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Ottendorfer Zeitung : 12.09.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-09-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-190609124
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19060912
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19060912
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Ottendorfer Zeitung
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-09
- Tag 1906-09-12
-
Monat
1906-09
-
Jahr
1906
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 12.09.1906
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Politische Kunälckau. Deutschland. *Der Kaiser, der mit der Kaiserin zur Teilnahme an den großen Manövern in Schlesien weilt, hat dem Kardinal- Fürstbischof Kopp, dem Oberpräsidenten von Schlesien Grafen Zedlitz-Trützschler und dem Herzog von Ratibor den Schwarzen Adlerorden verliehen. *Der neue Leiter der Kolonialab teilung, Herr Dernburg, wird nicht end- giltig zum Direktor der Kolonialabteilung er nannt werden, er wird vielmehr Mr dessen GeschLste versehen und das entsprechende Gehalt beziehen. Das deutet darauf hin, daß die Forde rung eines selbständigen Kolonialamtes bald wiederholt werden wird. * Der Kolonialskandal nimmt immer größeren Umfang an. Gegen alle, die behauptet hatten, außer Major Fischer hätten noch andre Offiziere mit der Firma Tippelskirch in Verbin dung gestanden, ist nunmehr Strafantrag gestellt worden. * Der Dampfer „Bürgermeister" der Deutschen Ostafrikalinie ist mit den auf derHeimreise befindlichen Reichstagsabgeordneten an Bord, von Aden abgegangen. * Der Bedarf der Zigarrenfabri kanten und -Händler an Steuerzeichen ist, da die sämtlichen Vorräte am 1. September mit einer Banderole versehen werden mußten, so stark gewesen, daß die Steuerbehörden an geblich nicht in der Lage waren, sämtlichen An forderungen gerecht zu werden. * Der Landtag des Großherzogtums Sachsen-Weimar tritt Anfang Oktober kurz vor den Neuwahlen zu einer voraussichtlich achttägigen Sitzung zusammen, um endgültig über die Aufhebung der Gerichtsgemeinschaft mit Reuß j. L. zu beschließen. * Der Kongreß der Gewerkvereine nahm den von sozialistischer Seite vorgelegten Antrag mit 756 gegen 543 Stimmen an, daß der parlamentarische Ausschuß eine Besprechung zwischen den beiden Fraktionen der Arbeiter partei veranstalte, um deren Verschmelzung an zustreben. Osterreich-Ungarn. * Die Verständigung über die gemein samen wirtschaftlichen Interessen Osterreich-Ungarns, die seit der Be rufung des neuen ungarischen Ministeriums ihre trennenden Sonderziele aufgegeben haben, soll durch Verhandlungen zwischen dem ungarischen und österreichischen Ministerium zu praktischen Ergebnissen gelangen. Zu diesem Zweck trifft der ungarische Ministerpräsident Wekerle dieser Tage in Wien ein und wird vom Kaiser in Audienz empfangen, wobei er die ungarischen Ausgleichsvorschläge überreicht. * InFiume ist die Ruhe noch immer nicht hergestellt. Die wüsten Ausschreitungen dauern unter den Augen des Militärs, das aller dings nicht verläßlich ist, und das sogar an verschiedenen Stellen mit den rauflustigen Volksmengen gemeinsame Sache machte, fort. Frankreich. *Wie es heißt, werden die Bischöfe wahrscheinlich den ihnen unterstehenden Geist lichen die hauptsächlichsten Beschlüsse der Versammlung, nachdem diese tue Zu stimmung desPapstes gefunden haben werden, zur Kenntnis bringen. Dagegen wird das Gerücht für unbegründet erklärt, daß diese Beschlüsse nach dem Schluffe der Versammlung der Presse mitgeteilt werden sollen. Die Verhandlungen werden für alle Fernstehenden geheim bleiben. England. * Liberale Blätter äußern sich zu Kriegs minister Halb an es Heimkehr aus Berlin: Falls der Kriegsminister dieselben gründlichen Methoden, wie sie in der deutschen Armee und namentlich bei der Ausbildung der deutschen Offiziere herrschen, dem englischen Leben ein flößen könne, würde er der Nation einen unbe rechenbaren Dienst