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Ottendorfer Zeitung : 15.11.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190311151
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19031115
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19031115
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-11
- Tag 1903-11-15
-
Monat
1903-11
-
Jahr
1903
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 15.11.1903
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politische Kunäkcdau. Deutscklnnd. * Der Kaiser hat wieder seinen gewohnten Spaziergang im Freien gemacht, der Heilungsprozeß nimmt seinen ganz nor malen Verlauf. * Aus dem Inlande wie aus dem Aus - lande hat der Kaiser aus Anlaß der Ope ration zahlreiche Glückwünsche erhalten, so auch vom Präsidenten Roosevelt. * An den russisch-deutschen Handelsvertrags-Verhandlungen soll auch Herr Arthur Raffallowitsch, der russische Finanzagent in Paris teilnehmen. Die Ver handlungen über das Veterinärwesen sollen den Handelsvertragsverhandlungen parallel geben. Möglicherweise beginnen, wie ,Rußland und Deutschland' mitteilt, die Verhandlungen schon am kommenden Montag. * Das neue Militärpensionsgesetz ist nunmehr soweit vorbereitet, daß in aller nächster Zeit seine definitive Gestaltung für die Vorlage beim Bundesrat festgelegt werden dürfte. Auch das S erv i s t a ri f g e s e tz ist innerhalb der Reichsressorts bereits fertig gestellt. *Die Reichsregierung hat nach der »Voss. Ztg.' die Anwaltskammer beim Reichsgericht um gutachtliche Äußerung darüber ersucht, welche Mittel für die Geschäftsentlastung des Reichsgerichts' zu empfehlen seien. Dem Ersuchen ist ein umfangreiches statistisches Material über den Geschäftsumsang und über die Zahl der in den verschiedensten Wertstufen anhängig gewesenen Prozesse beigefügt. * Der Beirat für A r b e i t e r st a ti sti k ist am Dienstag im Statistischen Amt zu einer neuen Sitzung zusammengetreten. Die Er hebungen betr. die Arbeitszeiten im Fleischer gewerbe, im Fuhrwerksgewerbe und in Kon toren, die gutachtlichen Äußerungen betr. Arbeits losenversicherung werden diesmal besprochen werden. * Die deutschen Kriegsschiffe „Gazelle" und „Panther" sind in San Do mingo eingetroffen und haben zum Schutze des deutschen Konsulats Marinemann schaften dortselbst gelandet. *Der deutsche Generalkonsul in Kapstadt meldet, daß die Bondelzwarts in die Kapkolonie eingefallen sind und daß ein Kampf mit der dortigen Polizei statt gefunden habe. Veber eine anderweite Be drohung derKapkolonie meldet,Reuters Bureau': Die aufständischen Hottentotten rücken, 1500 Mann stark, gegen die Grenze vor. Die Polizei hat Freiwillige aufgeboten und sie dorthin ent sandt. ES werden ernste Kämpfe erwartet. Österreich-Ungarn. * Der österreichische Reichsrat ist für den 17. November einberufen worden. Da einzelne Landtage schon geschlossen sind, so wird genügend Verhandlungsmaterial vorhanden sein. Italien. * Der Papst hat in seiner am Montag im Konsistorium gehaltenen Ansprache u. a. erklärt, er müsse die Meinung zurückweisen, daß der Papst sich nicht mit Politik beschäftigen dürfe, denn es sei unmöglich, die Politik von dem Amte des Oberhirten über den Glauben und die Sitten zn trennen, namentlich wenn der Papst Beziehungen zu den Fürsten und Regierungen aufrechterhalten solle, um die Sicherheit und Freiheit der Katholiken zu schützen. * Zwei Abschiedsbriefe des freiwillig aus dem Leben geschiedenen neuen Finanz ministers Rosano erhielt in der Nacht zum Dienstag der Ministerpräsident Giolitti. In dem einen bittet