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Allgemeiner Anzeiger : 22.01.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-01-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191001223
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19100122
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19100122
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1910
-
Monat
1910-01
- Tag 1910-01-22
-
Monat
1910-01
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 22.01.1910
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Ein MWnh Mr öM Nm allen Angriffen zu begegnen, hat die Negierung über den „Fall Mannesmann" ietzt ein Weißbuch an den Reichstag gelangen lassen, das neben einer ausführlichen Denkschrift auch alle zwischen Deutschland und Frankreich an läßlich des Streitfalles gewechselten Aktenstücke enthält. Die Denkschrift hebt zunächst als Grundsatz hervor, daß die Bestrebungen der deutschen Regierung seit dem englisch-französi schen Abkommen 1904 darauf gerichtet waren, für die wirtschaftliche Gleichberechtigung aller Nattonen im Scherffenreich zu wirken. Die Denkschrift erklärt alsdann, daß es nach den dem Auswärtigen Amt vorliegenden Schrift stücken als mit den Tatsachen in Widerspruch stehend bezeichnet werden müsse, wenn die Brüder Mannesmann von wohlerworbenen, mit Unterstützung der Regierung erlangten Rechten, von ihnen amtlich zugesprochenen Eiienerz- konzessionen, von einer im Oktober 1906 er folgten und dem deutschen Gesandten in feier licher Hauptaudienz verkündeten Verleihung von Minenlonzessionen sprechen. Unrichtig sei auch die Behauptung, die marokkanische Regierung habe noch einmal das Vorrecht der Gebrüder Mannesmann durch ein amtliches Schreiben an die deutsche Gesandtschaft in Tanger bestätigt. Die Denkschrift weist ferner überzeugend nach, daß ein Berggesetz für Marokko (nach der Akte von Algeciras) nur unter Mit wirkung und Zustimmung der Vertreter der Mächte erlassen werden könne, daß also das von Muley Hafid im Oktober 1908 erlassene Berggesetz, auf das die Gebrüder Mannesmann ihre (von Frankreich bestrittenen) Minenansprüche stützen, in der Tat zu Unrecht besteht. Dieses „Berggesetz" ist zustande gekommen ohne Wissen der deutschen Regierung und ihrer Vertreter in Marokko und entgegen dem Beschluß des Sultans Abd ul Aziz, ein Berggesetz durch einen franzö sischen Ingenieur ausarbeiten zu lasten. An diese internationale Fragen berührende Regie rungshandlung seines Vorgängers ist aber der Suttan Muley Hafid gebunden, denn er hat die ihm bei seiner Anerkennung durch die Mächte gestellte Bedingung angenommen, derartige Re- gierungshandlungen seines Vorgängers nach zuachten. Wenn also ein Schiedsgericht einge setzt wird, das die Frage prüfen soll, ob über haupt und auf welcher Seite Minenrechle vor handen sind, so hat die deutsche Regierung unter den obwaltenden Umständen das Mögliche erreicht. Die Denkschrift schließt: „Wenn nun auch die deutsche Regierung aus den dargelegten Gründen nicht in der Lage war, für die Mannesmannschen Rechtsansprüche einzutreten, so hat sie es doch aus wohlwollender Rücksicht auf die Herren Mannesmann, deren rege Betriebsamkeit, deut schen Unternehmungsgeist und energische Tatkraft sie vollauf anerkennt, vermieden, sich amtlich gegen dieselben auszusprechen. Sie hat, indem sie den Herren Mannesmann auf andre Weise zu Praktiken Rejultaten zu verhelfen versuchte, eine Stellungnahme zur Rechtsfrage, die nur eine ablehnende hätte sein können, nach außen zu umgehen versucht. Die Angriffe, die gegen die Regierung in den letzten Wochen gerichtet worden sind, nötigen fie jedoch, zur Erklärung ihrer Haltung und zur Währung ihres Ansehens, nunmehr auch ihre eigenen Bedenken gegenüber der