Volltext Seite (XML)
Blatt Amts und des Stadtrathes des Königs. Amtsgerichts WuLsnrh Abonnements - Breis Vierteljahr!. 1 M. 28 P>. Auf Wunsch unentgeltliche .tu- fenrung. NlS Beiblätter: 1 . Jllustrirtes Sonntagsblatt (wöchentlich); 2 Landwirthschaftliche Beilage (monatlich). KestHäftsstelren: Buchdruckercien von A. Pabst, Königsbrück, C. S. Kransche, Kamenz, CarlDaberkow, Groß röhrsdorf. Annoncen-VureausvonHaasen- stein L Vogler, Jnvalidendank, Rudolph Mosse und. G. L. Daube L Comp Insercrte sind bis Dienstag und Freitag Vorm. 9 Uhr aufzugebcn. Preis für die einspaltige Cor- puszeile (oder deren Raum) 10 Pfennige. Erscheint: Miltwo t) und Ionttabeni. schenk >^sür Pulsnitz, Königsbrück, Radeberg, Radeburg, Moritzburg und Rmgegend Druck und Verlag von E. L. Für st er's Erben in Pulsnitz. MchtundviexfigK-r- Uahugaug. s°°-r<° SonnaöenS. Rr. 94. 21. November 8W. A n m G o d t s n Ko n n t Ä g. Zum Todtenfest die Glocken schallen In dumpfen Klängen weit durchs Land; Und Alle hin zum Friedhof wallen Mil Blüthenkrünzen in der Hand. Wer müßt auch nicht ein Grab zu finden, Darinnen still ein Herz nun ruht, An welches Liebesfesseln binden, Das einstens treulich schlug und gut. Am Grabe denkt an's eigne Ende Der Eine wohl, und sinnt und sinnt, Der Andre faltet still die Hände, So manche heiße Thräne rinnt. Und Mancher auch da draußen stehet, Bereut, daß er einst Leid gesät — Umsonst: im Friedhofshauche wehet Das Trauerwort „zu spät, zu spät!" O lebe, handle so hienied n, Daß nichts Du zu beremn hast; Mit allen Menschen halte Frieden, Erleichtre Zedern seine Last. Dann weckt der Todtenglocke Klingen In Deiner Brust nicht grimmen Schmerz: Nur leise zieht aus Engelsschwingen Dir sanfte Wehmuth in das Herz. Bismarcksdebatte im Reichstag. Am Montag beschäftigte sich der deutsche Reichstag mit der CrntrumSinterpkllation: 1) Ob b.s zum Jahre 1880 ein geheimer Vertrag zwischen dem deutschen Reich und Rußland bestanden Pak. 2) Im Falle ein solcher Ver trag bestanden hat, welche Vorgänge dazu geführt haben, ihn nicht zu erneuern 3) Welchen Einfluß die jüngste Veröffentlichung über diese Angelegenheit an? die Stellung Deutschlands un Dreibund und sein Verhältniß zu den übrigen europäischen Mächten geübt habe. Hieizu nahmen Relchsregierung und Reichstag Stellung. Die Erklärung des Reichskanzlers Fürsten zu Hohen lohe hatte folgenden Wortlaut: Ueber die Verhandlungen, die vom Jahre 1887 bis zum Jahre 1890 zwischen Rußland und dem Deutschen Reiche stattgefunden haben, ist seiner Zeit unbedingte Ge heimhaltung verabredet worden. Der Ze IPunkt, von wel chem an diese Beipflichtung anfhöit, kann hiernach von UNS nicht einseitig bestimmt werden. Ich bin daher zur Zeit nicht in der Lage, über das Ergebnis; dieser Verhand lungen amtlich Auskuwt zu ertheilen. Was sodann die Haltung der deutschen Politik gegenüber Rußland seit dem Frühjahr 1890 betrifft, so 's! auch hier meinerseits eine erschöpfende Antwort nicht möglich, so lauge jene Verpflicht tung fortbesteht. Was in dieser Beziehung gesagt werden kann, überlasse ich dem Herrn StaatSsstretär des Aus- wärtigen Amts darzulegen, der damals am den Berathungen theilgenommen hat. Nach sorgfältigster Prüfung des vor handenen Materials kann ich nicht umhin, die Gründe, welche damals die deutsche Politik leiteten, als vollwichtig anzuerkennen. Dabei kann ich der Uebcrzeugung Ausdruck geben, daß eine ungünstige Veränderung in unseren Be- Ziehungen zu Rußland als Folge jener Politik sich nicht fühlbar gemacht hat. Die Behauptung, daß damals oder jetzt englische oder überhaupt auswärtige Einflüsse mitge- Wirkt hätten, muß ich als jeder Begründung entbehrend zurückweisen. Was die Wirkung betrifft, welche die jung- sten Veröffentlichungen auf die Stellung Deutschlands im Dreibunde und sein Verhältniß zu den übrigen europäischen Mächten gehabt haben, so freu? ich mich erklären zu können, baß die Wolke des Mißtrauens, welche sich im ersten Augen blick in einzelnen Schichten der Bevölkerung jener Länder gezeigt hat, wieder verschwunden ist, und daß unser Ver- hältniß zu unseren Verbündeten nach wie vor getragen ist von unbedingtem gegenseitigen Vertrauen! Desgleichen