Rosano Giolitti, dem König sein Entlassungsgesuch als Finanzminister zu unterbreiten,' in dem zweiten teilt er mit, daß er unschuldig aus dem Leben scheide, und er klärt alle gegen ihn erhobenen Anschuldigungen für falsch. Er sterbe mit Grüßen an seine Ministerkollegen und den besten Wünschen für Giolitti und dessen Familie. Holland. *Der Mummenschanz vor dem Vene zuela-Tribunal im Haag zeitigt immer seltsamere Blüten. Der englische Vertreter hatte das kriegerische Vorgehen gegen Venezuela als notwendig und gerechtfertigt be zeichnet. Der Vorsitzende, der russische Minister Murawjew, erklärte nun in feierlicher Pose, daß er „aus Achtung vor der Redefreiheit" die Betrachtungen deS englischen Vertreters Richards über die Rolle der Gewalt und des Krieges in den internationalen Be ziehungen nicht bemängelt habe. Der Schieds gerichtshof würde sich diesen Ausführungen aber schwerlich an schließen können, und er erkläre im Namen des Schiedsgerichtshofes, daß dieser ausdrückliche Vorbehalte be züglich dieses „wichtigen und heiklen" Punktes mache und denselben im Urteilspruche beleuchten würde. Der sranzöstsche Vertreter sprang dem Russen mit der tiefgründigen Bemerkung bei, die Blockademächte hätten dem Sinne der Haager Konvention zuwiderge handelt, indem sie den Krieg begonnen hätten, ohne erst eine befreundete Macht um ihre Vermittelung anzugehen. Schweden-Norwegen. *Dem Storthing wird binnen kurzem eine Regierungsvorlage vorgelegt werden betr. die Zulassung der Frauen zu den Beamten- st e l l e n. Spanien. *Bei den spanischen Gemeinderats wahlen wurden nach den letzten Feststellungen 4009 Monarchisten, 975 Republikaner, 80 Kar- listen und 61 Sozialsten gewählt. Ruhland, *Der Pariser ,Figaro' will wissen, daß der russische Minister des Auswärtigen Graf Lambsdorff durch den russischen Gesandten in Kopenhagen Iswolski ersetzt werden soll. Das Blatt erklärt, daß dieser Personenwechsel kein Systemwechsel bedeute. Balkanstaaten. * Nach türkischen Blättern hat Kaiser Wilhelm als Zeichen seiner Freundschaft für den Sultan Abdul Hamid diesem vier Pferde übersandt. * Die Gerüchte über zahlreiche Offiziers verhaftungen in Sofia, Philippopel und anderen bulgarischen Städten stehen trotz der offiziösen Gegenerklärung der bulgarischen Regierung mit einem gegen den Fürsten Ferdinand geplanten Komplott in Zu sammenhang. Die Bewegung im bulgarischen Offizierskorps gegen den Fürsten ist auf Ein flüsse jener Offiziere, die Mazedonier sind, zurückzuführen. Diese sind über die ihnen zu geteilte Rolle der Untätigkeit verbittert. In einem unter den Offizieren zirkulierenden Auf rufe wird erklärt, Fürst Ferdinand habe das bulgarische Osfizierkorps vor ganz Europa ge schändet; nur ein Nichtbulgare könne die Zu kunft Bulgariens derart in den Staub treten. Der Aufruf ist unterze'chnet: „Exekutivkomitee der mazedonischen Offiziere." Es verlautet, daß neue Offiziersverhastungen vorgenommen wurden. Amerika. *Die große Unehrlichkeit Nordamerikas in der Panama-Angelegenheit hat bei den Demokraten böses Blut gemacht und sie scheinen im Kongresse deshalb der Staatsleitung gehörig den Kopf waschen zu wollen. Nun haben aber die Herren um Nooseveldt ein nie ver sagendes Mittel angewandt, um für sich Stimmung zu machen. Sie verbreiten nämlich das Märchen, Kolumbien habe Deutsch land als Schützer angerufen und ihm Ge bietsabtretung versprochen. Dazu be merkt hochosfiziös ,Wolfs Bureau': „Nach Erkundigungen an zuständiger Stelle wird dieser Versuch, Deutschland in die Jsthmusfrage hin- einznziehen, s ch arf zurückgewies en. Ein