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Ottendorfer Zeitung : 06.12.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-12-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190312060
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19031206
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19031206
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-12
- Tag 1903-12-06
-
Monat
1903-12
-
Jahr
1903
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 06.12.1903
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Politische t^uncilckau. Deutschland. * Der Kaiser wird bestimmt am 17. und 18. Dezemb er in der Göhrde auf Rot- und Schwarzwild jagen. Am 18. Dezember mittags will der Kaiser zn einem Negimentsjubiläum in Hannover eintreffen. *Die neue Panama-Republik ist von Deutschland anerkannt worden. *Der neue Neichsetat balanciert mit mehr als zwei Milliarden 460 Millionen Mark. Er weill einen rechnungsmäßigen Fehlbetrag von 59 500 000 Mk. auf. * Der Reichstag wird, nachdem er am 3. d. seine Beschlußfähigkeit festgestellt und in der zweiten Plenarsitzung am 4. d. sich kon stituiert haben wird, am 5., 7. und 8. d. die Plenarsitzungen ausfallen lassen, an den beiden ersten Tagen, weil die Fraktionen zur ersten Lesung des Etats Stellung nehmen müssen, an letzterem Tage wegen des katholischen Feier tages. Die erste Lesung des Etats wird erst am 10. d. stattfinden können. Das Handelsprovisorium mitEngland muß vor den Weihnachtsferien in drei Lesungen erledigt werden. * Das Fleischbeschaugesetz läßt die Neuregelung gewisser Bestimmungen vom 1. Januar nächsten Jahres ab offen. Wie ver lautet, wird jedoch nicht beabsichtigt, bei der Mrze der Zeit, während welcher das Gesetz in Kraft ist, schon jetzt eine Änderung der be stehenden Vorschriften vorzunehmen. "Die badische Thronrede kündigt die Einführung des allgemeinen gleichen, ge heimen und direkten Wahlrechts für den badischen Landtag an. * Der neue Landtag für das Groß- Herzogtum Sachsen besteht auS 16 Kon servativen (bisher 15), 12 (11) Nationalliberalen, 2 (4) Freisinnigen, 2 (2) Sozialdemokraten, 1 (1) Ultramontanen. "Die sozialdemokratische Mehrheit des Mülhauser Gemeinderates hat den katholischen und prote st antischen Pfarrern und dem Rabbiner die städtische Gehaltszulage und den Vikaren das ganze Gehalt, zusammen 34 900 Mk. gestrichen. Österreich-Ungarn. "Eine Abordnung der deutschen Fort schrittspartei überreichte dem Fürsterz bischof Skrbensky eine Denkschrift, in der fürBöhmen die Errichtung eines deutschen Bistums mit einem deutschen Kapitel und einem deutschen Priesterseminar verlangt wird. In Erwiderung auf eine Ansprache des Depu- tationsführers Eppinger versprach der Fürsterz bischof, er werde das Seinige tun, damit für den deutschen Priesternachwuchs gesorgt werde. * Kossuth legte seine Stelle als Vor sitzender seiner Partei nieder, weil 27 Mitglieder derselben für seinen Antrag aus Einstellung der Obstruktion und 27 gegen ihn stimmten. Frankreich. "Wie man aus Paris berichtet, wird es in den dortigen politischen Kreisen bereits als fest stehend angesehen, daß anläßlich des Be suches des Präsidenten Loub et in Rom eine Begegnung desselben mit dem P a p st e nicht stattfinden werde. Man betont jedoch schon jetzt, daß in diesem Vorgang nichts liegen werde, was im Sinne einer verletzenden Zurückhaltung, sei