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Allgemeiner Anzeiger : 16.12.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-12-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190312168
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19031216
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-12
- Tag 1903-12-16
-
Monat
1903-12
-
Jahr
1903
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 16.12.1903
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poliizscbe Aunäscbäu. Dentschlanv. *Aus Gmunden verlautet, daß die Ver lobung des Großherzogs von M e ckl e nb u r g - S ch w e ri n mit A l e x a n- dra, der zweiten Tochter des Herzogs von Cumberland, bereits vollzogen ist. Die offizielle Bekanntgabe der Verlobung soll am 21. Dezember, dem Silberhochzeitstage des Her zogspaares, erfolgen. Der Großherzog ist am s. April 1882, die Prinzessin am 29. September 1882 geboren. *Die Etatsberatung im Reichs tage soll nach der Vereinbarung des Seuiorm- konvents vom 12. bis 1t. d. unterbrochen werden, damit zunächst die Vorlage über die Verlängerung des deutsch-englischen H a nd e l s p r o v i so r i n m s erledigt werde. Nach Beendigung der ersten Lesung des Etats sollen die Weihnachtsferien beginnen. "Im Reichstage haben sich die Antisemiten und die ihnen nahestehenden Gruppen zu einer „wirtschaftlichen Vereinigung" zu- sammengeschlosfen und damit dem Hause gegen über sich die Rechte einer Fraktion gewahrt. Der wirtschaftlichen Vereinigung gehören die drei antiseMjisH-n A Weil': Reformer, Leutsch- Soziale und Christlich- Soziale, sowie die bayri schen und württembergischen Bauernbündler an. *Die einzelstaatlichen Gutachten über den ersten Entwurf wegen des Versicherungs vertrages sind teilweise zu spät einnegangen, nm es zu ermöglichen, daß der in Frage stehende Gesetzentwurf früher als in der zweiten Tagung der laufenden Legislaturperiode an den Reichstag gelangen wird. * In Zenirumskreisen beabsichtigt man, einen Antrag einzubringen, wonach Portofrei- heit gewährt werden soll für Pakete, welche Soldaten nach Hause senden, sowie einen Antrag, wonach im Interesse der heimischen Landwirtschaft die Einberufung nicht Während der Heuernte stattfindeu darf und denjenigen Gemeinden, welche in außergewöhn licher Weise von Einquartierungs lasten betroffen werden, eine erhöhte Entschädigung hierfür zu teil wird. *Uber das V o l k s s ch u l w e s e n im Reiche werden nach den letztjährigen Etats ergebnissen der einzelnen Bundesstaaten folgende statistischen Angaben mitgeteilt: Die Zahl der öffentlichen Volksschulen betrug 58164; an ihnen unterrichteten 122145 Lehrer und 22 339 Lehrerinnen. Die Zahl der Schüler und Schülerinnen der öffentlichen Volksschulen belief sich auf 8 829 812. Die gesamten Jahresauf wendungen für die öffentlichen Volksschulen be trugen nahezu 413 Mill. Mk.; davon wurden von den Staaten rund 120 Millionen beige steuert. Auf eine Lehrkraft entfielen im Durch schnitt 61 Schüler; jeder Volksschüler verursachte einen durchschnittlichen Kostenaufwand von 47 Mk. jährlich. Außer den öffentlichen Volks schulen bestanden noch 614 Privatschulen mit Volksschulziel, die von 39 199 Kindern besucht wurden. * DaS Schicksal des Karten- brief es scheint endgültig besiegelt zu sein. Die Nachfrage nach dem Kartenbrief ist seit seiner Einführung stetig zurückgegangen. Es kommen jetzt wenig über 40 Kartenbriefe auf eine Verkaufsstelle im ganzen Jahr. Im Durchschnitt kommt noch nicht ein Karteubrief bei jedem Postamt in der Woche zum Verkauf. Wenn auch noch keine Entscheidung vorliegt, so dürfte doch die Abschaffung des unbeliebten Verkehrsmittels nur eine Frage der Zeit sein. *Eme Erweiterung der Tätigkeit der Sch öffengerichte nach oben hin steht in Hessen in Aussicht. Diese Ankündigung machte der hessische Justizminister