kolumbischer Schritt der oben bezeichneten Art ist der deutschen Regierung überhaupt nicht be kannt geworden." Das wird bei den Ameri kanern wenig Eindruck machen; die ursprüngliche Lüge wirkt nach! *Der Vertreter der neuen Panama republik in Washington teilte dem dortigen Staatsdepartement mit, daß die provisorische Regierung eine Kommission ernannt habe, die von Panama nach Washington kommen werde, um sofort Verhandlungen über einen Kanal vertrag einzuleiten. Asten. * Dem Meuterschen Bureau' wird aus Tokio gemeldet: In dortigen gut unterrichteten Kreisen sei man stark geneigt, die in Europa verbreiteten friedlichen Ansichten bezüglich der Lage im äußersten Osten zu bezweifeln. Man glaube, die Erhaltung des Friedens sei nur möglich, wenn Rußland die japanischen Forderungen bezüglich der Mandschurei annehme. Es werde für die Regierung immer schwieriger, die Erregung im Volke zu zügeln. Uin-esunterschiebungs-prozeß. Am Dienstag wurde die angeblich wirkliche Mutter des jungen Grafen, jetzt verehelichte Cäcilie Meyer vernommen, was dem Tage erhöhtes Inter esse verlieh. Zuvor aber wurde eine Anzahl der Krakauer Belastungszeugen vernommen, die über die Fortschaffung des Kindes der Cäcilie Meyer durch zwei Damen aussagien. Bei diesen Aussagen er gaben sich aber fortgesetzt Widersprüche über die von den Zeugen angegebenen Daten, die sich nicht klären lassen. Darauf wurde die Meher verhört, die von ihrer Entbindung eben erst sich erholt hat. Die selbe erzählt, wie sie das eben erst geborene Kind für den Preis von hundert Gulden an zwei „vornehme" Damen fortgegeben und wie es ihr nachher leid getan habe. „Die ganze Sache ging aber so schnell, daß ich garnicht zur Besinnung ge kommen bin" — sagt sie wörtlich. — Sonderbar berührt dann eine Szene, in der der Rechtsanwalt Chodziesner an die Zeugin Meyer die Frage richtet, aus welchen Mitteln ihr kleiner Knabe ebenso ge kleidet worden sei wie der junge Graf. Kriminal kommissar b. Tresckow ist in der Lage, dies aufzu klären. Er erzählt, daß der Knabe der Zeugin Meyer nur notdürftig bekleidet war, als er in Berlin ein traf. Um das Kind vor den Unbilden der Witte rung zu schützen, habe die Staatsanwaltschaft sich bereit finden lassen, dem Kinde auf Staatskosten einen Mantel zu liefern. Herr v. Tresckow hat dann den Zeugen Hechelski ersucht, das Kind mit zu Wertheim zu nehmen, und ihm außerdem noch einen polnisch sprechenden Beamten mitgegeben. Hechelski hat den Einkauf besorgt und ein Weißes Mäntelchen für 11 Mk. ausgesucht. Das Geld hat Hechelski ausgelegt, weil die Meyer preußisches Geld nicht bei sich hatte. Herr v. Tresckow habe es ihm zurückerstattet und wird es bei der Gerichtskasse liquidieren. (Der Kern der Sache scheint mit dieser Beantwortung der wohlberechtigten Frage des Verteidigers nicht erledigt zu sein, denn abgesehen davon, warum gerade der Hauptbelastungs zeuge mit der Equipierung des kleinen Meher von der Staatsanwaltschaft beauftragt wird und nicht dessen Mutter, die doch das auch in Ge meinschaft eines Kriminalbeamten besorgen konnte, muß es entschieden auffallen, daß das Kind genau so angezogen wird wie der kleine Graf Kwilecki.) übrigens nahm der Gerichtsvorsitzende Veranlassung, vor Beginn der Verhandlungen folgendes zu erklären: „Es ist ja begreiflich, daß die Presse sich auch mit diesem Prozeß beschäftigt. Ein Teil der Presse hat einen eigentümlichen Weg eingeschlagen, indem die in Betracht kommenden Persönlichkeiten von einem Standvunkte aus heruntergeriffen werden, welcher der Presse nicht gebührt. Speziell die Untersuchungs richter