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Ottendorfer Zeitung : 29.07.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190307291
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19030729
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19030729
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-07
- Tag 1903-07-29
-
Monat
1903-07
-
Jahr
1903
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 29.07.1903
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2^um Hoäe äes Papl'tes. *Der vatikanische Verweser Kardinal Oreglia hat auf das Beileidstelegramm des Kaisers Wilhelm mit einer Depesche geantwortet, die in Übersetzung wie folgt lautet: „Ich dauke Euerer Majestät für die Beileids kundgebung, die Sie an das Heilige Kollegium beim Tode des Papstes Leo XIII. zu richten geruht haben. Die Kardinale, denen die zwischen Euerer Majestät und dem verewigten Pontifex gepflegten guten Beziehungen wohl bekannt sind, werden sich stets von denselben Gesinnungen leiten lassen, um die Freundschaft zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich zu er- halten. Der Kardinal Oreglia." *Wie der,Germania' aus Rom gemeldet wird, sollte die BeisetzungLeos XIII. am 25. d. abends 7 Uhr erfolgen. — Das Kon klave wird am 31. d. seinen Anfang nehmen. *Die Leiche des Papstes war der ,Tribuna' zufolge aus Gründen der Hygiene und der öffentlichen Ordnung absichtlich nicht so aufgebahrt worden, daß die Füße außerhalb des Gitters zu liegen kommen, augenscheinlich also, nm den an den Sarkophag sich drängen den Gläubigen die Möglichkeit des Fußkusses abzuschneiden. *Zu Stimmensammlern bei der Papstwahl wurden die Kardinäle Respighi und Cassetta ernannt. Kardinal Vannutelli be suchte Rampolla und hatte mit ihm eine zweistündige Unterredung, der man große poli tische Bedeutung beilegt. * Entgegen den in einigen Blättern erwähnten Gerüchten ist sestzuftellen, daß in dem Kardi nalskollegium nicht die Rede davon war, das Konklave außerhalb Roms ab zuhalten ; die italienischen und die ausländischen Kardinäle waren über diesen Punkt vollkommen einig, da sie nach den Erfahrungen von 1878 überzeugt find, daß das Konklave vollständige Freiheit genießen wird. *Die vatikanischen Kreise, so wird der Magd. Ztg.' aus Rom berichtet, äußern ihre größte Befriedigung über die Haltung der italienischen Regierung anläßlich des Todes Leos XIII. Bei den Kardinälen insbesondere hat die Befreiung der ausländi schen Kardinäle von der Zollpflicht, sowie das Angebot besonderer Eisenbahn-Salouwagen für sie allgemeinen Beifall gefunden. Der Kardinal Oreglia sprach dies beim Empfange der vati kanischen Würdenträger offen aus. Die meisten italienischen Kardinäle find bereits eingetroffen. politilebe Kunckscbau. Deutschland. *Der Kaiser wird von seiner Nord- landfahrt am 7. August in Bremerhaven eintreffen und alsdann mit der Kaiserin eine eintägige Fahrt in die Nordsee mit dem neuen Lloyddampfer „Wilhelm II." unternehmen. *Zu dem angeblichen Anschlag auf Kaiser Wilhelm wird dem ,Hann. Cour.' aus Kopenhagen gemeldet, die dortige Polizei erkläre, überhaupt keine Informationen von der amerikanischen Polizei erhalten zu haben. Die ganze Fabel scheine dadurch entstanden zu sein, daß eine Amerikanerin, die als Anarchistin be kannt ist, sich ihrer Gesundheit wegen in dem norwegischen Kurort Hallingdal nieder gelassen hat. *Das Preuß. Staatsministerium trat am Freitag zu einer Sitzung zusammen, in welcher unter anderem über die bedauernswerten