leisten. Italien. *Die italienische Presse verfolgt diesmal zwar mit Aufmerksamkeit, aber mit größerer Mäßigung die ö st err ei ch i s ch e n Flotten manöver, die zum Teil in der Nachbarschaft der Gewässer in Ancona stattfinden. Es ist kein Geheimnis, daß im Kriegsfall die Aufgabe der österreichischen Flotte eine Landung außer halb des Bereichs der Kanonen von Ancona oder wenigstens die Zerstörung der Eisenbahn von Ancona nach Bologna wäre. Aus Fano wird gemeldet, daß dort ein nächtliches Manöver der österreichischen Schiffe die Häuser erzittern gemacht habe. (Völkerrechtlich ist dagegen nichts einzuwenden, aber es verstößt gegen die Regeln guter Freundschaft.) Spanien. * Nachdem die Regierung dem Vatikan eine Liste der für die Gesandtschaft am Heiligen Dernburg. Erbprinz zu Hohenlohe-Langenburg, der bisher mit der Leitung des Kolonialamtes betraut war, ist von dieser Stellung entbunden worden und an seine Stelle ist der Bankdirektor Bernhard Dernburg getreten. In der Verwaltungsgeschichte des Reiches ist es bisher ein Unikum, daß ein Mann ohne politische und parlamentarische Vergangenheit zu einem so wichtigen Amt berufen wurde. Es handelt sich aber im wesentlichen darum, einen Mann an diese Stelle zu setzen, der der Situation auch in kauf männischer und rechnerischer Beziehung gewachsen ist. Bernhard Dernburg ist ein Mann von hervorragenden finanztechnischen Erfolgen. Er steht erst an der Schwelle des Mannesalters, denn er ist am 17. Juli 1865 in Darmstadt geboren. Er ist ein Schüler von Georg von Siemens und hat seine geschäftliche Schulung in den Vereinigten Staaten erhalten. Nachdem er nach Europa zurückgekehrt war, trat er in die Deutsche Bank ein, wo er zur Leitung der neu be gründeten Treuhand-Gesellschaft berufen wurde. Im März 1901 trat Dernburg in die Direktion der Darmstädter Bank ein, in der er sich schnell eine maßgebende Stellung sicherte. Es steht zu hoffen, daß dem neuen Leiter des Kolonialamtes diejenigen Erfolge blühen, die seinem Vorgänger leider versagt blieben. Stuhl in Bettacht kommenden Diplomaten vor gelegt hat, ohne daß hierauf eine Antwort er folgt wäre, ist in dieser Frage tatsächlich Zn Aufschub eingetteten. Man spricht von einer Zurückberufung des gegenwärtigen Nunzius Rinaldi; es ist auch die Rede davon, das Kon kordat zu kündigen, ohne die Ausarbeitung des Vereinsgesetzes abzuwarten. Rutzland. *Der angekündigte Ukas des Zaren bett, die Einführung neuer Ausnahme gesetze zur Unterdrückung der revolutionären Bewegung ist in Petersburg veröffentlicht wor den. Es stellt die Antwort der Regierung aus die fortdauernden Mordtaten der letzten Zeit dar. Die ordentliche Gerichtsbarkeit und auch die reguläre Tätigkeit der Kriegs gerichte wird aufgehoben und durch Standgerichte ersetzt, die mit größter Be schleunigung und äußerster Strenge den Kampf gegen den „inneren Feind" durchsühren sollen. Die Regierung begleitet diesen Erlaß, der überall großen Eindruck gemacht hat, und durch den sie nun auch ihrerseits den Revolutionären den rücksichtslosesten Vernichtungskrieg ankündigt, mit einer langen Mitteilung, die die absolute Notwendigkeit dieser harten Abwehr politik dartun soll, daneben aber auch dem ord nungsliebenden Teile der Gesellschaft liberale Reformen auf den verschiedensten Gebieten des Staatslebens in Aussicht stellt. Unter diesen stehen die Judenfrage und die Schul - frage an erster Stelle. * Der Ministerrat erkannte denIuden das Recht zu, niedere und Mittelschulen zu errichten. *Der Minister des Innern, Protisch, unterbreitete dem Staatsrat eine Vorlage bett. Abänderung des Pressegesetzes. Die Vorlage verbietet den Streit über den Königsmord vom 11. Juni 1903, plant die Begrenzung der B eri cht erstattun g aus der Skupschtina und sieht die Strafbarkeit der Veröffentlichung geheimer Staatskorrespondenzen über Vorgänge im Ministerrate sowie der Bezeichnung der Offiziere und Unteroffiziere als Verschwörer oder Gegenverschwörer vor. Strafbar sollen ferner die Teilnehmer