werden schlecht gemacht, ein Artikel ^ielt direkt aus eine Beeinflussung der Richter ab. Das ist ein ganz unerhörtes Verfahren, das bisher nie Grundsatz gewesen. Niemand hat hier hineinzureden, bis das Urteil gefällt sein wird, und es ist höchst bedauer lich und verwerflich, daß hier davon abgewichen wurde. Ich bitte die Herren Geschworenen, auf dies alles nicht zu achten, sondern allein dauf, waS hier in der Verhandlung zur Sprache kommt." Die Kommission zur Prüfung der Ähnlichkeit zwischen den beiden Knaben, die in dem großen, be reits mehr als zwei Wochen dauernden Kindes unterschiebungs-Prozeß gegen die Gräfin Kwilecka und Genossen unbewußt die Hauptrolle spielen, ist am Mittwoch morgen im großen Schwurgerichtssaal unter Ausschluß der Öffentlichkeit zusammenzetrcten. Erschienen waren die Gerichtsärzte Dr. Störmer und Professor Dr. Straßmann sowie der Porträt maler Professor Vogel als Mitglieder der Sach- Verständigen-Kommission. Die Verteidiger und die Vertreter der öffentlichen Anklagebehörde wohnten den Untersuchungen bei. Die Arbeiten der Kom mission nahmen fast drei Stunden in Anspruch. Sie haben zu dem Ergebnis geführt, daß zwischen dem im Jahre 1895 geborenen, ersten Sohn der jetzigen Bahnwärterssrau Cäcilie Meyer, geb. Parcza, und dem sechsjährigen Wroblewoer Majoratsprätendenten irgend welche Ähn lichkeiten verwandtschaftlicher Natur in keiner Weise festzustellen waren. Auf der andern Seite weisen die Gesichtszüge und Körperformen des kleinen Grafen und der angeklagten Gräfin Kwilecka eine außerordentliche Fami lienähnlichkeit auf; besonders gleichartige Merkmale fanden sich bei der Bildung der Ohr muscheln vor. Eine öffentliche Prozeßverhandlung fand am Mittwoch nicht statt. Von unä fern. Rettungsmedaille. Der Kaiser verlieh dem Pastor v. Lieres zu Greifswald für die Rettung eines Menschenlebens von der sicheren Gefahr des Todes die Rettungsmedaille am Bande. Ein neues Schiller-Museum. Das vom schwäbischen Schiller-Verein in Marbach erbaute Schiller-Museum wurde am Dienstag, dem Geburtstage Schillers, in Anwesenheit der württembergischen Königsfamilie und der Minister feierlich eingeweiht. In dem Prozeß gegen den Leutnant Bilse in Forbach vor dem Kriegsgericht zu Metz wurde der Angeklagte Mittwoch abend zu 6 Monat Gefängnis und Dienstentlassung ver urteilt wegen Beleidigung von Vorgesetzten und im Dienstrange höher stehenden Offizieren durch die in einer die Beleidigten sehr schädigenden Weise erfolgte Verbreitung von Schriftwerken sowie wegen Verletzung des Gehorsams in dienstlichen Angelegenheiten. Alle Exemplare des Bilseschen RomanS sowie die Druck-Platten und -Formen sind unbrauchbar zu machen. Ein Monat der Gefängnisstrafe wird als durch die Untersuchungshaft verbüßt erachtet. (Leutnant Bilse hatte bekanntlich in einem Roman „Aus einer kleinen Garnison" die Per sonen und Verhältnisse seines Dienstortes in ziemlich grellen Farben und unter kennzeichnenden Namen sür die von ihm Gemeinten geschildert. Obwohl er, da es sich nur um einen frei erfundenen Roman handelte, es nicht auf den Wahrheitsbeweis in weiterem Sinne ankommen ließ, gaben doch die Zeugenaussagen ein Bild, das sozusagen den Grundriß des Romans leider nur zu deutlich erkennen ließ.) Annahme eines Ordens verweigert. Der Gerichtsvollzieher Küntzel in Wollin wurde dieser Tage nach einer 38 jährigen Diensttätigkeit auf sein Ansuchen pensioniert. In Gegenwart sämtlicher Beamten des dortigen Amtsgerichts überreichte Amtsrichter Görke dem Scheidenden das ihm vom Kaiser verliehene allgemeine Ehrenzeichen in Gold