Schädigungen beraten ist, welche die Provinz Schlesien neuerdings durch Hoch wasser erlitten hat. Das Staatsministerium war einstimmig der Ansicht, daß bei dem Um fange des Schadens der Staat mit außer ordentlichen Mitteln zur Hilfe zu kommen habe, sofern, wie leider zu erwarten ist, die Höhe des Schadensbetrages die Kräfte der Provinz übersteigt. Für die erforderlichen Maßnahmen find die nötigen Staatsmittel un gesäumt zur Verfügung gestellt. *Zwei Entwürfe über die Regelung der ArL e i t s v erh ältnis s e in den Betrieben der Tabakindustrie, die den Schutz auch auf die Heimarbeit ausdehnen, unterliegen zur Zeit der Begutachtung durch die Einzel regierungen. *Ein Gesetzentwurf zur Ergänzung des Viehseuchengesetzes liegt, wie die ,Kreuzztg.' mitteilt, den landwirtschaftlichen Ver tretungen gegenwärtig zur Begutachtung vor. Der Entwurf erweitert die Zahl der anzeige pflichtigen Tierkrankheiten durch Hineinbeziehung der Schweineseuche und Schweinepest, des Schweinerotlaufs, der Geflügelcholera, Geflügel pest und der hochgradigen Tuberkulose des Rindviehs. Ferner sieht er eine strengere Über wachung des Viehverkehrs vor. England. * Die britische Regierung zeigt sich be unruhigt durch die Lage in Ostasien, die sich infolge der Gegnerschaft zwischen Japan und Rußland herausgebildet hat. Das Londoner Auswärtige Amt erhielt von der britischen Gesandtschaft in Peking Depeschen, in denen die Lage der Dinge in China als gefährdet dargestellt wird. Die Angelegen heit wurde in einer Kabinettssitzung erörtert und danach wurde an den britischen Geschäftsträger in Peking auf dem Kabelwege dringende Weisungen gesandt. Hier wird bemerkt, daß die Admiralität sich neuerdings über die Be wegungen des britischen Geschwaders in den chinesischen Gewässern ungewöhnlich schweigsam verhält, während anderseits be kannt ist, daß in den letzten Wochen enorme Mengen Kohle nach den Depots in Ost asien verschifft wurden und gleichzeitig Befehle ausgegeben worden sind, die Depots auf der Höhe ihrer vollsten Leistungsfähig keit zu erhalten. Luxemburg. * Der Großherzog Adolf von Luxem burg (bis 1866 Herzog von Nassau) beging am Freitag seinen 86. Geburtstag. Balkanstaaten. * Wie die ,Neue Freie Presse' aus Belgrad erfährt, hat Fürst Ferdinand von Bulgarien am Freitag drei Uhr morgens mit einem Sonder zuge aus der Fahrt nach Wien Belgrad passiert. Das Blatt ,Stampa' behauptet, die Lage in Bulgarien sei äußerst kritisch, und Fürst Ferdinand verlasse auf Anraten seiner Regierung Sofia vielleicht für immer. In Belgrad sei sogar das Gerücht verbreitet ge wesen, Fürst Ferdinand sei Vertrieben worden. *Jn macedonischen Kreisen wird behauptet, daß in einer vor kurzem in Sofia stattgefundenen Beratung der Führer der macedonischen Komitees in Bulgarien und der Chefs der inneren Organisationen in Macedonien be schlossen worden sei, vorläufig insofern von einer gemeinsamen Unterstützung des Aufstandes ab zu sehen, als die innere Organisation entschlossen sei, zu einem letzten Ver zweiflungskampf auszuholen, wenn bis zum Herbst die Reformen nicht durchge führt würden. Sie wünschen jedoch nicht, daß bei den geringen Aussichten auf Erfolg Bul garien, der letzte Hort der bulgarischen Nattonalität, mitgerissen und mitgefährdet werde. Die macedonischen Komitees in Bulgarien be schlossen in diesem Sinne nunmehr als Sammelorgane für die Beschaffung der Mittel für die innere Organisation zu fungieren, jedoch keinerlei Banden auszurüsten. , Afrika. * In Marokko