Dr. Dittmar dem Gesetz gebungsausschuß der Zweiten Kammer. Die Agrarier versuchten nämlich, die Funktionen des Fcld- rügcgerichts drn Schöffengerichten zuzuweisen. Gegen eine derartige Vermehrung der Tätigkeit der Schöffengerichte erhob der Justizminister Wider spruch mit dem obigen Hinweis, daß eine Erweite rung der Tätigkeit dieser Gerichte nach oben hin, hauptsächlich zur Entlastung der Straf kammern, erwogen werde. Dieser Umstand sei als ein erfreuliches Zeichen der ersprießlichen Arbeit der Schöffengerichte zu begrüßen. * Aus der Schutztruppe für Deuts ch - S ü d w e st - A f ri k a treffen Ende März 1904 225 Mann in Deutschland ein, die aus der Schutztruppe ausgeschiedeu sind. Der Ersatz tritt im Januar 1904 die Ausreise nach Deuisch- Südwest-Afrika an. Österreich-Ungarn. *Jm österreichischen Abgeord- neten Hause hat man sich wieder einmal vergebens bemüht, das festgefahrene Arbeits schiff flott zu machen. Der Versuch, die Vor lage betr. die Geschäftsordnungs- Reform zur Verhandlung zu bringen, ist an dem Widerstande der kleineren Parteien ge scheitert, da diese sich weigerten, ihre Dringlichkeitsanträge zurückzustellen. Tatsächlich hätte die geplante Reform nur die Obstruktion kleiner Gruppen unmöglich gemacht, aber nicht diejenige großer Parteien. Das Abgeordneten haus muß sich also nach den Weihnachtsferien mit den tschechischen Dringlichkeitsauträgen be schäftigen. * Das Haus hat seine Tagung been digt, ohne daß auch nur die geringste positive Arbeit geleistet worden Wäre. " Alle Parteien sind empört über das frivole Spiel der tschechischen Obstruktion, und es sestigt sich überall die Über zeugung, daß endlich Wandel geschaffen werden müsse. Wenn nach der Tagung der Dele gationen die Tschechen nicht zu besserer Einsicht kommen, wird der Reichstag aufgelöst werden und gleichzeitig mit dem Vollzug der Neuwahlen werden auch noch andre wichtige Reformen geplant, welche die Arbeitsfähigkeit des Hauses ermöglichen sollen. Nicht nur die Deutschen, sondern auch die Polen und die Klerikalen sind entschlossen, die Wiederholung einer so gänzlich unfruchtbaren Session, wie es die abgelaufene war, nicht mehr zu dulden. *Die österreichischen Offiziere müssen laut neuerer Verordnung künftig ins gesamt neben dem Deutschen noch eine zweite Landessprache beherrschen. Italien. * Wie das Pariser ,Journal' aus Rom be richtet, hat der Bapst eine Prüfung der von der katholischen Kirche verehrten Reliquien ungeordnet. Sämtliche Reliquien, deren Echt heit nicht unzweifelhaft feststeht, sollen vernichtet werden. Portugal. * König Alfons von Spanien ist am Donnerstag zum Besuch des portugiesischen Hofes in Lissabon ,eingetroffen. dalkanstaaten. *Der Vorschlag, zum Oberkomma n- danten für die mazedonische Gen darmerie einen Italiener zu ernennen, hat die Billigung sämtlicher Großmächte ge funden. Italien wird in den nächsten Tagen seinen Kandidaten namhaft machen. Der Ober kommandant erhält bekanntlich einen österreichisch ungarischen und einen russischen Gehilfen. Eng land verlangt nun für sich ebenfalls das Recht, einen Adjunkten zu stellen. * Die diensthabenden Offiziere nm die Person des Königs Peter, die als Teil nehmer an dem Komplott gegen den König Alexander bekannt sind, sollen in der nächsten Zeit von ihren Posten am Hofe entfernt werden. Um Aufsehen dabei zu vermeiden, wird dies auf Grund des neuen Hofdienst-Reglements ge schehen, welches bestimmt, daß die Personen des Hoidienstes nach je sechs Monaten gewechselt werden können. Zu Neujahr ist diese Frist für den ersten Hosdienst abgelaufen, und man er wartet, daß dann von dieser Bestimmung des Reglements Gebrauch gemacht werde. Eine andere Meldung behauptet, Österreich und Rußland verlangten, daß die kom promittierten Offiziere nicht bloß aus der Umgebung des Königs, sondern auch aus der