am Bande deS Roten Adlerordens. Zum großen Erstaunen der Ver sammelten nahm indessen Küntzel die Dekoration nicht an mit der Begründung, daß er als Be amter nur seine Pflicht getan und dafür ja Gehälter bezogen habe. Für eine solche Pflicht erfüllung eine Auszeichnung anzunehmen, wider spreche seiner Überzeugung. Auch trotz alles Zuredens war der bejahrte Pensionär zur An nahme des Ordens nicht zu bewegen. Ein nobler Auskneiser. Das Vorstands mitglied des Bremer Renn-Klubs, Konsul Edmund Pavenstedt, ist nach Zurücklassung be deutender Schulden spurlos verschwunden. Er gehörte einer Reihe von angesehenen Vereinen, u. a. dem Union-Klub als ordentliches Mitglied an. Der Fall erregt um so größeres Aufsehen, da man allgemein den Flüchtigen — der auch steckbrieflich verfolgt wird — für sehr wohl habend hielt. Die wackere Tat des 13 jährigen Schul knaben Konrad Wolf aus Datterode (Kreis Esch- wege) fand dieser Tage die verdiente Beloh nung. Im September schlug der Blitz in ein Haus dort ein, als die Bewohner des Hauses abwesend waren. Zwei Kinder im Alter von 2 bezw. 4 Jahren waren im Hause einge schlossen. Kurz entschlossen schlug der Knabe die Fenster ein und rettete die beiden Kleinen. Im Auftrage des Regierungs-Präsidenten er schien der Landrat v. Keudell-Eschwege in der Schule und erteilte dem braven mutigen Jungen eine öffentliche Belobigung. Zugleich machte er ihm die Mitteilung, daß für ihn ein Geschenk von 30 Mk. auf der Sparkasse angelegt sei, das er mit Zinsen bei seiner Volljährigkeit erhalten werde. U Tauberklänge. es Erzählung von E. Stage. Und diesem Weibe hatte Erich voll Vertrauen einst sein Leben geweiht, vom Sirenenklang der berückenden Stimme verlockt, ihrer dunklen Her kunft nicht achtend, ihr den heißgeliebten Beruf und dann sein Vermögen zu Füßen gelegt! Verwirkt, verloren war alles! Der unglück liche Mann stöhnte auf und ließ den schmerzen den Kopf auf die Arme sinken. An seiner Seele zog Bild auf Bild der letzten Jahre vorüber! Wie kam's nur, daß ihm jetzt so manches in ganz anderem Lichte erschien?! Als falle ein Schleier von seinem verblendeten Auge, so durchschaute er plötzlich Lores eitles, selbstsüchtiges Treiben. Die ganze Niedrigkeit eines Charakters, der allein sein Glück darin findet, eine Welt glänzenden Scheins um sich her zu schaffen, um darin dem eigenen Ich Weihrauch gestreut zu sehen, zeigte sich ihm unverhüllt. „Nehmen Sie sich in acht! Hexen locken mit schnödem Dank, aus dem heimlicher Zauber klingt, ihren Ritter auf grundloses Moor!" Was wars, das jene Worte Ilses, die er doch längst vergessen wähnte, in diesem Augen blick heraufbeschwor? War er nicht dennoch glücklich gewesen? Er gedachte eines Abends vor nun bald einem Jahre, an dem er noch selig mit Lore den früh lingsduftenden Garten durchschritt. So waren sie weltentrückt bis ans Ende der Parkanlagen ge kommen. Da plötzlich sahen sie Lichter aufglühen hinter der Mauer, Lärm und Musik ertönte und am vergitterten Eingang zeigten sich braune Gestalten. Unwillig war der Graf aufgefahren, als auch schon Lore mit stürmischem Bitten in ihn drang. „Geliebter! Laß mich hin — dort — zum Zigeunerlager!" Was half sein Mahnen — sein Flehen? Der Schlüssel knarrte im Schloß; sie schlüpfte hinaus. „Patrone, schenk' mir Geld! Ich dann tanze — ungarisch Czardas!" „Schenke, bitte, nicht Pfennig, nur Gold, Gold!" klang es um den Grafen her und immer dichter schien sich der Kreis von bet telnden Kindern um ihn zu schließen. Es dauerte lange, die kleinen Kletten von sich ab zuschütteln und in seinem Herzen stieg Be