sollen sich die Aussichten des Sultans sehr gebessert haben. Der Prätendent soll sich, nachdem Taza vom maurischen Kriegsminister erobert wurde, an einem Orte aufhalten, der vier Stunden von Ujdo liege. Sein Gefolge sei nur noch klein und er versuche, über die algerische Grenze zu entkommen. *Jn Kapstadt faßte der Legislativrat am 21. Juli einstimmig den Beschluß, gegen die Einwanderung von Asiaten Ein spruch zu erheben. Eine derartige Einfuhr sei den Interessen aller Bevölkerungsklassen Südafrikas nachteilig. Sämtliche Redner be tonten die Notwendigkeit, daß Engländer und Holländer gemeinsam an der Verhinderung der Einwanderung von Chinesen arbeiten, da ge nügend eingeborene Arbeitskräfte vorhanden seien, wenn man nur die Arbeiter richtig be handeln und bezahlen wolle. Asien. *Mit dem Erfolge der Ver. Staaten hin sichtlich der Mandschureifrage scheint es noch ziemlich unsicher bestellt zu sein. Wie aus Peking gemeldet , wird, hat Prinz Tsching an den amerikanischen Gesandten Conger ein Schreiben gerichtet, worin er die OffnungvonStädteninder Mandschurei für die Fremden ablehnt. Tsching verweist darin auf die Unmöglichkeit, daß China Städte öffne, die nicht in seinem Besitze seien, sondern von russischen Truppen besetzt gehalten werden, und auf die Verwickelungen, die daraus leicht entstehen könnten. Vie Helegrapben - Xonferen^ in ^onäon ist nach sechswöchiger Dauer geschlossen worden. Die von ihr beschlossenen Änderungen des intemationalen Telegraphen-Reglements beziehen sich, wie die ,Nordd. Allg. Ztg.' mitteilt, zum großen Teile auf Angelegenheiten des Be triebsdienstes und der Vereinfachung der Ab rechnung. Die Gebührenanteile der europäischen Länder für den Telegraphenverkehr mit anderen Welt teilen (bisher in der Regel 20 Centimes für das Wort) werden auf 15 Centimes für das Ursprungs- und Bestimmungsland und auf 12 Centimes für die Transitländer ermäßigt. Für die kleineren Staaten (Belgien, Schweiz rc.) gelten die Sätze von 10 bezw. 8 Centimes an Transit- nnd Terminalgebühren. Für die Ab fassung der Telegramme in verabredeter Sprache sind die Bedingungen wesentlich erleichtert worden; es werden unter gewissen Bedingun gen auch künstlich gebildete Wörter in der ver abredeten Sprache zugelassen. Von der obliga torischen Eiusührung des amtlichen Wörter verzeichnisses sür die verabredeten Sprachen, die in Handelskreisen lebhaftem Widerstand be gegnete, wird endgültig abgesehen. In Chiffre telegrammen werden künftig nicht nur Ziffern, sondern auch Buchstaben mit geheimer Bedeu tung zugelassen. Einem oft geäußerten Wunsche weiter Kreise entspricht die Bestimmung, die dem Absender freistellt, die Zustellung eines Telegrammes während der Nachtzeit durch den Vermerk ,jour" („Tag") auszuschließen. Für den internationalen Telephonverkehr sind ein heitliche Vorschriften aufgestellt, die bestimmt find, den Einzelvereinbarungen, die über diesen Gegenstand abgeschlossen werden, als Grund lage zu dienen. Die Konferenz hat den An laß zu besonderen Vereinbarungen über Tax ermäßigungen im internationalen Telegraphen verkehr geboten. Von besonderem Interesse für unser Publikum sind die Ermäßigungen für unseren Verkehr mit Griechenland (Worttaxe von 41 auf 24 H. ermäßigt), mit Nordamerika (Ermäßigung um 20 Centimes), mit Korfu, Kreta, Malta und den Niederlanden. Für den Verkehr mit Ägypten wird voraussichtlich gleich falls eine Ermäßigung um 30 Centimes für das Wort eintreten. Die meisten dieser Taxermäßi gungen sollen am 