an der Wiedergabe von Skupsch- tinareden sein, soweit diese strafbaren Inhalts sind. (Damit wird die Verschwörerfrage, die nach wie vor brennend ist, wohl kaum ge löst werden.) Balkanstaaten. * Zu dem türkisch-persischen Grenz streit, der sich nun schon seit Monaten hin schleppt, wird aus Konstantinopel berichtet: In folge eines Protestes von persischer Seite hat die Pforte versprochen, dem Wali von Van Befehl geben zu wollen, den kürzlich besetzten Distrikt Margevar wieder zu räumen. In den nächsten Tagen wird die erste Zusammenkunft der türkischen und persischen Grenzkommission stattfinden. Amerika. * Senator Baiey aus Texas wird sich von der demokratischen Partei als Kandidat für die Präsidentenwahl in Amerika auf stellen lassen. (Er erklärte sich als Gegner der von Bryan vorgeschlagenen Eisenbahnverstaat lichung.) * In Kuba sind Friedensverhand lung e n mit den Rebellen eingeleitet und die Feindseligkeiten einstweilen eingestellt. Falls die Unterhandlungen scheitern sollten, wird General Guerra den Gesamtoberbefehl über die Truppen der Rebellen übernehmen. Roosevelts verteiöigung -er neuen Orthographie. A Aus New Dort wird berichtet: Die mannigfachen Kritiken und Angriffe, die Prä sident Roosevelt wegen seines Vorstoßes zu gunsten einer vereinfachten Rechtschreibung er fahren hat, sind augenscheinlich doch nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben. In Form eines Briefes an den Staatsdrucker Stillings sucht er die neue Orthographie gegen ihre Kritiker und besonders gegen die Zeitungen der eignen Partei in Schutz zu nehmen. Seine Korrespondenz hat er genau nach den Vorschriften der vereinfachten Rechtschreibung, die sich auf 300 Worte be ziehen, geführt; in dem jetzt veröffentlichten Briese ist er jedoch so vorsichtig, daß von ins gesamt 438 Worten nur eines in der neuen Orthographie geschrieben ist. „Die meisten Kritiken," schreibt Roosevelt, „sind augenschein lich in völliger Unkenntnis dessen, was dieser Schritt bedeuten soll, erhoben worden. Es be steht nicht die geringste Absicht, irgend etwas Revolutionäres zu tun oder eine weitaus schauende Politik einzuleiten. Der Grund ist einfach der, daß die Regierung nicht hinter dem Empfinden des Volkes zurückbleiben, sondern mit ihm mitgehen und sich zugleich Seite an Seite mit den erfahrensten Er ziehern unsrer Zeit und den tiefsten Gelehrten vom Schlage eines Professor Lounsbury und Skeat befinden will. Wenn die leichten Ände rungen in der Orthographie der 300 vorge schlagenen Wörter ganz oder teilweise die Billigung der Öffentlichkeit finden werden, so werden sie sich dauernd erhalten; und wenn sie diese nicht finden werden, so werden sie wieder verschwinden — weiter ist darüber nichts zu sagen. Es ist nicht ein Angriff auf die Sprache Shakespeares und Miltons, weil die Änderung in einigen Fällen auf die von ihnen gebrauchten Formen zurückgeht. Es ist überhaupt kein Ver such, irgend etwas Weitausschauendes, Plötz liches, Gewaltsames oder irgendwie Bedeutendes zu tun, sondern lediglich ein Versuch, mit der geringen Kraft, die ich habe, die Kräfte zu unterstützen, die unsre Orthographie ein bißchen weniger närrisch und phantastisch zu machen ver suchen." Mit dieser Erklärung wollen nun beide Telle nicht recht zufrieden sem. Die Anhänger der neuen Orthographie sehen darin eine Art Rückzug, daß er überhaupt eine Entschuldigung oder Erklärung für nötig befunden hat, und die Angreifer der neuen Orthographie freuen sich darüber, daß der Präsident anscheinend so klein laut geworden ist, wenn auch der Stein des Anstoßes für sie noch immer nicht beseitigt ist. Von unä fern. X Zu lebenslänglichem Zuchthans be gnadigt hat der Kaiser den Hüttenarbeiter Thomanek in Königshütte, der in Gemeinschaft mit der Frau des Grubenarbeiters Kalus deren Ehemann erwürgt hat und dieserhalb vom Schwurgericht in Beuthen O.