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kalt — Füße warm haltend, dann braucht ihr keinen Doktor und könnt meinem armen, geplagten Mann die nöthige Ruhe gönnen." Der Physikus lachte dazu, gab seiner wackeren Gattin, die stets den Nagel auf den Kopf traf, vollständig recht und richtete ihr sogar eine regelrechte Haus-Apotheke ei», um in leichte» Fällen den Armen gleich das nölhige Mittel, natürlich gratis, mitzugeben. Daß ihre Pflegetochter Hertha, welche jetzt 26 Jahre alt war, so ziemlich in ihre Fußtapfen trat, ist selbstverständlich, ob wohl die junge Dame doch ihre Eigenart bewahrt hatte. Sie war hoch und schlank, eine schöne, edle Erscheinung, mit einem Antlitz von jener Marmvrblässe, welche den dunklen Augen einen wundersamen Reiz verlieh. Das volle braune Haar in der einfachen, griechischen Frisur und den modernen Stirnlöckchen, konnte man sich auf diesem zierlichen Kopfe gar nicht anders geordnet denken. Das Gesicht war unregelmäßig und doch von jenem eigenthümlichen Zauber, der, geistig gelebt, unwiderstehlich gefangen nimmt. Die junge Dame hatte, abgesehen von ihrer bemerkenswerthen Eigenschaft als Erbin ihrer sehr wohlhabenden Pflegeeltern, in ihrer Persönlichkeit somit genug Anziehungskraft, um Heirathsanträge und zwar aus den besten Familien, zu be kommen, welche sie jedoch ohne Besinnen und mit voller Ent schiedenheit regelmäßig abgelehnt hatte. „Du wirst uns das gebrannte Herzeleid anthun und eine alte Jungfer werden," sagte die Mutter, wie sie die Pflegerin ihrer Kindheit von ganzem Herzen nennen durfte, jedesmal, wenn sie einen Korb ausgetheilt hatte, mit großer Bekümmerniß. „Der ist nun selber reich genug und würde Dich gewiß nur um Deiner selbst willen heirathen." „Hertha lachte dann, küßte ihrem Mütterchen die Falten des Unmuthes von der Stirne und meinte zum so und so vielten Male: „Zum Heirathen gehören zwei und wenn ich nicht einen Mann bekommen kann, den ich eben so lieb habe, wie Du den Papa, dann bleibe ich eine alte Jungfer und bei Dir, Du ein zige und beste aller Mütter!" „Schmeichelkatze!" schalt die rasch besänftigte Pflegemutter, „einen Mann, wie meinen Physikus findest Du so leicht nicht. Das heutige Männervolk ist alles Mittelwaare." Heute aber war die resolute Dame wirklich erzürnt auf ihn, weil die Köchin soeben ihr letztes Wort gesprochen, nämlich, daß die Speisen sammt und sonders verkocht und verbraten, der Salat hart, der Pudding zusammengefallen, mit einem Wort, die ganze „Prost die Mahlzeit" wie sie sich ausgedrückt hatte, ungenießbar ge worden wäre. „Wenn ich eine Ahnung hätte, wer ihn festhielt," rief die Frau Physikus erbost, „ich würde ihn unbedingt holen lassen." „Am Ende ist sein geheimnißvoller Patient wieder kränker geworden," meinte Hertha, welche an das Fenster getreten war. „Das könnte möglich sein," sagte die alte Dame, nach denklich zu der Tochter hinüberblickend : „Dann freilich wäre er entschuldigt." „Wie kommts, daß Du so großes Interesse an diesem Un bekannten nimmst, Mama?" fragte Hertha, sich verwundert zu ihr umwendend — „Mir kommt er unheimlich vor. Ein Selbstmörder —" „Dummes Zeug, wie kannst Du so etwas nachplappern, Kind!" unterbrach sie die Mutter unwirrsch. „Er ist von fremder Mörderhand so zugerichtet worden, verlaß Dich darauf." „Aber dann ist die Sache im Grunde erst recht unheim lich," beharrte Hertha. „Wenn ich diese Ueberzeugung haben soll, dann fürchte ich mich, allein einen Spaziergang zu unter nehmen. Der Gedanke, in unserer Stadt oder Umgegend, möglicherweise unter uns lebend, einen Mörder zu wissen, ist wahrhaft entsetzlich." „Warum nicht gar, Du Hasenherz! — Daß nur ein Fremder es gethan haben kann, ist doch selbstverständlick, und ebenso sicher auch, daß er sich nach dieser Heldenthat rasch ge nug aus dem Staube gemacht hat." „Dort kommt Papa," rief Hertha erfreut, „er sieht recht ernst aus und hat nur ein halbes Lächeln für