haben unsere 2 eziehungen zu Rußland keinen Augenbliä aufgehört gute und freundschaftliche zu sein. Freiherr v, Marschall, der nun an die Reihe kam und dessen Rede ohne Zweifel ein rhetorisches Meisterstück war, Wog gleichfalls offentsichtlich jedes Wort ab. Wenn der Nachfolger des Fürsten Bismarck über die Rückversicherung eine andere Auffassung als Fürst Bismarck hatte, so möge man diese Auffassung knttsiren, aber ein so verdienstvoller und gewissenhafter Mann sii doch erhaben über Angriffe solcher Art. Unser Bei hältniß zu Rußland habe dauerndere Grundlagen als jene Abmachungen. Auch seit 1890 hätten wir diese guten Beziehungen zu Rußland mit Erfolg ge pflegt. Gestützt auf unsere Vertragstreue Politik und die guten Beziehungen mit den fremden Mächten sowie auf die Zuverläffigkeit unserer Wehrkraft können wir unsere realen Güter pflegen und mit voller Zuversicht in die Zu kunft schauen. Als erster Redner in der Besprechung der Interpellation nahm Dr. Lieber vom Centrum, Gelegenheit, im Allge meinen seine Genugthuung über diese Anworten der beiden Staatsmänner zum Ausdruck zu bringen, wobei er, man möchte sagen, mit einer salbungsvollen, väterlich milden Gelassenheit sprach; er meinte aber, solche Abmachungen, wie sie die „Enthüllungen" der „Hamburger Nachrichten" verrathen hätten, sollten nie wieder abgeschlossen werden können, solange der Dreibund bestehe. Nach einer Rede deS konservativen Führers Frhr. v. Manteuffel, der die Interpellation nicht gern sah, und einer Darlegung des Nationalliberalen l)r. Enneccerus, der in kräftiger Weise für die geniale Bismarck'sche Politik eintrat, erklärte der Vertreter der Reichspartei Frhr. v. Gültlingen — Graf Herbert Bismarck saß in aller Gemüthsruhe auf hinein Platze und schrieb Briefe, — daß seine Freunde nur bei Angriffen in die Debatte eingreifen würde. Ganz anderer Meinung war Eugen Richter, der die schöne Gelegenheit nicht vorübergehen lassen konnte, seinem alten, „intimen Feinde" ein'ge geharnischte Entrüstungsrufe ins Gesicht zu schleudern. Doch mußte man ohne Weiteres anerkennen, daß er nicht seinem besten Tag hatte. Seine Auslassungen reizen zum Lachen. Er tadelt natürlich den Abschluß des Vertrages mit Rußland nicht minder, wie die nunmehr erfolgte Bekanntmachung durch die „Ham burger Nachrichten" und floß über vor Lodschätzung des Grafen Caprivi und seiner Handelsverträge. Im zweiten Theile seiner Rede wurde Richter wärmer und lebhafter, seine Ausfälle gegen den Fürsten Bismarck regneten hagel dicht, und Graf Herbert saß aus der Rechten und drehte eifrig ans seinem Schnurrbart. Der Vorwurf des „groben Vertrauensbruchs" kehrte natürlich in der Rede Richters wieder, wie er in der radikalen Presse ununterbrochen er hoben worden war, und das Wort, man möge des Alters des Fürsten Bismarck wegen Gnade vor Recht ergehen lassen, gehöit zu den leider oft gefallenen Aussprüchen, die Vie Unfähigkeit mancher Deutschen zur Ehrung und An erkennung ihrer wahrhaft großen Männer kennzeichnen. Ein trauriger, ekler, zur Buße mahnender Anblick war dieser Reichstag, dec sich in seiner großen Mehrheit im Saal und auf den Tribünen, bei den, sarkastischen Angriffen eines Eugen Richter auf den großen Bismarck vor Lachen beinahe wälzte, seine Freude bekundend, daß der Esel dem Löwen einen Fußtritt zu geben versuchte. Die Bismarcks-Debatte war nun natürlich in Hellem Zuge. Schon der nächste Redner, der Conservative Graf Mirbach, brachte eine lebhafte, rechts äußerst warm be grüßte Anerkennung der Thätigkeit Bismarck's und nament lich seiner Russenpolitik. Er sei bei den Bekanntgebungen des Vertrages von dem Wunsche getragen worden, seinem Vaterlande einen großen Dienst zu leisten. Der Gipfel der Unverschämtheit sei es, zu sagen, Bismarcks Ausführungen richteten sich gegen die höchste Person. Die temperament vollen Ausführungen des Redners erweckten stürmischen Beifall und höhnischen Wiederspruch. Die elektrischen Lampen flammten auf, als Herr Lieb knecht, der Gemaßregelte von Gotha, das Wort ergriff. Der alte Vorkämpfer des Proletariats hat thatsächlich viel an seiner Frische und Geistesschärfe verloren, er bewegte sich zumeist