serbischen Armee entfernt werden. Amerika. * Die Washingtoner Bundes-Regierung ent sendet 3000 Mann nach Panama. Ange sichts der ans dem Kaualvertrage von Nord- Amerika zu erwartenden 10 Mill. Dollar werden in Panama heftige Kämpfe um die höch - sten Staatsämter entbrennen *Die Ver. Staaten haben am Donnerstag von Guantanamo auf Cuba als ame rikanischer Flottenstatiou Besitz er griffen. Zu dem Akte, der ohne besondere Feierlichkeit vor sich ging, waren 400 amerika nische Seesoldaten und 300 Matrosen gelandet worden. Afrika. * Die im englischen Heere dienenden Somali- Leute haben sich nach einem in Aden um laufenden Gerücht empört und dem tollen Mullah angeschlossen. Jus clem Aeickstage. Der Reichstag setzte am Donnerstag die erste Etatsberatung in Verbindung mit der Beratung der Vorlage betr. die Finanzreform fort. Abg. Bebel bezeichnete die Lage der Finanzen als eine trostlose. Das Zentrum habe durch seine Bewilligungen für Heer, Flotte und Marine die jetzige Finaazmisere verschuldet. Bei Besprechung der Lage von Kiautschou meinte Redner, Deutschland solle Rußland gegenüber im „fernen Osten" wenigstens sein moralisches Ge wicht in die Wagschals werfen. Anknüpfcnd an die Heeresforderungen tadelte er den überhandnehmenden Paradedrill, bekämpfte die Wehrsteuer und wandte sich der Handelsvertragsfrage zu. Redner führte Beschwerde über Vereitelung des Koalitionsrechtes durch das Unternehmertum, wobei er auf den Streik in Krimmitschau zu sprechen kam. Reichskanzler Graf b. Bülow wies die Angriffe Bebels gegen die Armee energisch zurück, bedauerte, daß Bebel durch seine Auslassungen über Rußland unsere guten Be ziehungen zu dem Nackbarreich störe, und erklärte die Besorgnisse wegen Einführung von Schiffabrts- abgaben unter Hinweis auf die Rcichsverfassung für unbegründet. Graf Bülow ironisierte den Nus des Abg. Bebel nach mehr Freiheit unter Hinweis auf die Tatsache, daß keine Partei die Rede und Koalitionsfreiheit anderer Parteien weniger achte, als die Sozialdemokratie; das habe man auf dem Dresdener Parteitage gesehen. Die Sozialdemokratie handle nach dem Motto: Willst du nicht mein Bruder sein, schlag ich dir den Schädel ein. Es sprachen noch der sächs. Bevollmächtigte Fischer, der die behördlichen Maßnahmen im Krimmitschauer Streik rechtfertigte, und Abg. Graf Stolberg. Am 11. d. wird die erste Beratung des Etats und des Gesetzes betr. Änderungen im Reichsfinanzwesen fortgesetzt. Abg. Sattler lnat.-lib.) gibt der Hoffnung Ausdruck, daß der Kaiser bald völlig von seiner Krankheit genesen sein werde, und wendet sich dann zunächst der durch den Grafen Stolberg angeregten Frage zu, ob sich nicht eine Vereinigung der Rechnungskommission mit der Budgetkommission em pfehle. Redner steht dem Gedanken sympathisch gegenüber. Zur Finanzreform übergehend — er hält eine grundlegende Reform für notwendig — gibt er zunächst einen Überblick über die Entwicke lung unserer finanziellen Verhältnisse. In dem dem Hause vorgelegten Entwürfe bezeichnet er die Be stimmung über die Verwendung der Überschüsse als einen erfreulichen Fortschritt. Redner verlangt zum Militäretat Maßnahmen gegen den Luxus im Offizier- korps und gegen die Sowatenmißhcmblungen. Durch bessere Bezahlung der Unteroffiziere werde man besseres Menschenmaterial gewinnen. Nach einer Polemik gegen Polen und Welfen bedauert Redner, daß Hüssener nicht schon früher aus dem Marinedienst entlassen sei, und tritt für Schaffung einer Reichs eisenbahngemeinschaft eüt. DaS Börsengesetz müsse geändert werden, um der Erschütterung von Treu und Glauben im Handel ein Ende zu machen, ebenso müßten die Börsensteuern erniedrigt werden. Hohe Zeit sei es, daß die Regierungen endlich dem Diätenantrag zustimmten. Redner bekämpft den Toleranz- und Jesuitenantraa des Zentrums und behandelt sodann die in den