es seitens Frankreichs, sei es seitens des Vatikans, zu deuten wäre. * Die Wiede raufnahmedesDreyfus- verfahrens hat in Paris nur einen geringen Eindruck verborgensten. Anfangs waren verschiedene nationalistische Deputierte genannt worden, die an geblich die Regierung interpellieren wollten. Jetzt indessen, wo es klar ist, daß dis große Mehr heit der Kammer die Interpellation durch Vertagung beseitigen und die Regierung sich auf den rein gerichtlichen Charakter der Angelegenheit berufen würde, scheint sogar diese Interpellation ins Wasser fallen zu sollen. Allerdings erklärt der Nationalist Congy noch, er werde den "General Andre nach dessen Rückkehr aus dem Süden interpellieren, aber Congys Freunde raten ihm entschieden ab. Cougy erklärt, daß der Justiz Minister durchaus gesetzmäßig vorgegangen sei, daß aber der Kriegsminister nicht das Recht gehabt habe, die Untersuchung borzunehmen. Er werde übrigens, falls die Interpellation abgelehnt werden sollte, im Laufe der Budgetdebatte noch Gelegenheit finden, die Angelegenheit zur Sprache zu bringen. Senator Clemenceau verlangt der ,Amore' zufolge, daß der Kassationshof das Urteil des Kriegs gerichts von Rennes aufheben und Dreyfus vor ein neues Kriegsgericht ver weisen soll; nicht nur das staatliche Interesse, sondern das besondere Interesse der Armee er fordere, daß der von militärischen Richtern begangene Irrtum von militärischen Richtern wieder gut ge macht werde. England. * Die englische Regierung hat be schlossen, die Erlaubnis zur Anwerbung chine- fischerArbeiter für die südafrikani- Neichstagsabg. Herzfeld. sLen Minen in irgend einem Teile des Reiches nicht zu erteilen. Dieses Vorgehen der englischen Regierung sei, meint das Blatt, durch die Haltung der kanadischen Gesetzgebung gegenüber der chinesischen Einwanderung veran laßt worden. Rustland. * Aus Anlaß des 50. Jahrestages der Schlacht bei Sinope (Krimkrieg) hat der Kaiser die Wiederstellung des 1856 erlassenen Befehls über die Anbringung des Bildnisses des heiligen Georg auf den Flaggen, Breit wimpeln und Wimpeln der Schiffe der Schwarze Meer-Flotte und der Flottille des Kaspischen Meeres erneuert, die für die Teilnahme an der Verteidigung Sebastopols die Georgsflaggen erhalten hatten. Balkanstaaten. * Mit der Durchführung der maze donischen Reformen ist nunmehr ein ernstlicher Anfang gemacht worden. Die österreichische und die russische Botschaft haben die Vorschläge zur Durchführung der ersten zwei Punkte der Reformnote vom 22. Oktober unter Zuziehung einiger Konsuln festgestellt. Sie betreffen die Vertreter beider Mächte beim Generalinspekteur der mazedonischen Provinzen und die Neugestaltung der Gendarmerie. Ein türkischer Ausschuß unter dem Vorsitz des Mar schalls Seki Pascha und mit Alexander Kara- theodory und Tewfik Pascha, dem Minister des Äußern, als Mitglieder, hat die Vorschläge zu prüfen und eine Einigung herbeizuführen. "Nach Belgrader Berichten herrscht dort große Aufregung, weil man in zahlreichen Kreisen von einem neuen Umsturz spricht, den die K ö n i g s m ö rd er p l an en. Maschins Rede in der Osfizierschule, worin er den Königs mord verherrlichte, gilt als symptomatisch. An geblich find die Verschwörer erbittert über König Peter, der sich von ihnen abzuwsnden sucht, und streben, seine Abdankung und die Ein setzung einer Regentschaft an. Als! Regenten