mich." „Na ja, dann hat er wieder Aerger oder Sorgen, — ach dieser aufreibende Beruf!" Hertha war mittlerweile schon hinausgeeilt, um dem Vater die Thüre zu öffnen, ihm Hut und Stock abzunehmen und ihn in das Speisezimmer zu geleiten. „Mama ist böse über mein langes Ausbleiben, wie, Herz chen," fragte er rasch. „Freilich, mit dem Essen mußt Du jetzt vorlieb nehmen müssen, wie es ist, verkocht und verbraten, — Papachen! — Du wirst Vergebung erhalten, wenn Dein unheimlicher Patient die Schuld daran trägt." „Allerdings ist es auch so!" seufzte der alte Herr. „Un heimlich ist der Arme keineswegs, Kind, nur bedenklicher ge worden." Er setzte sich dann still zu Tisch, wo ihn seine Gattin, die seine Art kannte, nicht mit Fragen belästigte. Als die Suppe verzehrt war, sagte er plötzlich: „Habt wohl schon von dem neuen Fund am Waldsee vernommen?" „Kein Wort, was giebt's denn jetzt wieder?" rief seine Gattin erregt. Der Physikus erzählte und die beiden Damen hörten schaudernd zu. „Verzeiht," unterbrach er plötzlich seinen Bericht, „ich ver gaß, daß Ihr noch nicht gespeist habt. Wir Aerzte sind da gegen wohl schon abgestumpft, aber Euch dergleichen jetzt auf- zutischen, war barbarisch von mir." „Ach, Thorheit, wir sind doch auch halbe Aerzte/ erwiderte seine Frau. „Er ist also unzweifelhaft verunglückt." „Das steht fest, wir haben in der letzten Zeit viele Ge witter gehabt, ein solches wird den armen jungen Mann auf dem See überrascht haben. Uebrigens scheint er reich und von guter Familie zu sein, worauf seine Werthsachen und sein An zug schließen lassen.. Sonst ist nichts bei ihm gefunden worden. Man kann nichts thun, als ihm ein anständiges Begräbniß geben." „Die Polizei müßte sein Singnalement in allen öffent lichen Zeitungen ersten Ranges, sowohl deutschen wie auslän dischen, bekannt machen," bemerkte Hertha, welcher dieser Fall sehr stark zu interessiren schien. „Man wird eine photographische Aufnahme von ihm macken lassen," sagte der Physikus, „das Bild könnte, wie man's ja jetzt auch mit den flüchtigen Verbrechern macht, in großen Zeitungen veröffentlicht und dadurch einzig und und allein seine Persönlichkeit festgestellt werden. Der Gedanke ist nicht übel und leicht auszuführen." „Wird aber viel Geld kosten," meinte seine Gattin nach denklich. „Das ist Gerichtssache, liebes Kind! Uebrigens kann er die Mittel dazu selber leisten." „Der arme Mensch — wie geht's dem andern Unbekannten?" „Schlimmer geworden," sagte der Physikus seufzend, „das Fieber hat sich leider wieder eingestellt. — Gut, daß sich iu diesen letzten Tagen die Kräfte wieder gehoben haben, um dem Fieber Widerstand zu leisten." „Du bist um ihn besorgter, denn je, mein lieber Franz?" „Na, es ist mir sozusagen eine Herzenssache, ihn wieder herzustellen, uni dem Buben, der ihn so mörderisch zügerichtet, auf die Spur zu kommen." „Ich glaubte von Dir gehört zu haben, Papa, daß er schon so weit wäre, einige Fragen schriftlich beantworten zu können," sprach Hertha. „Ja, ich hoffte es, habe mich aber darin getäuscht und werde ihn jetzt doppelt schonen müssen. Wenn das hier so fortgeht," setzte er achselzuckend hinzu, „so wird unser obscures Städtchen bald eine räthselhafte Berühmtheit und der Waldsee ein Stelldichein für Kriminallisten und Schriftsteller werden. Ich bin überzeugt, daß die romantisch aufgeputzten Berichte aus wärtiger Blätter bald ein Heer stoffhungriger Novizen jener Be rufsklassen hierher führen werden." „Dann wird's hier wenigstens doch mal interessant werden," bemerkte Hertha lächelnd. „Doch warum ich Dich noch fragen wollte, Papa, ist es wahr, daß noch ein unerledigtes Testament des verstorbenen Herrn Billing der Ausführung harrt und die letzte Frist im September dieses Jahres, also in wenigen Wochen verstrichen sein wird?" „Ja, man erzählt stchdergleichen plötzlich im lieben Publikum", erwiderte der Physikus eifrig fortessend, „dieser Braten ist