1. Juli 1904 in Kraft treten. Die nächste Telegraphen-Konferenz wird im Jahre 1908 in Lissabon stattfinden. Von unä fe^n. Dank des Kaisers. Der Kaiser ließ den Mannschaften der beiden in Brieg garnisonieren- den Infanterie-Regimenter Nr. 156 und 157 für ihre Hilfeleistung bei der jüngsten Hoch wasserkatastrophe im dortigen Kreise durch den Brigadekommandeur Generalmajor Schwarz, seinen Dank aussprechen. — Durch die heroische Ausdauer der Offiziere und Mannschaften ist es gelungen, einen Teil der Dämme zu halten, während an den anderen Stellen, wo dies un möglich war, die Dämme so lange verteidigt wurden, bis die Einwohner sich selbst, ihr Vieh und ihre sonstige Habe in Sicherheit gebracht hatten. Der amerikanische Milliardär Vander bilt hat, der Einladung des Kaisers folgend, die Sehenswürdigkeiten Danzigs und der Marien burg besichtigt und verläßt an diesem Donners tag den Danziger Hasen wieder. Eisenbahnunfall. Bei Annaberg in Sachsen entgleiste am Freitag ein Personenzug. Vier Personen wurden getötet und mehrere verletzt. Die Stadt Wismar wird die Hundert jahrfeier zur Erinnerung an ihren endgültigen Rückfall an Mecklenburg am 19. August mit großen Festlichkeiten begehen, an denen auch der Großherzog, sowie Herzog Johann Albrecht und Herzog Adolf Friedrich ihre Beteiligung zu gesagt haben. Den Glanzpunkt des Haupi- tages wird ein großer Festzug bilden, der durch geschichtliche Trachtengruppen und geschichtliche Darstellung gebildet werden soll. Auf dem Festplatze im Köppernitztale werden bei der Ent hüllung des Gedenksteins auch große gesangliche Vorführungen zu hören sein. Am Tage nach der Hauptfeier sowie am folgenden Sonntag sollen Volksfeste mit den nötigen Belustigungen veranstaltet werden. Die älteste Person Deutschlands, die Mutter des Lehrers Becker in Köllnreisiek bei Pinneberg, die aus Rendsburg stammt und jetzt in Goslar wohnt, begeht am 1. August ihren 108. Geburtstag. Znm Kampfe gegen die Schleppe. Das Ärztekollegium, die Kurkommission und das königliche Kur- und.Bade-Kommissariat in Ems haben eine gemeinsame Bekanntmachung zur öffentlichen Kenntnis gebracht, worin an die Damen die Bitte gerichtet wird, aus gesund heitlichen Gründen die Kleider in den Kuranlagen nicht schleppen zu lassen. Zum Drebkauer Bahnfrevel schreibt das ,Gub. Tagebl.': Der von einem Berliner Kriminalkommissar ermittelte Urheber des Eisen bahnunglücks in Drebkau, Brettschneidemeister Jaegel, wird wahrscheinlich einer Landesirren anstalt zugeführt werden, um auf seinen Geistes zustand hin untersucht zu werden. Ein Motiv für das von ihm begangene furchtbare Ver brechen weiß Jaegel nicht anzugeben, oder gibt er absichtlich nicht an, um Zweifel an feiner Zurechnungsfähigkeit zu erwecken. Er dürfte jedoch mit dieser Taktik wenig Glück haben, denn Jaegel gilt bei allen, die ihn kennen, als ein vollkommen geistesklarer, sogar sehr intelli genter Mann, der sich der Schwere des von ihm begangenen Verbrechens wohl bewußt war. Die echten schwarzen Pocken find am Donnerstag in Gleiwitz bei einem Häuer der Grube „Konkordia" festgestellt worden. Der Erkrankte ist in der Seuchenbaracke isoliert, ebenso seine Frau und zwei Kinder. Für die Arbeitsgenossen und alle anderen Personen, die mit dem Erkrankten in engere Berührung ge kommen sind, ist die Schutzimpfung angeordnet worden. Alle Blaßregeln zur Verhinderung der Ausbreitung der Seuche find getroffen. Auf einer Touristcnfahrt kam vor einigen Tagen ein Seminarlehrer aus Koschmin mit