Anträgen der National liberalen niedergelegten sozialpolitischen Forderungen unter Polemik gegen die Sozialdemokratie. Kriegsminister v. Einem gibt dem Bedauern Ausdruck, daß er bei seinem ersten Auftreten als Minister so peinliche Dinge zu besprechen habe, wie sie in der Diskussion berührt worden seien. Der Fall Forbach sei beklagenswert, aber es sei ein Aus nahmefall. Die dort bloßgestellten Offiziere seien nicht deutsche Offiziere dem Geiste nach gewesen, und schwere Schuld treffe die Schwäche des Bataillonskom mandeurs, der seine Stellung nicht ausgefüllt habe. Weder die kleine Garnison sei verantwortlich zu machen, noch handle es sich um Offiziere, die zum Train versetzt seien. Der Train ergänze sein Offi zierkorps selbständig. Auch von zu großer Exklu sivität der Offiziere könne nicht die Rede sein. Er verbürge sich dafür, daß ein zweites Forbach in der preußischen Armee nicht möglich sei. Die Abnahme der Mißhanblungsfälle belegt der Kriegsminister mit einer Statistik. Er sei der Meinung, daß die der Armee zum schwersten Schaden gereichenden Roheiten ganz verschwinden müssen, wie es der wiederholt kundgegebene Wille des Kaisers selbst sei. Aber kleine Tätlichkeiten, zu denen oft der passive Wider stand Böswilliger die Unteroffiziere reize, könnten niemals ganz ausgeschlossen werden, über solche Tätlichkeiten pflege man sich ja auch nicht auszu- regcn, wenn sie Arbeiter gegen Arbeiter ausübcn. Das mit der Armee im engsten Zusammenhänge stehende Volk habe gewiß ein Recht, Wer alle Vor gänge unterrichtet zu sein, aber es wäre verhäng nisvoll, wenn eine Kritik, die nur darauf ausgehe, dem Soldaten die Freudigkeit des Dienstes zu nehmen, die .Oberhand gewinnen sollte. Der Behauptung des Abg. Bebel, daß das Geschütz von 1896 eine minderwertige Waffe sei und baß bei seiner Einführung bereits ein fertiges Rohrrücklaufgeschütz vorgelegen habe, tritt der Minister an der Hand historischer Tatsachen entgegen. Er würde, obwohl wir zu einem Rohrrücklaufgeschütze kommen müßten, dem jetzigen deutschen Geschütze vor dem zu schweren und zu komplizierten französischen immer noch den Vorzug geben. Abg. Richter (frs. Vp.) gibt dem Kriegsminister darin recht, daß die Forbacher Vorgänge nicht als typisch anzusehen seien; die Hauptschuld trüge die Absonderung der Offiziere in den Kasinos, wodurch auch der Luxus befördert werde. Bezüglich der Soldatenmißhandlungen sei es zu begrüßen, daß wir jetzt die Öffentlichkeit des Verfahrens hätten. Auf die Finanzsragen übergehend, bezeichnet er die I^ex Stengel als einen Versuch des früheren bay rischen Staatsrats, die ungedeckten Matrikularbeiträge ganz aus der Welt zu schaffen, und als Nötigung zu neuen indirekten Steuern. Im übrigen polemi siert Redner gegen Aufrechterhaltung der ostafiatischen Besatzung und gegen die Kolonialbahnen, wobei er den Vorschlag macht, Südwestafrika den Buren zu überlassen. Schließlich kommt Abg. Richter noch mals auf die finanziellen Fragen zu sprechen. DaS Neichsschatzamt sei nichts als eine Art Oberbuch halterei, daher hätten seine Reformen auch nur einen rein formalen Charakter. Dringend not wendig sei ein selbständiger Reichsfinanzminister, denn der Bundesrat sei doch nichts als eine Schutz truppe der Einzelstaaten gegen Erhöhung der Mairikularbciträge. Neichsschatzsekretär Frhr. v. Stengel: Eine höhere Belastung der Einzelstaaten durch Matrikular beiträge ist ausgeschlossen. Die vom Herrn Vor redner gewünschte Vorlage über die Börsensteuer hoffe ich im Januar einbringcn zu können. Das Bewilligungsrecht des Reichstages wird durch die Finanzreformvorlage nicht angetastet, da ein beweg licher Faktor von 100 Millionen bleibt. Auch die Matrikularbeiträge sollen als äußerster Notbehelf er halten bleiben. Mit neuen Steuern hat die Vorlage rückus zu tun. Ich hoffe also, daß die Vorlage