Rechtsauffassung der Herren Mannesmann öffemlich zur Geltung zu bringen. Die deutsche Regierung ist sich der Bedeutung wohl bewußt, die eine Beteiligung deutscher Unternehmer an der Ausdeutung der Mineralschütze Marokkos für Deutschland, seine Industrie und Schiff- sahn haben würde. Demgemäß hat sie sich nach Kräften bemüht, eine solche Beteiligung in einem erheblichen Umfang zu ermöglichen. Daß fie sich dabei innerhalb der Grenzen ge- hallen hat, die ihr die Achtung der Verträge "Nd eine ehrliche und nicht schwankende Potnit vorfchre''bcn, wird man ihr nicht zum Vorwurf mach m dürfen." Diese amtliche Darstellung hat geradezu einem Bedürfnis entsprochen; denn bisher konnte man noch immer glauben, die Interessen eines Deutschen im Scherffenreich seien mit Rücksicht auf Frankreich nicht energisch genug unterstützt worden ; der Hinweis auf die (leider damals nicht in ihrem Wortlaut bekannt ge gebene) Algecirasakte, wonach den Gebrüdern Mannesmann kein Rechtsanspruch zur Seite steht, rückt die ganze Angelegenheit mit einem Schlage in ein andres Lichr, und nur Bös willigkeit kann heute noch behaupten, die deutsche Regierung habe die Interessen ihrer Landes kinder geopfert, um einen diplomatischen Konflikt zu vermeiden. politische kunctscbau. Leutslhlaud. "Das Kaiserpaar wird am 25. d. einem Empfang bei dem französischen Bot schafter in Berlin beiwohnen. Dieser Besuch zeigt am besten, daß die Beziehungen zwischen beiden Staaten zurzeit ungetrübte sind. * Herzog Ernst von Sachsen-Alten burg ist zu kurzem Besuche des Kaiser- Paares in Berlin eingetroffen. *Das Befinden des erkrankten Reichstags präsidenten Grafen Stolberg hat sich soweit gebessert, daß der Patient am 28. d. die Präsidialgeschäfte wieder übernehmen kann. *Das in der Thronrede angekündigte Gesetz über die Einrichtung eines kolonialen Revisions-Gerichtshofes wird dem Reichstage Anfang März zugehen. Die Arbeiten zur Reform der Eingeborenen-Rechts- pfleqe sowie die Änderung der auf die Gerichts barkeit der Nichteingeborenen bezüglichen Be stimmungen des Schutzgebietsgesetzes sind in letzter Zeit weiter gefördert worven, doch wird eine entsprechende Vorlage dem Reichstage vor läufig noch nicht zugehen. Eine Verordnung, die Rechtspflege unter den Eingeborenen mit erhöhten Garantien zu umgeben, wird demnächst erlassen werden. Nach dem Entwurf betr. Abänderung des preuß. Gerichtskostengesetzes werden einige Gebührensätze (in Prozessen, die überwiegend dem Pnvatinteresse dienen) erhöht, andre erniedrigt. Man hofft auf einen Mehr- ertrag von etwa einer halben Million Mark. * Die in vielen Zeitungen verbreitete Nach- richt, die Grubenbesitzer im Ruhr revier seien eifrig tätig, um ArbeiLeraus dem Auslande heranzuziehen, entspricht nicht den Tatsachen. Es sind lediglich 148 be schäftigungslose Arbeiter aus Westpreußen, die auswandern wollten, in dem Revier angestellt worden. * Durch Verfügung des Gouvernements von Samoa vom 12. November 1909 ist ein neuer Steuertarif für Nichteinge borene in Kraft gesetzt worden. Alle im Schutzgebiet sich aufhaltenden Personen über 18 Jahre (Nichteingeborene) zahlen jährlich, so fern ihr Aufenthalt die Dauer von sechs Monaten übersteigt, eine allgemeine persönliche Steuer von 28 Rik. Frankreich. * Entgegen anders lautenden Berichten wird in Paris amtlich bekannt gegeben, daß Präsi dent Falliöres der Eröffnung des ozeano graphischen Museums in Monako nicht bei wohnen wird. Die Gerüchte von einem Zu sammentreffen Kaiser Wilhelms mit dem Präsidenten bei dieser Feier entsprechen also nicht den Tatsachen. England. * Auch der zweite Wahltag hat den Unio- n i st e n, die den Hochi chutzzoll und den beschleunigten Flottenbau auf ihr Programm geschrieben Haden, neue Erfolge ge brach!. Dennoch