seiner Klasse nach Dresden. Im Hotel kam es plötzlich in der Nacht zwischen dem Lehrer und seinen gesamten Schülern zu einem argen Skandal, während dessen der Pädagog aus dem Hotel verschwand. Er ist auch noch nicht wieder gekommen, doch hat jetzt die Staatsanwaltschaft, auf Anzeige der Schüler, ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Bebels Billa in Küßnacht beabsichtigt nach der ,Tilsiter Allg. Ztg.' ein Tilsiter zu kaufen. Auf eine Anfrage ging eine durch Photographie und Ansichtskarte bemusterte Offerte ein, nach der 138 000 Frank bei einer Anzahlung von 40 000 Frank verlangt werden. Ein eigenartiger Unfall ereignete sich auf der Gewerkschaft „Deutscher Kaiser" in Bruckhausen. Ein an einem elektrischen Krahne beschäftigter Arbeiter kam mit einem eisenge nagelten Schuh der Leitung zu nahe, wobei er vom Strome erfaßt und sofort getötet wurde. K Vergeltung. I6j Kriminalroman von A v. Hahn. (ForUetzung.1 Rosa war nach und nach aus der stumpfen Betäubung, in die sie die Seelenqualen des folternden Gewissens versetzt hatten, zum Be wußtsein ihres Selbst erwacht. Die Frage: was soll nun werden? war so ost an sie heran getreten, bis sie es endlich begriffen hatte, es werde nunmehr etwas geschehen, was für ihr Leben von tief eingreifender Bedeutung werden mußte. Sie sollte heiraten. Franz ließ nicht nach, in sie zu dringen und sie immer wieder an das gegebene Ver sprechen zu mahnen. Ihr erstes Verlangen, als sie nach dem letzten niederschmetternden Ereignis zum Bewußtsein ihrer selbst gelangte, hatte sich in dem Wunsche geäußert, das kleine hinter lassene Wesen an ihr Herz zu nehmen. Eine heiße Begierde, an ihm ihre Sünde gut zu machen, erfüllte ihr Herz. Franz, der sich noch fürchtete, ihr die Wahrheit zu gestehen, verstand sie davon zu überzeugen, daß das Kind jetzt in ihrem noch ungeordneten Haushalt an allem Diangel leiden würde, es sei bis auf weiteres in seinem augenblicklichen Zufluchtsort am besten aufgehoben. Er verfehlte nicht, dabei immer besonders hervorzuheben, wie sehr wichtig es auch im Interesse dieser Seite ihrer Beziehungen sei, die eheliche Verbindung zu beschleunigen, und übte so einen Druck auf das Mädchen aus, der seine sehnlichen Wünsche am wirksamsten unterstützte. Der beständigen aufreibenden Er örterungen müde, gab sie endlich ihre Ein willigung. Es war ja schließlich ganz gleich, sagte sie sich mit der dumpfen Teilnahmlosigkeit der Verzweiflung, wie sich ihr Schicksal erfüllte — elender konnte sie ja nicht werden. Zwei Monate, nachdem die Müllersleute zur Ruhe bestattet worden, fand die eheliche Ver bindung des jungen Paares in der Dorfkirche statt. Außer den beiden erforderlichen Zeugen war niemand zu der Einsegnung herangezogen worden. Dann waren sie beide einverstanden, daß Hochzeitsgäste und deren Ansprüche an Freude und Heiterkeit nicht unter ihr Dach gehörten. In öder Reihe zogen die Tage an dem jungen Paare vorüber. Wie Rosa es in ihrer überreizten Seelenstimmung vorausgeahnt hatte, so traf es ein. Sie konnten das Glück neben einander nicht finden, das sie beide in so heißem Begehren gesucht hatten. Mochte es sein, daß die traurigen Ereignisse, die ihrer Verbindung voraufgegangen waren, so düstere Schatten auf ihre Lebensperspektive geworfen hatten, daß sie einander nicht mehr wiederfinden konnten, oder hatte das Bewußtsein ihrer Schuld, sich zum unerbittlichen Verhängnis gestaltend, ihnen mit der Seelenruhe, der ersten Vorbedingung zum Glücklichsein, den Mut dazu und