werden Maschin, Misitsch und Awaku- i mowitsch genannt. > Amerika. "Die Regierung in Washington wird dem Abgesandten Kolumbiens erklären, er sei nur dann willkommen, wenn er zwischen Kolumbien und Panama Frieden stiften wolle. "Castro ist von einer kaum glaublichen Halsstarrigkeit. Der englische Gesandte in Caracas hat zweimal bei der venezolanischen Regierung dagegen Einspruch erhoben, daß der Orino co für den fremden Handel geschlossen ist, da hierdurch die Interessen von Trinidad besonders benachteiligt sind. Beide Male hat der Gesandte keine günstige, nicht einmal eine höfliche Antwort erhalten. Am 3. Dezember wird ein englisches Ge schwader nach La Guaira gehen, und es wird alsdann wahrscheinlich abermals eine neue Note überreicht werden. * Die dominikanischeRevolution wird jetzt als beendet betrachtet, und es ist daher die Zurückziehung sämtlicher deutschen Kreuzer angeordnet worden. Die Mitglieder der provisorischen Regierung sind am Montag in Santo Domingo eingetroffen. Afrika. "Das Amsterdamer ,Allgemeine Handels blatt' veröffentlicht Privatberichte aus Johannes burg; die die Zustände dort wie in ganz Transvaal als geradezu verzweifelt bezeichnen. Das Elend in Johannesburg sei unbeschreiblich. Tausende von Europäern würden gegenwärtig sroh sein, wenn sie als Arbeiter in den Goldminen ihr tägliches Brot verdienen könnten. Aber die Minenbesitzer wollen keine weißen Arbeiter und treiben durch das Stillstehen aller Betriebe die Not bis aufs höchste, nur um auf diese Weise der Regierung die Erlaubnis zur Einführung chinesischer Arbeiter abzuzwingen. Hus Petersburg. Ein ergreifendes Bild von der Petersburger Überschwemmung in der vorigen Woche entwirft ein Mitarbeiter der .Petersburger Zeitung'. „Wie es heute über Nacht kam" — schreibt er, — „so verderblich schnell, unvermutet wie der Tod! Erst die paar Kanonenschüsse gestern Abend! Ein wilder Gedanke an die bedrohten Armen im Hafen — und man setzte sich am Knisterfeuer des Kamins zurecht. Es ist gut sitzen am Kaminfeuer, wenn der Wind draußen heult, und er lullt die Gedanken schnell im Schlaf. Und auch den Arbeitern im Hafen viertel sind die Kanonenschüsse so oft schon nichts als leere Schreckschüsse gewesen. Wogenpeit schend und brüllend suchte unterdes der Wind von Westen im Dunkel der Novembernacht den Eingang in den stolzen Newastrom. Rauh und stoßweise ging seine harte Kommandostimme über die gefügigen Wasser. Und sie warfen sich gegen die Granitböschung und drangen in alle Poren und durch alle Löcher und Röhren unseres elenden Sumpfbodens. Wie verhaltenes gur gelndes Lachen — — da quillt es schon durch Ritzen und Spalten und sprudelt über die Tür. In Kellerräume, in Ställe, in Handwerker stuben und Läden und in Schlafkammern, wo der kleine Mann den tiefen Schlaf der Arbeit schläft. Klirrend fallen die Laternen von ihren Pfählen; mit Geheul stürzt sich unsichtbare Kraft über die Dächer her und rüttelt an ihnen und reißt. ... Da jagen schon die Feuerwehr wagen durch die spritzenden, schwimmenden Straßen. Da wird gerüttelt und geweckt, da geht ein Lärmen los und Augstgeheul und Fluchen und Kindergewimmer. Und Hunderte kommen zu Tage getaucht, platschend steigen sie in nassen Hemden die Stufen herauf, die quirlend das Wasser heruntcreilt. Fenster werden auf- und zugeschlagen. Hinauf, hinauf! Retten, retten! Die Kinder