wird der große Wahlkampf mit einem Siege der Liberalen enden, es ist i aber zweifelhaft, ob sie in so großer Anzahl ! ins Parlament kommen werden, daß sie, wie « bisher (ohne die Nationalisten und die Arbeiter- ! panei) eine Mehrheit bilden. In dies nicht der Fall, so dürsten trotz des Wahlsieges die Tage des liberalen Kabinetts gezählt sein. Rußland. * Das Befinden der Z arin ist nach wie vor sehr ernst. Die Kaiserin leidet an zeit weiliger Herzschwäche und liegt oft stundenlang in Ohnmacht, Gleich bedenklich erscheint das Auftreten von Dämmerzuständen, in die die Patientin häufig versinkt. Dennoch er klären die Arzte eine augenblickliche Lebensgefahr für ausgeschlossen. Aus ciem Keickstage. Im Reichstag wurde am Montag die Zentrums- interpellation wegen der Versicherung der Privat beamten von dem Abg. Sittart mit dem Hin weis darauf begründet, daß in den beteiligten Kreisen Beunrubigung wegen der Verzögerung der Angelegenheit Pmtz gegriffen habe. Ähnlich be gründete Abg. Stresemann (nat.-lib.) die Inter pellation feiner Partei. Staatssekretär Delbrück antwortete, daß sich der Lösung der Aufgabe noch technische Schwierigkeiten entgegenstellien. Aus der Unzweckmäßigkeit, diese Versicherung mit der Reichs versicherungsordnung zu verbinden, habe sich leider eine notwendige Zurückstellung der in Aussicht ge nommenen Vorlage ergeben. Er werde sich be mühen, die Angelegenheit nach Kräften zu fördern. In der Besprechung äußerten sich die Redner aller Parteien in dem Sinne einer baldigen Regelung der Angelegenheit. — Es folgte die Interpellation der Sozialdemokraten über die Unterstützung arbeitsloser Tabakarbeiter, die vom Abg. Geyer (soz.) be gründet wurde. Zur Beantwortung der Inter pellation führte Reichsschatzsekretär Wermuth aus, er habe sich seit Antritt seines Amtes redlich be müht, die Unterstützungsfragc sachgemäß zur Durch führung zu bringen. Bis Ende Dezember seien 1615 000 Mk. ausgegeben worden. Die Bewegung auf dem Tabakmarkt sei erfreulicherweise lange nicht so tiefgehend gewesen, wie bei gleichartigen Anlässen der Jahre 1870, 1879 und 1905. In der Be sprechung erklärten sich alle Parteien zu einer eventuellen Erhöhung des Fonds bereit und be dauerten vielfach, daß die Zigarettenarbeiter keine Unterstützung finden sollen. Am 18. d. steht auf der Tagesordnung die Inter pellation der Sozialdemokraten über den Mans- selber Bergarbeiter st reik. Staatssekretär Delbrück erklärt sich zur soforti gen Beantwortung bereit. Abg. Sachse (soz.) begründet die Interpellation. Man hat versucht, die Arbeiter daran zu hindern, sich zu organisieren, und diejenigen, die dies taten, einfach au; die Straße gesetzt. Es gärte schon lange im Revier, well die Arbeiter oft auf ihren Lohn warten mußten und ihnen sogar die Abschlagszahlungen verweigert wurden. Redner schildert die Arbeitsverhälmisie im Revier, nicht ohne vom Vizepräsidenten Svaon er sucht zu werden, sich mehr an den Gegenstand der Interpellation zu halten. Die Heranziehung des Militärs ist überflüssig gewesen, Ruhestörungen haben nicht stattgefunden. Staat» iekretär Delbrück: Es ist richtig, daß Militär herangezogen wurde. Die Landesbehörden sind dazu nach der Neichsverfassung unter Umständen berechtigt. In Hettstedt haben bei Ansammlungen von Tausenden schwere Ausschreitungen stattgefunden I Die betreffenden preußischen Land räte hatten also vollständig im Einklänge mit der Reichsverfassung gehandelt. Damit fällt auch die Angabe, daß die Truppen herbeigerusen worden seien, um den Streikenden das Koalitionsrecht zu verkümmern. Die Polizeibehörden haben auch das Recht, bei solcher Sachlage sich des militärischen Bei standes zu versichern ohne Rücksicht auf die Ursache des Streiks. Es liegt also auch für den