das Vertrauen auf die sühnende Gewalt der Zeit geraubt, — keine stöbe Stunde war ihnen beschert. Der Schmelz der Liebe, das glückliche Vertrauen, der selbstlose Drang, eins im andern aufzugehen, eins dem andern zu Gefallen zu leben, war dahin. Anfangs mit Trauer, nachher mit Schmerz und Ungeduld, die sich schließlich zu Groll und Haß steigerten, hatte Franz es empfinden müssen, daß ihm jene Stunde, welche die rasche Tat geschehen ließ, die hin gebungsvolle Neigung der Heißgeliebten ge raubt habe. Rosa wandelte, ein Schatten ihres einstigen Seins, wie ein ewiges Gedenkzeichen an jenes grausige Ereignis neben ihm her. Nicht einmal die ersten Wochen ihrer jungen Ehe hatten ihm einen Schimmer jenes Glückes gebracht, das er im leidenschaftlichen Jugend rausch in glühenden Träumen ersehnt und das ihm mit der Liebe dieses Weibes in verführe rischer Greifbarkeit gewinkt hatte. Wie wäre das auch möglich gewesen, wie hätte sie etwas geben können, das sie nicht mehr besaß? Ihre Hingabe gehörte der Reue und dem Leid und ihr Sinnen und Trachten den Grübeleien über das nicht mehr zu Sühnende. Mit dem Instinkt der Liebe fühlte er es, deutlicher, als wen sie es ihm in dürren Worten erklärt hätte, daß ihre Liebe vom Gewissen erwürgt und an ihrer Stelle die gräßliche Mahnerin selbst ze tteten war, die als unumschränkte Herrscherin ihre furchtbare Geißel schwang und ewig trennend zwischen ihnen stand. Anfangs, als ihn noch die Hoffnung beseelte, die große Trösterin, die alles lindernde Zeit, würde auch ihrem Herzen den Frieden wieder bringen und ihren gemeinschaftlichen Lebensweg, wenn auch nicht mit der hellstrahlenden Fackel des Glückes, so doch mit dem bescheidenen Flämm- chen der Zufriedenheit beleuchten, — da hatte er es versucht, noch einmal um ihre Neigung zn werben. Mit der Demut eines Sklaven hatte er sich bis ins kleinste in ihren Willen gefügt, sich in allen Stücken ihr untergeordnet. Uyd es bedurfte oft einer die menschliche Geduld übersteigenden Selbstbeherrschung, die ost bis zur Selbstverleugnung herausgefordert wurde, sich ihren, von der unglücklichsten Seelenstim mung erzeugten Launen zu fügen. Zu feinem größten Schmerz gestand er es sich ein, daß kein Funke jener glühenden Leiden schaft, die sie einst beide in ihre Flammen ge hüllt, mehr in ihr lebte. „Ich verstehe dich nicht, Franz," rief fie ost anklagend, wenn er mit glänzenden Augen und frischroten Wangen von der Beschäftigung seines neuen Berufes kommend, dem er sich in der ersten Zeit mit unermüdlichem Eifer gewidmet hatte, bei ihr einttat und fie dann in über wallendem Lebensmut in die Arme schließen wollte, „ich verstehe dich nicht, — ich habe dich für gut gehalten, — aber du bist herzlos." „Herzlos? Ach, Rosa, verlange nicht, daß ich mich ewig vor Leid verzehren soll," bat er vorwurfsvoll. „Ich habe bereut und mit dir ge trauert; jetzt versuche ich aber auch an anderes zu denken und mich in das Unabänderliche zu fügen." „Fügen?" lachte sie schneidend, „wie kann man sich in die Erinnerung an zwei ungeheure Verbrechen fügen? Ja, Verbrechen!" betonte fie grausam, als er schmerzlich zusammenzuckle; „das zweite beinahe größer noch als der erste Mord, der von der Erde zum Himmel sckrie. Kain tötete seinen Bruder durch rasche Tat, weil er sich ihm gegenüber benachteiligt wußte, — wir aber, wir töteten den Bruder drei lange Monate hindurch, mit Lug und Trug, Meineid und Verrat, ließen ihn in Kerkermaueru
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