sorgnis um Lore auf, welche in der Dunkelheit verschwunden war. Einige der braunen Männer erschienen mit brennenden Fackeln und endlich kam auch die Gräfin mit einer phantastisch ge kleideten Zigeunerin wieder. Die klammerte sich an Lore und warf sich vor dem Grafen zur Erde. „O steh, Erich! Die gute Alte will mit uns ins Schloß!" „Aber Liebling," wehrte er ab; „Kind, um Gotteswillen, was fällt dir ein?!" „Ach bitte, bitte, Herzliebster," bat Lore erregter, „sie ist mir mein, mein," brach sie verwirrt ab, „sie gefällt mir so gut! Wir brauchen doch bald — noch mehr Dienerinnen!" Sie barg verschämt ihr Köpfchen an seiner Brust und schmiegte sich enger an ihn. Sein Widerstand war besiegt! Der Graf hätte in diesem Augenblick wohl auch die ganze Bande verpflichtet, Lore zu dienen! Nun reichte er ihr seine gefüllte Börse und mit vollen Händen streute diese das Geld unter die braune, zerlumpte Gesellschaft. „Tanzt!" befahl Leonore plötzlich. Ein kecker, feiugliedriger Bursche trat vor. Die bloßen Füße berührten die Erde kaum, als er, sich graziös hin und her wiegend, mit den Händen abwechselnd auf Brust und Schenkel klopfend, den Tanz vollführte und sich selbst dazu begleitete mit eigentümlichem Sang. Der Rest der Börse wurde sein eigen und übermütig sein zerrissenes Hütchen von sich werfend, flog er den Zelten zu. Seit dieser Zeit war die alte Zigeunerin ins Schloß gekommen. Hätte er es doch nie geduldet! Der Frühling kam und von vielen Seiten traten Anforderungen in bezug auf Land- und Forstkultur an den Burgherrn heran, welche sein persönliches Eingreifen notwendig machten; sie rissen ihn gewaltsam aus dumpfem Sinnen empor. Jetzt galt es zu ringen und zu streben mit voller Kraft, sollte auch ferner die herrliche Besitzung in seinen Händen verbleiben! Der Aufenthalt in frischer, freier Lust und angestrengte Tätigkeit verfehlten ihre heilsame Wirkung nicht auf des Grafen Gemüt. Die Überzeugung, daß wohl alles so und nicht anders hatte kommen müssen und Lore doch nicht wert sei, daß er um sie trauere, löste end lich den Bann, der seine Sinne umfangen ge halten. Alles Hoffen und Streben galt fortan nur einem einzigen Ziel: seinem Kinde! Es aufzufinden und ihm Schloß Falkenhorft zu erhalten, das sollte der Zweck und die Arbeit seines Lebens sein! * * * In einem der beliebtesten der an der Ost see gelegenen Badeorte stand am Ende einer breiten Promenade, die an einer Seite vom Park, an der andern von prächtigen Häusern begrenzt war, eine kleine, reizend erbaute Villa. Grün und Blüten entzogen sie fast den Blicken, während man von der reich geschnitzten Veranda aus doch die Vorübergehenden genug sam beobachten konnte. Es war an einem köst lichen, taufrischen Junimorgen, als der Sonne milde Strahlen auf die knospenden Rosen stämmchen und bunten Stiefmütterchen- und Vergißmeinnichtbeete in dem Vorgarten fielen. Einige von der grauen Schar hüpften den Kiesweg entlang, bis an die Stufen, die zur Veranda hinaufführten, oder setzten sich auf die Ranken des wilden Weines und verfolgten mit blitzenden Äuglein die Vorgänge um den reich gedeckten Frühstückstisch. Sie wußten nur zu gut, daß auch sür ihre Schnäbel manchmal ein Krümlein abstel und ein dreistes Vögelchen wagte sich ganz nahe an den langen Kleidersaum, der in weichen Falten auf den Steinfliesen lag, heran, doch erschreckt vom Klang einer tiefen Männer stimme, flog eS wieder davon. „Was liest du denn so eifrig, Mrd, daß du darüber deinen Vater fast vergißt?" Lächelnd erhob die Angeredete den Kopf;
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