Reichs kanzler keine Veranlassung vor, sich mit dem preußi schen Minister des Innern ins Einvernehmen zu festen. - Es ist dann ferner behauptet worden, Offiziere und Beamte hätten Verstöße gegen Gesetze begangen. In dieser Beziehung sind aber keinerlei Beschwerden den zuständigen Instanzen in Preußen, auch nicht dem Minister des Innern, zugegangen. Ich stehe aber nicht an, zu erklären, daß ich alles heute vorgebrachte Material dem preußischen Minister des Innern zur Kenntnis bringen werde, damit er die erhobenen Vorwürfe prüfen und eventuell Remedur eintreten lassen kann. Die weitere Verhandlung darüber würde dann in das preußischeAbgeordnetenhauS gehören. Ich habe keinen Anlaß, hier noch auf s Einzelheiten einzugehen, um so weniger als der ! Reichskanzler und der preußische Minister des Innern i völlig einig darin sind, daß die unparteiische Be- i achlung der Gesetze eine der vornehmsten Aufgaben i der Behörden und Negierungen ist. Preuß. Kricgsministcr v. Herringen: Meine Herren, ich sehe es als einen Glücksfall an, daß ich in dem Moment, wo ich zum erstenmal hier spreche, dies tue behufs Abwebr schwerer Angriffe auf die Armee. D' > Militärbehörden baben, wenn sic gerufen werden, nicht das Recht, die Ursache des an sie er gangenen Rufes nachzuprüfen, sie haben vielmehr die Pflicht, dem Rufe zu folgen, mag es sich handeln um Feuer- oder Wassergefahr oder um aufgchetzte Mitbürger. Das Militär muß einfach an Ort und Stelle gehen und seine Pflicht tun. Ein Extrabefehl, die Maschinengewehre mitzunehmen, ist überhaupt nicht ergangen. Der Soldat nimmt einfach die Waffen mit, die er hat. Sonst könnten Sie am Ende auch der Kavallerie befehlen, die Lanze zu Hause zu lassen. Die Lage, die das Militär in Hettstedt vor fand, war allerdings nichts weniger als so harmlos» wie der Interpellant sie schilderte. Am Tage vor her war von der Menschenmenge versucht worden, die Gendarmerie nicht nur an dcc Wand zu drücken, sondern auch ihr die Waffen zu entreißen. Abg Sachse hat gesprochen von Verstößen der Offiziere gegen Gesetze. Aber das Material, das er darüber vorbrachte, war ein höllisch mageres. Unter leb haften Widerspruchsrufen von links (derenthalben Vizepräsident Hohenlohe die Abgg. Sawje uno Hue wiederholt aufforderte, die fortwährenden Unter brechungen zu unterlassen) geht dann der KriegS- mm ster noch auf die von Sochle vorgeb-achten Einzelheiten näher ein. Die Verhanungen seien in jedem Falle motiviert gewesen. Beschwerden über Verstöße von Offizieren seien überhaupt nicht an ihn gelangt, er folgere daraus, daß der Tatbestand nicht so lei, wie Sachse ihn geschildert. Die Ge schichte mit dem verhafteten Dienstmädchen se- gänz lich unwahr. Keine einzige Frau sei verhaftet worden. Abg. Arendt (freikons.): Daß in Mansfeld kein Blut geflossen ist, danken wir der Polizei und dem rechtzeitigen Eingreifen des Militär-«. Ohne dieses wäre sicher viel Blut geflossen. Sogar Mt- gtieder des Streikkomitees haben es ausgesprochen, daß es hohe Zeit war, dass das Militär kam, um schweres Unglück zu verhüten. Gerade der Abg. Sachse, der hier zwei Stunden lang Be'chwerden vorgebracht hat, hat nach dem Beispiel der Gracchen verfahren. Denn er hat olles getan, um aut- zureizen. Die Arbeitswilligen sind Staatsbürger und haben ein Recht am staatlichen Schutz. Lie (zu den Soz.) sollten das Koalittonsrecht doch auch denen zugestehen, die anders denken als Sie selbst! Ein Einbruch in das Koalitionsrecht der Streikenden hat überhaupt nicht stattgcsunden. Der Streik fand deshalb statt, weil 48 Bergleute, dk die Frechheit hatten, in der Belegschaft tür die Sozialdemokratie zu agitieren, abgelegt wurden. Wie kann sich die Sozialdemokratie über die Koalitionstätigkeit auf- regen, die gerade in