-S. zum Tode ver urteilt wurde. Gegen seine Mitschuldige, Frau Kalus, ist seinerzeit auf eine 15 jährige Zucht hausstrafe erkannt worden, die sie gegenwärtig verbüßt. X Im Alter von nahezu 104 Jahren gestorben ist die Witwe des ehemaligen Kgl. Landrats Coermann, Elisabeth geb. Moll, die älteste Einwohnerin der Stadt Münster i. W. Sie entstammte einer kinderreichen Familie, von der verschiedene Glieder ein recht hohes Alter erreichten. Bis in die letzten Jahre hinein er stellte sich Frau Coermann, die bereits seit 1873 Witwe war, noch geistiger Frische, doch begannen ihre körperlichen Kräfte abzunehmen, als sie vor einigen Wochen an Lungenentzündung erkrankte, die sie indessen überstand. Zu ihrem hundertsten Geburtstag erhielt die Greisin die Glückwünsche des Kaisers mit einem wertvollen Geschenk. Der Breslauer Strastenkrawall, bei dem seinerzeit dem Arbeiter Biewald eine Hand abgehauen wurde, und der infolgedessen lange Zeit die Öffentlichkeit beschäftigte, hat jetzt da durch seinen Abschluß gefunden, daß das Ver fahren gegen sämtliche Angeklagte eingestellt worden ist. 95 Personen, die wegen des Krawalls am Striegauer Platz in die Unter suchung mit einbezogen waren, erhielten den Beschluß des Landgerichts zugestellt, daß wegen Unzulänglichkeit des Belastungsmaterials das Verfahren gegen sie eingestellt sei. 88 hiervon, darunter eme Arbeiterfrau und der bekannte Arbeiter Biewald, waren des Aufruhrs be schuldigt gewesen, die sieben andern der Nötigung, der Beleidigung und des Streitterrorismus. Wegen fahrlässiger Tötung seines eigenen Kindes ist der Klempner H. aus Hamburg in Untersuchung gezogen worden. H. hatte nach einem Streit mit seiner Ehestau sein einjähriges Kind auf den Arm genommen und ist mit ihm von Kneipe zu Kneipe gezogen. Das Kind starb bald nach diesen Vorfällen, und es wurde bei ihm Schädelbruch festgestellt. Wahrscheinlich hat der Vater es in der Trunken heit fallen lassen. Abstürzende Sandmafsen verschütteten in Pribberow in Pommern zwei an einem Sand haufen stielende Kinder, einen Knaben von 3hs und ein Mädchen von 4 Jahren, die als Leichen hervorgezogen wurden. X Begnadigung eines Offiziers. Der Zeugleutnant Konrad Hertel, früher zur Garnison Würzburg gehörig, welcher wegen Unterschlagung von etwa 70 000 Mk. vom Kriegsgericht der 4. bayrischen Division zu 1V- Jahr Gefängnis verurteilt wurde, ist nach Verbüßung von Zwei drittel dieser Strafe begnadigt und sofort in Freiheit gesetzt worden. Er erhält eine An stellung bei einem Milftäreffcktengeschäft. K Auf schiefer Sabn. 16) Roman von Reinhold Ortmann. (Fortsetzung.) „Wenn es denn durchaus sein muß — Ihr Herr Vater ist drüben in einem Spielzimmer, und ich werde Sie mit Ihrer Erlaubnis zu ihm geleiten," entgegnete Bruno. Er reichte Herta den Arm und führte sie durch den Saal, während Hilde, die er geflissentlich nicht zu beachten schien, in einer kleinen Ent fernung folgte. Ehe sie über die Schwelle des Zimmers traten, neigte er sein schwarzlockiges Haupt ganz nahe zu Hertas Köpfchen und flüsterte: „Darf ich mit einer beglückenden Hoffnung von Ihnen scheiden? Werden Sie kommen?" Sie zögerte einen Moment mit der Ant wort; aber in dem Moment, da sie ihre Hand von seinem Arm herabgleiten ließ, sagte sie leise: „Ja — am Montag vormittag — mit meiner Schwester." Julius Löwengaard war sofort bereit, seinen Platz am Spieltisch einem andern Herrn zu überlassen, um sich dem Wunsche der Damen zu fügen. „Aber wo ist Cäsar?" fragte er, als sie sich in die Garderobe begaben. „Wir dürfen den armen Jungen doch nicht ganz allein hier zurücklassen." „Mach dir um ihn keine Sorge!" sagte Hilde, und die verächtliche Entrüstung, von der sie gegen den studentischen Vetter erfüllt war, klang deut lich genug in ihren Worten. „Herr Doktor Geißler hat uns zum Glück der Notwendigkeit überhoben, ihn nach Hause zu schaffen." „Was heißt das? Er ist doch wohl nicht etwa —" „Er war in einem Zustande, der ihn für den Umgang mit gesitteten Menschen un möglich machte — ja! Ich hoffe, du wirst ihm nie mehr gestatten, uns irgend wohin zu be gleiten." „Ah, der Schlingel!" aMte Löwengaard