sind doch da, vielleicht sogar der Schafpelz. Unaufhaltsam und brausend ergießen sich die Fluten in die Höhlen der Armut! Schon steht das Wasser bis zum Straßenniveau. Nun veldeckt's die Kellerfenster und jetzt ist auch kein Fuß breit trockener Straße mehr zu sehen. Es ist, als hätte das Meer alle Srraßen hinabgeschlungen und als müßten nun die Häuser, eines um das andere, still nachgleiten. Es liegt eine grause „Vineta"-- Stimmung über dem elenden Hafen, wenn das große Wasser über Nacht kommt. Vor 6 Uhr morgens fchon lag der Hafen, eine traurige Wasserstadt, so voll häßlichen, verzerrten nächtlichen Lebens. Hoch und immer höher türmten sich die Wogen in der Newa, es leckten bald die ersten kleinen gleitenden Wellen am Krusenstierna - Denkmal hinan. Und Wassili- Ostrow war bald das, was es eigentlich hätte werden sollen: ein Klein-Venedig, Kanal neben Kanal; Baumwollenballen und allerhand Waren begannen zu treiben. Watende Ge stalten im Zwielicht; das törichte, goldene Schulkinderlachen; sittsame Schulmädchen, die wie kleine Kätzchen mit ihren begaloschten Pföt chen den Schneegrund probierten, um dann mit schreckhafter Gebärde eilig den Nachhauseweg anzulreten. Mägde, Beamte, Lehrerinnen, Stu denten; erst an den Ecken stehend, spähend, rufend, dann auf ragenden Lastwagen zu gräu lichen Massen geballt oder im Verdeck der Droschken balancierend. Immer belebter — die Straßen, guter Deute wohlgekleidete Kinder, Straßenjungen mit Handwägelchen, zu allen Diensten bereit. .... Und dann plötzlich ein Leichenwagen — langsam näherte er sich über die Nikolaibrücke und — Klitsch, Klatsch — durchs Wasser der armselige schwarze Zug. Da an der achten Linie halt! Hin und her! Da steigen die Fackelträger auf die verhängten Pferde, einer setzt sich neben den Sarg. „Muß doch nächstens selbst darauf," sagt er entschuldi gend zu den Umstehenden, „er wird mir's nicht übel nehmen!" Wer wenn die Leute geglaubt hatten, sie könnten bis zum Friedhof gelangen mit ihrer traurigen Last, da hatten sie geirrt. Dort war — das Meer! und deckte mit seinen leichengewohnten reichen Wellen, was die Menschen an Trennungsleid in harte Schollen gescharrt haben, und spülte weit über die Blumen der Erinnerung, und rüttelte an den schwachen Kreuzen der Hoffnung, des Wieder sehens, des Glaubens. — Noch spät am Nach mittage ragte allein die weißbeschneite, hoch gewölbte Brücke vor dem Smolenski-Friedhöfe aus einer Wasserwüste. . . Menschenmassen auf den Straßen Wassili-Ostrows. . . Da auf ein mal kommt ein Greis vorbeigehüpft, zitternd das dürre Gebein in den nassen Hosen, dem zerfetzten Rock. Man sieht, er ist bis unter die Achseln im Wasser gewesen: „Oi morc>8! oi rvoäa!" (O Frost, o Wasser!) so geht kreischend sein Ruf; — der kommt aus dem Hafen, auf dem Buckel trägt er seinen znsammengewickelten Schafspelz. Schlotternd stolpert er vorwärts, und wen er anblickt, der wird bleich — Wahn sinn! Das Gespräch wird leiser, man schaut ernst zum Hafen hin: da gibt es Tausende, die alles verloren haben, Tausende, die bald in die Wohnungen zurückkehren werden, daraus sie der nasse Tod vertrieben hat, um dort der Feuchtig keit, der Kälte, dem qualvollen Elend und Krankheitstode zum Opfer zu fallen. Tausende! Was das große Wasser verschont hat, es wird nicht alles leben! Tod in jedem Falle! Wer sorgt für die Armen, da es Zeit war? So