nach vorurteilsfreier Prüfung in der Kommission schließlich Annahme findet. Abg. v. Kardorff (freikons.): Mit dem Ge danken der Reichseinkommensteuer wird von den verschiedenen Parteien direkt unlauterer Wettbewerb getrieben. Die Herren wissen doch genau, daß eine Majorität für diese Steuer in zehn, zwanzig Jahren nicht zu haben ist. Wir fahren mit Windeseile in den Zukunftsstaat hinein; wenn man anderthalb Millionen auf die Mitläufer abrechnet, so bleiben noch anderthalb Millionen wirkliche Sozialdemokraten übrig. Auch 1848 habe man nicht an eine Revo lution geglaubt, aber bei den Revolutionen verlieren alle Menschen oen Kopf. Bedauerlich ist, daß das Sozialistengesetz seinerzeit durch ein Mißverständnis aufgehoben worden sei. Mindestens muß man allen Sozialdemokraten das aktive und passive Wahlrecht nehmen. — Darauf wird die Weiterberatung vertagt. unä fern. Die feierliche Verteilung der vier Nobel preise fand am Donnerstag abend in Stock holm in Gegenwart des Königs statt. Die drei anwesenden Empfänger der Preise, Becquerel, Arrhenius und Björnson, nahmen aus der Hand des Königs die Preise und die goldene Nobelmcdaille entgegen. Finsen-Kopen- hagen, der durch Krankheit am Erscheinen ver hindert war, wurde durch den dänischen Ge sandten, das Ehepaar Curie-Paris, das eben falls nicht anwesend war, durch den französischen Gesandten vertreten. Die Erkrankung des Reichstaysabge ordneten v. Vollmar führt die sozialdemo kratische ,Münch. Post' auf die Tatsache zurück, daß er in dem Zuge saß, der bei Schöngeising entgleiste. Hier habe er offenbar eine Erschütte rung des Rückenmarks erlitten, die ziemlich schwere Folgen zeitigte. K f)erta falk. 2j Roman von Theodor Almar. lss rrl'etzui 6.) „Das Rezept war ganz in Ordnung, gab eine schwache Dosis des Giftes an, wie die Arzte sie bei gewissen Herzleiden verschreiben. Auch in der Apotheke war kein Irrtum be gangen worden, das konnte bewiesen werden." „Sonderbar!" „Die Sektion der Leiche wurde vorgenommen und die Untersuchung wies Symptome von Digitalinvergistung nach." „Aber die Beweggründe zu solcher Tat?" „Erbschleicherei! Es hieß, Falk hätte da von gewußt, daß die Baronin zu seinen Gunsten ein Testament gemacht habe, jedoch im Begriff gewesen sei, dasselbe wieder aufzuheben, da sie sich in letzter Zeit mit einem in Amerika lebenden Neffen — ihr nächster und einziger Verwandter, mit welchem sie lange Zeit ent zweit gewesen sei — wieder ausgesöhut hätte und diesem seine Ansprüche nun doch nicht schmälern wollte. Dies zu verhindern, hätte den Doktor bewogen, ihr eine kräftige Dosis des seit Jahren gegen ein Herzleiden bei der Baronin angewendeten Mittels zu ver abreichen. Es wurde augenommeu, daß Falk zu der aus der Apotheke verschriebenen Arznei noch im Besitz von Digitalin gewesen sein müsse und daß er die Dosts eigenhändig ver stärkt hätte am Abend vor dem Tode seiner Patientin, wo er dieselbe zum letzten Male ge sehen und stundenlang allein mit ihr im Zimmer war Unerklärlich! Ein Falk als Erbschleicher! — Es wurde auch in der Tat ein von der Hand der Baronin geschriebener „Letzter Wille", in welchem Falk zum Erben eingesetzt, der Neffe aber nur mit einem verhältnismäßig mageren Legate bedacht war, in dem Schreibtische der Verstorbenen gefunden. Vergebens waren alle Versicherungen Falks, daß er unschuldig an dem Tode seiner von ihm verehrten Patientin sei, daß er nichts von den Verfügungen derselben über ihr Vermögen gewußt und sich den Fall nicht erklären könne. Die Angaben der Zeugen und das war die Dienerschaft der Verstorbenen, vor allen die alte Ulrike, beschuldigten den Doktor aber der maßen, daß der Staatsanwalt einschreiten mußte. Die Kunde von der Verhaftung Falks ergoß sich wie ein Lauffeuer durch Stadt und Um gegend. Niemand wollte anfangs daran glauben; der Fall schien so