ganz vorzüglich, überhaut Alles viel besser als sonst, werde künftig immer später kommen." „Daß Du mir das nur nicht zu leide thust, Franz!" rief seine Frau erschreckt, „dann kündigen wir Dir Beide, ich und die alte Gust, darauf kannst Du Dich verlassen." „Ihr würdet mindestens streiken," lachte der Physikus. „Na, ist schon gut, alte Dame, ich werde Dein Regiment schon weiter respektiren. Also das Billing'sche Testament interessirt Dich, mein Töchterchen!" setzte er nach einer Weile, sich ein Glas Wein einschenkend, hinzu, „kommt Kinder, trinkt aus nahmsweise auch ein Gläschen und stoßt mit mir an auf die Heim kehr des letzten Billing'sche» Erben." Er füllte die Gläser und stieß mit ihnen an, worauf sie schweigend tranken. „Es ist also doch wahr," fragte Hertha sichtlich erregt. „Allerdings existirt das vor fünfzehn Jahren niedergelegte Testament des verstorbenen Herrn Axel Billing in unserm Raths- archiv und wird laut Bestimmung des Testators am 16. September dieses Jahres eröffnet und ausgeführt werden. Wollte Gott, daß sich der letzte, rechtmäßige Erbe alsdann dazu einstellen möchte." „Wie wäre solches möglich, wenn ihm die Bestimmvng unbekannt geblieben," rief Hertha, deren Wangen sich von der inneren Aufregung leicht geröthet hatten. „Es müßte doch un bedingt eine Aufforderung in auswärtigen, selbst überseeischen Zeitungen dazu erlassen werden. Der Kostenpunkt kann bei der Größe der Hinterlassenschaft gar nicht einmal in Frage kommen." „DaS ist vom Testator ausdrücklich untersagt worden, ob gleich es nicht mehr als recht und billig wäre," erwiderte der Physikus, sie lächelnd anblickend. „O, wie grausam von einem Vater —" „Das finde ich nicht," fiel die Frau Physikus in ihrer kurzen, bestimmten Weise ein, „der Detlev war alt genug, um die Schlechtigkeit seiner Handlungsweise in ihrem ganzen Umfange begreifen zu können. Er mußte die Folgen kennen, mußte wissen, daß er den Tod der Mutter dadurch herbeiführte. Er verdiente keine Schonung, keine Vergebung." „Mama, das kann Deine Herzensmeinung nicht sein," rief Hertha mit blitzenden Augen. „Ich war ein unmündiges Kind von sechs Jahren, das sich jener Zeit, wo Detlev Billing mein Freund und Spielkamerad gewesen, kaum mehr entsinnen kann. Und doch steht sein Bild noch ganz deutlich vor meinen Augen, noch weiß ich bestimmt, daß er mich in seine Arme ge nommen, mich geküßt und mit Thränen in den Augen mir Lebewohl gesagt hat. Wie oft ist dieser Augenblick wie eine Vission vor mir aufgestiegen, welche sich meiner Erinnerung zu fest eingeprägt hat, um eine Täuschung zu sein." „Unsinn!" — behauptete die Mama kopfschüttelnd. „Als ich den Zeichenstift erst führen konnte, fixirte ich sein Bild —" „Das Du jedenfalls noch besitzest?" fiel der Physikus erregt ein. „Ja, ich will es holen und dann könnt Ihr selber darüber urtheilen, ob es eine Täuschung ist." Hertha verließ das Zimmer. Als die Thüre sich hinter ihr geschlossen, blickte der Physikus seine Gattin bedeutungsvoll an. „Ich glaube jetzt beinahe, daß die Liebe zu dem Knaben Detlev mit ihr groß gewachsen ist", sagte er halblaut, „das ist ein neues psychologisches Räthsel, zumal, wenn sie sein Bild in der Erinnerung bewahrt hat. Als sechsjähriges Kind, unglaublich!" „Unsinn ist's," beharrte die Gattin unmuthig, „mir geht aber die ganze Geschichte über'» Spaß, Franz! — Eine solche verrückte Schwärmerei die langen Jahre hindurch geheim in sich zu hegen und zu pflegen und darüber die vortheilhaftesten Par- lh>en auszuschlagen, das macht mich rabiat und ich bedaure—" (Fortsetzung folgt.) Vermischtes. ' Sprüche fürs Handwerk. Bei der Besichtigung der Musterwerkstätten, Handwerkerstuben, Herbergen auf der Aus stellung in Erfurt fallen die Sprüche in die Augen, mit denen die Wände geschmückt sind. Da ist bezüglich des Handwerks im Allgemeinen zu lesen: Geht's heute schlecht, geht's morgen gut, Stets hat das Handwerk frohen Mut. Für