den eigenen Betrieben am wenigsten geachtet wird? Der Landrat hat sich ein großes Verdienst um die Einwohnerschaft erworben, vast er das Militär heranrief. Wir sind die wahren Arbeitersreunde, nicht die Sozialdemokraten. Das wissen auch die Mansfelder Bergleute, die sich von den Verführern nicht beeinträchtigen lassen, sondern reichstreu üleiben. Abg. Fleischer (Zentr.) erklärt sich ebenfalls gegen die Ausführungen des Abg. Sachte. Es war eine fürchterliche Situation in Mansfeld, die das Herbeirufen des Militärs völlig rechtfertigte. Die Sozialdemokratie verunglimpfe jeden Arbeiter, der andrer Meinung ist. Sie hat sich in einer aller Sitte und Gerechtigkeit hohnsprechenden Weise henommen. Abg. Pauli (kons.): Der Streik ist frivol vom Zaune gebrochen worden, weil die Sozial demokraten im reichstreuen ManSfelder Revier fcsten Fuß fassen wollten. Dieses gewissenlose Unternehmen ist mißglückt. Abg. Gothcin (frs. Vgg.) ist von den Aus führungen der Minister und den konservativen Ab- ! geordneten nicht überzeugt worden, daß so außer- - ordentliche Maßnahmen zur Unterdrückung dcL ! Streiks notwendig gewesen sind. Wir sind überhaupt l nicht kür ein Aufgebot staatlichen Schutzes. Abg. Vogel (nat.-lib.): Die Unzufriedenheit ! ist in Mansfeld sträflich von der Sozialdemokratie ! genährt worden. Der Zielpunkt der Agitation ist ! der neue Generaldirektor gewesen. s Abg. Brejski (Pole): Die Gendarmen sind durchaus nicht so schüchtern, daß sofort das Militär - hätte gerufen werden müssen. ! Abg. Behrens (wutsch. Vgg.): Wu beklagen j nicht den Streik, aber den Streik zur Unzeit, s Maschinengewehre sollten jedenfalls künftig, wenn ' die Truppen nur Polizeidienst leisten, zu Hause ge- i lassen werden. Nög. Kunert (soz.) vertritt nochmals den Standpunkt der Interpellanten. Damit ichließl die Besprechung und Sitzung. K ZuIZerä-eMUck. 8^ Erzählung von Fritz Reutter. lSortlebung.) „Sie können sich nicht denken, Senorita, wie willkommen Sie mir jetzt erscheinen," sagte Karl, sobald sie allein waren. „Den ganzen Tag über bedrückte mich die Düsterheit Vieser Ge fängnismauern, und jetzt —" „Stille, keine leeren Worte jetzt," erwiderte Dolores. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, Senor Nippotd. Ihr Todesurteil ist vom General Melgarejo unterzeichnet worden, und wenn Sie nicht morgen früh erschaffen werden wollen, müssen Sie mich anhören." „Ich verspreche zum voraus. Ihnen blind lings zu gehorchen." Leise lächelnd zog fie ein Seil unter ihrem Mantel hervor und sagte: „Sie werden dies hier von Nutzen finden. Hören Sie! Alle Vor bereitungen für Ihre Flucht sind getroffen. Was Sie selbst zu tun haben, ist dies," und sie begann ihm ihren Plan darzulegen, wie er die Wachen fesseln und das Gefängnis unbemerkt verlassen könne. „Haben Sie mich sicher richtig verstanden, Senor?" fragte sie ängstlich. „Vollkommen. Aber es klingt alles so romantisch, als setzen wir eine Seile eines alten Helden-Epos in Wirklichkeit um." „Bilte, bleiben Sie ernst. Wollen Sie das tun?" „Ich habe es Ihnen versprochen. Und hernach?" „Das müssen Sie mir ganz allein über lassen. Wenn Sie mir aufrichtig gehorchen —" „Können Sie daran zweifeln?" „Für diesen Fall werde ich es auf mich nehmen, Sie aus dem Schloff und aus den Schloßmauern hinaus in Sicherheit zu führen. Draußen vor der Stadt werden Pferde auf uns warten und meine Freunde werden uns zu unsrer Armee führen. Nein, Senor," fügte sie hinzu, als sie bemerkte, wie Karl Einwendungen erheben wollte, „hier in der Stadt werden Sie nicht in Sicherheit sein. Wenn Ferreira Sie wieder erwischt, wird er Sie auf der Stelle erschießen lassen, selbst wenn er davon über zeugt wäre, er befände sich im Irrtum — nichts, glauben Sie mir, nichts könnte Sie dann