in abgefahrenen Bahnen. Heute gab er eine lange mit allerlei Ausfällen auf Bismarck wohlgespickte geschichtliche Darlegung, die nur hier und da die Rechte zum Widerspruch reizte. Allmählich leerte sich der Saal fast ganz und Herr Liebknecht predigte mit Hohenpriester- Haft erhobenen Händen vor einem Auditorium von zwei Dutzend Mann. Daß man Herrn Liebknecht nicht ernst nehmen könne, wenn er den Fürsten Bismarck einen großen Verbrecher nenne, das war der erste, nicht sehr freundwillige, aber hier nicht völlig unberechtigte Ausspruch des Abge- ordneten von Kardorff, der mit seinem jugendlich hitzigen Temperament die Vertheidigung Bismarcks wieder aufnahm und dabei oftmals zum Angriff namentlich gegen Richter überging. Auch er betonte aufs Schärfste, daß Bismarcks Handeln nur von dem Wunsche nach dem Wohle des Vaterlandes veranlaßt worden sein könnte. Im Name:: seiner gesammren Fraktion sprach dann der nationalliberale Professor vr. Paasche gleichfalls sehr warm und voller begeisterter Sympathie für den Fürsten und seine Politik. Nach der Ablehnung eines Vertags-Antrag durch den arbeitslustigen Reichstag kam noch Liebermann von Sonnen berg zum Wort, um mit seiner gewaltigen Stimme, und mit einem Uebermaß von Lachen erregenden Witzen die Gegner anzugreifen, und den Fürsten Bismarck zu preisen. Als er diesen den „ewig unabsetzbaren" Kanzler nannte, brachen alle Reichsbvten in Gelächter aus, und auch der jetzige Kanzler nahm die unfreundliche Kritik mit mildem Lächeln auf. Im Gegensatz zu diesem Redner wetterte der schwäbische Volksparteiler Haußmann mit voller Wuchte gegen den „Verräther von Staatsgeheimnissen." Das Bemerkens- wertheste der heutigen Debatte sei, daß Graf Herbert Bis marck kein Wort zur Vertheidigung seines Vaters gefunden habe. Sodann polemisirte der Redner gegen die Antisemiten, die ihre Defekte mit dem Namen Bismarck's verdecken wollten, und verlor sich schließlich in ollerei politischen Er örterungen, die nur nach wenig Interessen wach riefen. Rickert (freis. Ver.) meint gleichfalls, daß Bismarck als inaktiver Staatsmann zu den Enthüllungen nicht berechtigt gewesen fei. Abg. Graf v. Bismarck (b. k. F.) erklärt in Folge von Angriffen mehrerer Vorredner, daß ihm von einem Interview eines Vertreters des „Neuen Wiener Tage blattes" nichts bekannt sei; eben so wenig über ein Inter view über die Währungsfrage. Damit ist die Interpellation erledigt. Zieht inan das Facit der ganzen Debatte, fo kann man Herrn Rickert nur beistimmen, der erklärte, er wisse nicht, was der Kern derselben sei. Dieser Meinung werden die meisten Zuhörer gewesen sein; unendlichen Aufwand an Wortschwall und dröhnendem Pathos auf Seiten der Oppositionsgruppen um eine Sache, von der sie nichts wußten und auch vom Bundesrathtische aus nichts erfahren hatten. Was die Regierungserklärung anbelangt, so ist die des Herrn Reichskanzlers formell jedenfalls correct und unantastbar; dennoch wäre es für Deutschland vielleicht nützlicher gewesen, wenn Fürst Hohenlohe unumwunden für die Richtigkeit der Bismarck'schen Politik, wie sie sich in dem deutsch-russischen Vertrage bekundet, eingelreten wäre und den hohen Werth der großen Friedensbürgschaft betont hätte, die damit für Deutschland und seine Verbündeten verknüpft gewesen war. Die jetzigen Regierungserklärungen lassen immer noch Raum für die Meinung, als ob Deutsch land sich der Sache zu schämen und viel zu verbergen hätte. Im Gegentheil: Der deutsch-russische Vertrag kann das hellste Licht der Oeffentlichkeit vertragen und bildet ein unantastbares Lorbeerblatt in dem reichen Kranze der Bis- marckschen Politik. Ob Rußland heute noch einen Grund hat, die Veröffentlichung eines jetzt hinreichend bekannten und seit sechs Jahren abgelaufenen Vertrages nicht zu wünschen, vermögen nur die Eingeweihten zu beurtheilen. Das geplante Scherbengericht gegen den Fürsten Bismarck und die auf diese Weise angestrebte Annullirung des kaiser lichen Telegramms vom 23. März 1895 hat mit einem großen Fiasco geendet. Die national gesinnten Parteien haben im Gegentheil eine willkommene Gelegenheit gehabt, ihre damalige Haltung vor aller Welt von Neuem zu be kunden.