gute Arbeit guten Lohn! Nichts unter'm Preis! Führ's aus mein Sohn! Der Innung Hilst kein Reichsstatut, Wenn's nicht der feste Wille thut. In Rath und That, treu, wahr und recht, Vor Gott und Menschen gleiches Recht. Ich bin ein Handwerksmann, Ihr glaubt mich zu erhöh'», Wenn Ihr mich „Herr" begrüßet. Nein! Sagt „Meister" nun, denn der muß was versteh'n; Ein „Herr" kann jeder Dummkopf sein. An den Wänden der Buchdrucker-Offizin steht: Wenig Farbe und scharf gezogen, Hat den Drucker noch nie betrogen. In der Schlosserwerkstast prangt im Lapidarstyl: Wenn an jedes lose Maul Angehängt ein Schloß müßt werden, So wär' die edle Schlosserkunst Die beste Kunst auf Erden. In der Buchbinderwerkstatt findet sich der wahre Spruch: Allen Leuten recht gethan, Ist eine Kunst, die Niemand kann. Die Stellmacher und Wagner rühmen: Der Stellmacher ist in seinem Fach Als Künstler wohlbekannt, Denn seine Arbeit ist Bedarf In der Stadt, wie auf dem Land. Und wären die Carossen nicht, Müßte man zu Fuße gehen, Und selbst der Landwirth kann nicht Ohne Ackerpflug bestehen. Von großem Selbstbewußtsein zeugt nachstehende Strophe: Der größte Künstler auf Ler Welt, Das ist gewiß der Schneider: Er macht, sogar oft ohne Geld Für manchen Lump die Kleider. Die Schuhmacher geben ihrer Werkstatt folgende Inschrift: Wenn Pech und Schuster ja nicht wär', Wo kämen dann die Stieseln her? Ich vertrau auf Gott und laß ihn walten, Mache neue Schuh und flick die alten. Die Drechsler wählen als Spruch: Frisch, fröhlich und wacker, Die Drehbank ist mein Acker. Röhre und Meisel sind unser Pflug, Damit verdienen wir Drechsler genug. Wir drehen nach Zeichnung, Zirkel und Maaßen Doch niemals dreh'» wir Drechsler Euch Nasen. In der Töpferei ist zu lesen: Aus Erd' und Thon bin ich gemacht, Wer mich zerbricht — der Töpfer lacht. Die Uhrmacher sagen: Arbeite gut und kunstgerecht, Verwirf den Wahlspruch: „Billig, schlecht!" Gute Waare, die was Werth, Wird voni Käufer gern begehrt. Die Klempner haben als Sinnspruch in ihrer Werkstatt stehen) Hast Du Arbeit, frisch daran, Fleiß und Kunst liebt Jedermann; Am Tage erfunden, geschafft und gedacht, Bm Abend gesungen gescherzt und gelacht. — Frohe Stunden verheißt allen Lesern ein neues Familien blatt unter gleichem Titel, das soeben in dem durch seine volks- thümlichen belletristischen Werke bestens bekannten Verlag von Rich. Herm. Dietrich in Dresden erschienen ist. Wer sich durch die Lektüre anregender und spannender Romane und Novellen, so wie trefflicher Humoresken frohe Stunden schaffen will, dem kann das gleichnamige Unterhaltungs- und Familienblatt bestens empfohlen werden, denn es wird seinem ansprechenden Titel: Frohe Stunden durch die Vielseitigkeit seines Inhaltes und den wirklich künstlerisch ausgeführten Illustrationen vollkommen gerecht. Mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Frohen Stunden für 10 Pfennig einzeln käuflich sind und für diesen Preis von jeder Buchhandlung und jedem Kolporteur frei in'S Haus geliefert werden, sind alle bisherigen Unternehmungen dieser Art übertroffen und kann dieses Blatt den besten deutschen Untcrhaltungsblättern an die Seite gestellt werden. Wir wünschen, daß die Frohen Stunden als Anerkennung und Unterstützung der Bemühungen des Verlages in jeder Familie eine Heim stätte finden. Die Madam' simulirt beim flackernden Licht: „Warum macht die Wabi solch selig Gesicht? Träumt sie — (ihr Glück scheint grenzenlos) — Vom Liebsten oder vom — großen Los?!" O nein! — sie sieht nur nach mancher Nacht, Die sie gepeinigt und schlaflos verbracht, Als leuchtendes Traumbild Vorüberziehn Eine rettende — Flasche „Zachcrlin." QnÄvis Vni8t, ütenipten, Bayern. 9 Pfd. Sützrahn,tafelbutter M. 9.90 bis M. 10.35 9 Pfd. Mslk.-Tafelbutter M. 10.50 bis M. 10.80 frisch, fein, franco. WS Schlachtpferde ch»«»» schlächterei von Heinrich Hanisch (früher Cqrl Schiller), Potschappel, Fabrikstraße 4 ft