und nach einer Leinen Welle fügte er sichtlich beruhigt hinzu: „Aber wie in aller Welt kam gerade dieser Doktor dazu, sich seiner anzunehmen ? Er ist doch, so viel ich sicher weiß, nur ganz oberflächlich mit ihm belannt." Hilde zuckte die Achseln. „Ich weiß nichts von ihren Beziehungen ; aber ich vermute, daß sie sehr gute Freunde sind, denn ich hörte Cäsar erst vor wenigen Tagen mit wahrem Enthusias mus von dem Geist und der großen Liebens würdigkeit des Doktor Geißler reden." Julius Löwengaard sagte nichts mehr, aber er blieb von diesem Augenblick an nachdenklich und verstimmt. In tiesem Schweigen legten sie die Heimfahrt zurück. Jedes von den dreien schien viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sem, um ein Bedürfnis nach Unterhaltung zu empfinden. Erst als der Wagen vor Richard Sievekings Wohnung hielt, fragte Löwengaard: „Wünschest du vielleicht, daß ich dich begleite, Herta, um bei deinem Man« ein gutes Wort für drch einzulegen?" „Ich danke dir für die freundliche Ab sicht," gab sie zurück, „aber ich bedarf dessen wirklich nicht. Es wäre doch wohl sehr schlimm, wenn ich da meine Fürsprecher brauchte. Noch ist es, Gott sei Dank, nicht so wett ge kommen, daß ich mich vvr Richard fürchten müßte." Trotz dieser Zuversichtlichkeit aber schlug ihr ein wenig das Herz, als sie die Treppe empor stieg und die Glocke an der Flurtür zog. Ein paar Minuten vergingen, ehe ihr das Haus mädchen mit verschlafenem und mürrischem Gesicht öffnete. Die Frage nach ihrem Gatten brannte Herta auf den Lippen. Aber sie zögerte doch noch, bis ihr das Mädchen Mantel und Kopftuch abgenommen hatte, bevor sie sie ausstrach. „Der Herr hat sich bereits zur Ruhe begeben, nicht wahr?" „Nein, gnädige Frau, der Herr arbeitet noch im Kontor." „Und er hat nach mir gefragt?" „Nein. Der Herr ist nur ein paarmal heraufgekommen und in das Schlafzimmer ge gangen. Gesagt hat er nichts. Und in den letzten zwei Stunden war er auch gar nicht mehr oben." Herta atmete auf. „So helfen Sie mir schnell, mich auszu kleiden," befahl sie, „ich bin sehr müde." Eine Viertelstunde später dehnte sie sich bereits in süßem Behagen auf den weichen Kissen, und eine Fülle heiterer, berauschender Bilder zog noch einmal an ihrer Seele vor über, ehe sich der Schlummer sanft auf ihre Lider senke. Es war spät am Morgen, als sie «wachte. Das Bett ihres Gatten war unberührt geblieben. Richard Sieveking hatte also die ganze Nacht in seinem Kontor über seinen Büchern zuge bracht. 10. Julius Löwengaard saß vor dem prächti- geschnitzten Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer als ihm der Diener meldete, daß Herr Helmbrecht von dem Bankhause Schröder und Werkenthttl für einige Minuten um Gehör bitte. „Lassen Sie ihn eintreten I" befahl der Haus» Herr, um dann, als sich die schmächtige, -eng« brüstige Gestalt des Buchhalters zur Tür herein schob, das Gesicht mit ungeduldig fragendem Ausdruck von dem eben begonnenen Brief M erheben. „Nun — was bringen Sie?" fragte er iu einem kühlen, wenig ermutigenden Ton». „Hoffentlich läßt sich's rasch abmachen, denn meine Zeit ist außerordentlich beschränkt." „Ich bitte um Entschuldigung, Herr Löwen gaard — es ist mir sehr peinlich, daß ich un gelegen komme. Aber ich wollte keine Stund» ohne Not verlieren, das Geld brennt mir sozu sagen in den Händen." „Ich verstehe nicht. Was ist das für Gelb, das Ihnen in den Händen brennt?" „Die sechstausend Mark, die ich Ihnen mm schon seit mehreren Jahren schulde. Es hat sich ein Wunder ereignet. Ich habe eine Erbschaft gemacht — eine Erbschaft von nahezu fünfzehn tausend Mark. Und — denken Sie nur, ohne daß ich das geringste davon ahnte! Ein Halo verschollener Bruder meines Vaters, der ut Rußland lebte und ohne Nachkommenschaft storben ist. Ich erhielt vorgestern die Benach richtigung, daß das Geld bei dem hiesigen russischen Generalkonsul für mich bereit liege. Und nun habe ich es heute morgen erhoben.
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