ist und bleibt es ein Massenmord!" Mb MÄ fern. Wissenschaftliche Ballonfahrten. Am Mittwoch früh fand eine internationale wissen schaftliche Ballonfahrt statt. Es stiegen „Drachen", bemannte und unbemannte Ballons auf in: Scotland, Crinar, Trappes, Jtteville, Chalais, Meudon, Guadalajara, Rom, Zürich, Straßburg, Friedrichshafen, Barmen, Ham burg, Berlin, Wien, Petersburg, Kasan, Blue Hill (Ver. Staaten) rc. Der Finder eines jeden unbemannten Ballons erhält eine Bc-° lohnung, wenn er der jedem Ballon bcigegebenen Instruktion gemäß den Ballon und die Instru mente sorgfältig birgt und an die angegebene Adresse sofort telegraphisch Nachricht sendet. Auf eine vorsichtige Behandlung der Instru mente rc. wird besonders aufmerksam gemacht. Der frühere Bürgermeister von Ober ammergau Mayer, bekannt als ehemaliger Dar steller des Christus bei den Oberammergauer Passionsspielen, ist am Dienstag in München gestorben. K k^erta falk. 1) Roman von Theodor Alm ar.*) 1. „Es hat sich also hier in deiner Heimat während der letzten zehn Jahre nichts von Be deutung zugetragen?" fragte der Assessor von Rosen/ indem er nach einer Zigarre in dem kleinen Kistchen griff, welches ihm sein alter Freund, der Baurat Milner hinhielt. Die Herren saßen auf der Veranda eines hübschen Landhauses, das vor dem Tor einer kleinen Kreisstadt lag. „O doch, begeben und zugetragen hat sich gar manches während deiner Abwesenheit! Leider nur zu wenig des Guten. Aber sieh doch dort — gerade wie mit dem Wolf in der Fabel; du hast ihn gerufen! — Sieh dich mal um, da, rechts den Weg entlang; siehst du die Dame, welche von dort herkommt? Über diese kannst du gleich etwas erfahren, was mehr als sensa tionell ist und zugleich in dein Fach schlägt," sagte.Milner, indem er den Assessor auf eine hochgewachsene, schlanke Dame aufmerksam machte, welche eben aus dem vergoldeten Gitter tor des Gartens eines nahe gelegenen Hauses getreten war und jetzt mit leichten elastischen Schritten näher kam. „Sie muß hier an uns vorüber kommen; sieh nur, wie sie, des Weges kaum achtend, vorwärts hastet," fügte der Rat leise hinzu. „Ah, welch herrliche Erscheinung! Eine *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. solche Schönheit hier in eurem kleinen Städt chen?" rief Rosen enthusiasmiert, indem er wie elektrisiert vom Stuhl sich erhob. „Wie graziös und anmutig und welch ein Adel in Gang und Haltung! Aber wie blaß ist ihr Gesicht, wie farblos und starr." „Nicht so laut, Oswald, sie hört dich sonst." Die betreffende Dame, ganz in Schwarz gekleidet, ging vorüber. „Nein, wahrhaftig Ludwig, eine so schöne Frau ist mir noch nicht vorgekommen," fuhr jetzt der Assessor fort und blickte, so weit er konnte, der Betreffenden nach. „Bewunderungswürdig schön, aber ich muß gestehen, sie macht mir den Eindruck des Be fremdenden, des Rätselhaften." „Ja, rätselhaft, das war sie uns immer und ist es bis auf den heutigen Tag ge blieben." „Wie, dieser starre, gleichsam versteinerte Schmerzensausdruck lag immer in ihren Zügen?" fragte der Assessor betroffen. „Das gerade nicht; denn ich habe sie auch schon heiter und froh gesehen; allein es ist ein wirklich schweres Unglück über sie und ihre Kinder hereingebrochen und ich möchte sagen: es hat sich seither alles in ihr und um sie herum verwandelt. Wenn es dich interessiert, erzähle ich dir das Schicksal des