unwahrscheinlich, daß Feind und Freund daran zweifelten. Unser besonnener, opferwilliger, stets andern zu helfen bereiter, menschenfreundlicher Falk ein Erb schleicher und Giftmischer — das konnte ja nicht fein! Das konnte nur eine Mär, ein giftiges Geschwätz, eine boshafte, teuflische Erfindung sein! — Der Direktor des Stadtgefängnisses war Falk befreundet. Ich besuchte diesen und tief betrübt teilte derselbe mir mit, daß die Sache um den Halbgott der Stadt doch recht schlimm stehe, da alle Erhebungen ihn belasteten. Nach den äußeren Umständen waren es die Aussagen der eiwähnten Dienerschaft der Baronin, welche weit in die Vergangenheit griffen und manches hervorhoUeu, was. durch niemand widerlegt,. weil eben für Falk keine Zeugen da waren, den Schein der Glaubhaftigkeit annahm. — Die Voruntersuchung ward, wie es schien, durch den Staatsanwalt selbst verzögert, weil derselbe immer hoffte, es werde sich zugunsten Falks irgend ein Umstand geltend machen lassen. Aber vergebliches Hoffen; es konnten außer Falks Unschuldsbeteuerungen keine Beweise für ihn beigebracht werden, um so weniger als man in seinem Besitze wirklich ein Gläschen mit purem Digitalin gefunden hatte. Endlich wurde der Tag der Gerichts verhandlung angesetzt, ohne Ausschluß der Öffentlichkeit, wie es anfangs hatte geschehen sollen. Du kannst dir gar keine Vorstellung von der Aufregung machen, welche an dem Tage in unserm Städtchen herrschte. Die Menschen strömten nach dem Gerichtsgebäude und lange vor Beginn der Verhandlung war der große Saal gefüllt. Hunderte fanden keinen Einlaß mehr. Nicht Mr alle Bänke waren dicht gedrängt voll besetzt, die Leute standen Schulter an Schulter bis an die geschlossenen Türen. War doch ein jeder begierig, den An geklagten zu sehen, der seiner Schuld schon so gut wie überführt war. Wie war man gespannt, den vortrefflichen Redner sich verteidigen zu hören! Wie wurden die Neugierigen aber und wenn er Feinde gehabt, auch diese gründlich enttäuscht! Das war nicht das Gesicht eines sich schuldig fühlenden Mannes, das war der selbe Falk, den wir lieben und schätzen gelernt hatten! Nein, unmöglich, das war kein Ver brecher! Aus seinen bleichen Mienen sprach wohl tiefes Leiden und Kummer, aber gleich zeitig eine unbeschreibliche Ruhe und Charakter festigkeit. In seinem klaren Auge spiegelte sich Geduld und Ergebung, und uns, seinen Freunden, war zumute, als wären wir von: Bann eines schrecklichen Traumes umfangen und als müsse jeden Augenblick etwas geschehen, das uns unsern Falk rein und goldtreu, wie wir ihn gekannt, wiedergeben würde. Aber es geschah nichts Derartiges, alles nahm seinen gesetzmäßigen Verlauf. Die Anklage wurde ver lesen und als darauf Falk gefragt wurde, was er darauf zu erwidern habe und ob er seine Schuld eingestehe, erhob er sich von der An klagebank und antwortete mit seiner metallklaren Stimme, so daß es im letzten Winkel des großen Saales deutlich zu hören war: daß er sich keiner Schuld bewußt sei, darum auch nichts einzu gestehen habe. Nun wurden die vier Zeugen vereidigt und nochmals verhört. Ais erster der Kutscher Falks, welcher nichts auszusagen hatte, als daß er seinen Herrn öfter nach dem Landsitz der Baronin Bardow gefahren habe, auch am Abend vor dem Tode derselben, daß er an dem Tage zwei Stunden oder wohl auch länger gewartet hätte, und daß er während dieser Zeit sich in der Dienerstube aufgehalten hatte und mit der Köchin der Baronin, Auguste Stengel, welche seine Braut sei, sich von allerhand Dingen unterhalten hätte. Die andern drei Zeugen machten keinen besonders angenehmen oder ver trauenerweckenden Eindruck auf mich, ohne daß ich hätte sagen können, warum. Die eben er- wühuw Auguste Stengel machte scheu und zögernd einige scheinbar gravierende Aussagen.
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