprechverbindung ist gewähr leistet; denn in der Telefonzentrale ar beiten jeweils bis zu acht Frauen. Wenn ein Gespräch kommt, leuchtet an jedem Platze ein Lämpchen auf, ein Schalter wird heruntergedrückt, und die Schnell ste der Telefonistinnen notiert die Da ten auf einer Karteikarte. Alle derarti gen Anrufe aus Moskau kommen hier her. Die Karteikarte wird zu den Dis patchern gegeben. So notwendig die Zentralisierung ist, so kompliziert wäre aber auch die schnelle Versor gung ganz Moskaus von einem Stütz punkt aus. Es gibt deshalb 22 Zweig stationen, zu denen eine eigene Tele fonverbindung besteht. Innerhalb einer Minute nach dem Anruf fährt von einer Zweigstation aus ein Rettungs wagen zum Unfallort ab. Mitunter - je nach zu erwartender Schwere des Vorfalls - fährt ein Arzt mit. Von den insgesamt 186 Autos sind 72 mit Ärz ten besetzt; in jedem Auto fahren außerdem zwei „Feldschere" mit. Letz tere verfügen über eine Ausbildung von zwei bis drei Jahren, dürften also in der Qualifizierung einem Pfleger ent sprechen. Der Patient wird entsprechend den Möglichkeiten der einfachen Rettungs wagen versorgt. Bei besonderen Schwie rigkeiten besteht die Möglichkeit, in der Zentrale die Oberärzte um Rat zu fragen oder den Einsatz von Spezial wagen anzufordern. Sechs dieser be sonders ausgerüsteten und mit speziell geschultem Personal besetzten Wagen gibt es, und zwar für folgende Zwecke: 1. Schockbehandlung und Schockpro phylaxe 2. Vergiftungen 3. Kinderbehandlung 4. akute Herz- und Kreislauferkran kungen 5. Traumen 6. Neuropathologie. Diese Wagen werden eingesetzt, wenn schon bei der Meldung die Not wendigkeit erkennbar ist oder wenn sie direkt angefordert werden. Doch wollen wir zunächst erst einmal den weiteren Gang der Rettungsaktion ver folgen. Der Patient muß operativ ver sorgt werden. Ein Wagen hat ein Lachgasnarkosegerät für Operationen am Unfallort, aber eine Klinik ist wohl besser geeignet. Der Verletzte wird des halb sofort der Spezialklinik überwie sen. Jeden Tag 11 Uhr liegt der Zen tralstation der genaue Stand der freien Betten vor für alle Krankenhäuser Mos kaus (insgesamt 100 000 Betten). So ist die Zentrale in der Lage, den Trans- Professor Schapiro, Leiter der Zentralstation für schnelle Hilfe in Moskau. port sofort an den richtigen Ort zu lenken. In der vorher informierten Klinik beginnt unverzüglich die Be handlung. Direkt an die Zentralstation ist eine Klinik für akute Herz- und Gefäßerkrankungen angeschlossen. Die rasche ärztliche Versorgung ist nicht die einzige Aufgabe der Einrich tung. Hier werden auch neue Metho den und Geräte erprobt und vor allem Ärzte als Spezialisten ausgebildet. Man strebt die Ausbildung des Facharztes für schnelle Hilfe an, der gründliche Kenntnisse in allen Fächern braucht, um rasch eine Diagnose stellen zu kön nen, aber auch handwerkliches Kön nen, da er ab und zu selbst lebens notwendige Eingriffe vornehmen muß. In beiden Abschnitten entscheiden das Können und die Schnelligkeit des Arz tes über das Leben des Patienten. Nach einem Rundgang durch die Zen trale schauten wir uns auf dem Hof den Spezialwagen für Traumen an. Neben den üblichen Einrichtungen ent hält er eine transportable Beatmungs- und Absaugvorrichtung, die eventuell auch in Wohnungen oder an anderen, für ein Auto nicht zugänglichen Stel len, verwendet werden kann, ferner eine Infusionseinrichtung mit Blut ersatzlösungen, einen Transistor-Elek- trokardiografen und einen Defibrilla tor bei Anfällen von Herzflimmern. Ein Mikrolabor auf der Basis von Indika torpapieren, sowie ein Kasten mit Instrumenten und Ampullen vervoll ständigen die Einrichtung. Sie werden verstehen, daß wir von der Besichtigung der Zentralstation sehr beeindruckt waren. Am Nachmittag besuchten wir die „Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft". Von dieser interessan ten Ausstellung berichten wir im näch sten „Akademie-Echo". Diethard Sturm Blick in die Telefonzentrale. Fotos: D. Sturm „Akademie-Echo", Seite 3