armen Weibes." „Es können jetzt etwa sieben oder acht Jahre her sein," fuhr der Baurat, als jener bejahte, fort, „daß ein gewisser Doktor Julius Falk als Kreisphystkus hierher berufen ward. Der Zmall wollte es, daß ich damals, von einer Reise kommend, mit Falks zusammen in einem Wagen fuhr, als sie nach hier übersiedelten. Wie dir heute, so fiel mir damals die eigentümlich fesselnde Schönheit der jungen Frau auf, aber such der strenge Ernst in ihrem ganzen Wesen. Sie schien nur Auge und Sinn für ihre Kinder zu haben und da sie fortdauernd sich nur mit diesen beschäftigte, konnte ich unbemerkt mich in ihren Anblick versenken. Ich konnte mir nicht erklären, wie diese Frau, so schön, so elegant, dazu gekommen sein könnte, die Gattin eines Mannes zu werden, der äußer lich wenigstens so gar nicht zu ihr paßte. Allein, der schlichte, unscheinbare Mann sollte mich bald noch mehr fesseln als die schöne Frau mit ihrem eigenartige» Wesen. Damit du dir eine Vorstellung von seiner Erscheinung machen kannst, laß mich die Stelle zitieren, wo Goethe in seinem Wilhelm Meister von dem Abbö sagt: „Was uns den Freund so schätzens wert macht und gewissermaßen die Herrschaft über uns erhält, ist der freie, scharfe Blick, den ihm die Mutter Natur über alle Kräfte, die im Menschen liegen, gegeben hat." Ja, es lag etwas übermächtiges in den klaren braunen Augen dieses Mannes und seine Stimme klang sympathisch, wie zum Herzen gehende Musik. Falks sollten auch hier in ihrem neuen Wohnort bald Aufsehen erregen und zwar auf die angenehmste Weise. Die Frau durch ihre schöne Erscheinung und das Eigenartige in ihrem Charakter, und er als vorzüglicher Arzt und Mensch. Er war ein Mann in des Wortes ganzer Bedeutung. Wo es galt, den Leidenden zu helfen, war er jederzeit mit allen seinen Kräften und pekuniären Mitteln allen andern voran. Er hatte Verstänonis und Mitgefühl für eines jeden Kummer und Trübsal. Man könnte weinen, wenn man darüber nachdenkt, wie ihn das Schicksal so treffen konnte! — Aber ich muß Wohl der Reihe nach erzählen, damit dir der Zusammenhang nicht entgeht! „Nach dem Vorhergesagten wirst du dir wohl vorstellen können, wie sehr man allgemein danach strebte, mit Falks bekannt zu werden, zumal diese sehr gastfreundlich waren und in ihrem Hause alles auf das vornehmste einge richtet hatten. Auch lebten sie in musterhafter Eintracht und dem Doktor konnte man es so recht von den Augen ablesen, daß er seine Frau bis zur Anbetung liebe, hingegen sie von seinem ganzen Wert durchdrungen zu sein schien. Sie war, wenn er mit andern sprach und zwar immer mit Geist und tiefem Verständnis sprach, mochte es über welches Thema immer sein, seine eifrigste und aufmerksamste Zuhörerin. Ja, es war auch ein Hochgenuß, diesen grund- gebildeten, kenntnisreichen Mann sprechen zu hören. Seine klare, bestimmte und stets knapp ge haltene Rede ergoß sich über seine Hörer wie der frische Waldquell, der den müden Wanderer labt. Da war kein Widerspruch, keine Wider legung, denn jedermann mußte ihm beistimmen. Meist sprach er das in treffenden Worten aus, was wir nur dunkel fühlten und dachten. Herr und Frau Falk lebten allem Anschein nach in großer seelischer Harmonie, obgleich sie oft kalt erschien, und ich erinnere mich nicht, ihren Blick je anders als bewundernd auf den
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