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Nr. Dresden/ den 28. April 1809. 47. Versuch einer Schilderung eines ausge zeichnet schönen Gemäldes, von Lu kas Cranach, in der Stadt-Kirche zu Naumburg, als Beitrag zu der Sächsischen Kunstge schichte. von dem Evangelist Markus so schön erzählte Scene aus dem Leben Christus, wie er die Kinder zu sich kommen läßt und sie seg net — ist der Gegenstand des Gemäldes ; und es scheint als härt- Lukas Cranach sich bei der Erfindung oes Bildes ganz an die Erzäh lungsart des oben erwäh.-ten Evangelisten gehalten. Der Styl in der Zeichnung ist rein, richtig, und, in jedem Betracht, schön. Das Colorit sanft, aber kräftig, bestimmt und harmonisch, für den Gegenstand passend, und durch Klarheit, dem Colorit des Titian, ver wandt. Die Anordnung des Ganzen ist voll kommen schön, und ohne Zwang, jeder Vor schrift der Composition angemessen. Die Ausführung ist, durch alle Theile deS Ge mäldes, sorgfältig, ohne ängstlich zu seyn. — Um die Schönheiten dieses Kunstwerkes im Einzelnen besser beurtheilen, und das Ganze, nach Würden bewundern zu können, bedarf es einer genauen Betrachtung desselben. Zwar wählte der Künstler zum Gegenstand seines Gemäldes die Stelle aus der heiligen Schrift, wo Christus zu seinen Jüngern sagt: „Laßt die Kindlein zu mir kommen rc." aber nicht eben diesen, sondern einen spätern Moment jener Scene, stellte er dar. Schon drängen sich Mütter mit ihren Kindern um Christus her, den Seegen zu empfangen, den ihnen sein sanfter Ruf verhieß. Wenige Ge mälde aus der deutschen Schule werden die sem an Einheit des Characters, und an voll- kommner Schönheit der Formen, gleich zu setzen seyn; die Einfachheit und die sprechen de Wahrheit im Ausdruck ist hier nicht auS den Schranken der Schönheitslinien getreten, und der Künstler hat in diesem Gemälde die Wahrheit bestätiget, daß „Eine schöne Seele mehrere an sich zieht"— wenigstens zeigen die aussern Formen der hier dargestellten We sen feine Bildung des Herzens. Die Innig keit der mütterlichen Liebe giebt dem Ganzen Leben , Unschuld, Ruhe. Christus, die Hauptfigur deS Gemäl des, hob der Künstler heraus, ohne eS ge sucht zu haben, und umgab ihn mit einer