mehr retten!" „Dessen bin ich doch nicht so ganz sicher," dachte Karl bei sich selbst, sagte aber nichts, denn er erinnerte sich der Worte, wie er ein fröhliches Wiedersehen mit dem General gewünscht hatte. Für jetzt sollte die Senorita über ihn ver fügen; auch war es vielleicht einmal interessant, einem Gefecht zwischen diesen Republikanern beizuwohnen. „Nur eines ist uns heute nacht nicht günstig." fuhr Dolores unbeirrt fort: „es ist yeller Mondenschein und man könnte unS allzu früh entdecken. Doch das müssen wir eben riskieren. Und da hätte ich noch beinahe vergessen — nehmen Sie!" sagte sie und überreichte ihm einen Revolver und eine Schachtel mit Patronen. „Vielleicht bedürfen Sie Lieser Waffe. Auf den Straßen könnten wir cmfgehalten werden." „Finden heute nacht noch Straßenkämpfe statt?"- „Alles ist ruhig — bis jetzt wenigstens," antwortete fie. Während der ihnen noch verbleibenden Zeit redeten die beiden miteinander wie zwei aste, wohlbekannte Freunde — und tatsächlich kamen sie sich auch eher als Freunde, denn als ge legentliche Bekannte vor, und jede Einzelheit der Flucht wurde besprochen und jede Be wegung verabredet. Es war Karl ganz lieb, sich vorderhand nicht um das Resultat der Flucht kümmern zu müssen, solange seine Be gleiterin an ein Gelingen glaubte, wollte auch er seine Rolls nach bestem Vermögen spielen; und er hätte sich in derselben durchaus nicht weniger gefallen, wenn der Plan auch noch tausendmal verwegener und tollkühner gewesen wäre. Der Heldenmut, das Selbstvertrauen dieses wunderbaren Mädchens schien auch ihn zu erfassen, ihn um so tiefer zu ergreifen, als ja alles in seinem eigensten Interesse geschah. So bedauerte er es, als ein Blick auf seine Uhr ihm zeigte, daß die Zeit zum Handeln ge kommen war. Zusammen erhoben sie sich. „Sind Sie bereit?" fragte fie. Er ergriff den Strick, den er aufs Bett ge legt und stellte sich an der Tür auf im Augen blick, als der Schlüssel von außen ins Schloß gesteckt wurde. Er nickte ihr bejahend zu. Die Tür öffnete sich, die Schildwache hielt sie in der linken Hand. Langsam verließ Dolores das Zimmer und blieb dann plötzlich stehen, als ob fie etwas vergessen hätte. „Einen Augenblick, bitte —" Das war das Signal. Rasch wie der Blitz warf Karl dem Manne, dessen Aufmerksamkeit plötzlich abgelenkt worden war, die Bettdecke über den Kopf, drückte ihm die Arme gegen die Setten und zog ihn ins Zimmer hinein. Es war ein kleiner Kerl und leicht zu überwältigen; das Gewehr entsank seinen Händen und Dolores fing es geschickt in ihren Händen auf, ehe es lärmend zu Boden fiel. Da der Soldat merkte, daß ihm nichts Schlimmes widerfuhr, leistete er auch bald keinen Widerstand mehr. Leise hatte das Mädchen die Türe hinter sich zugeschloffen, während Karl die Wache geschäftsmäßig fesselte und bequem aufs Bette legte. Soweil war also alles gut. „Und nun?" fragte Karl. „Warten Sie!" Sie ging nach der Türe und horchte hinaus. „Der Weg ist frei," sagte sie, „kommen Sie!" „Und unser Freund hier?" „Er wird es wohl ein oder zwei Stunden aushalten. Sobald die Wache abgelöst wird, werden sie ihn finden. Kommen Sie!" Karl zögerte noch einen Momeni, um seine Papiere und Schriftstücke zusammenzuraffen, die dem General Ferreira nicht in die Hände fallen sollten. Mit der Hand in der Tasche, den Re volver umfassend, folgte er Dolores aus dem Zimmer, schloß die Türe ab und nahm die Schlüffe! an sich. Alles war still wie das Grab; der Anfang ihres wagehalsigen Unter nehmens hätte nicht vielversprechender sein können. Voll neuer Hoffnung und guten Mutes schritt er hinter dem Mädchen her nach der Treppe, über die er am Abend zuvor ins Gefängnis abgeführt worden war. Anstatt die
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