Volltext Seite (XML)
für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Eievenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 94. Freitag den 1. December 1871. Tagesgeschichte. Das Kirche nregiment im Königreich Sachsen hat folgende Einschaltung in das allgemeine Kirchengebet und zwar nach der Für bitte für den König und das königliche Haus, angeordnet: „Auch bitten wir um Deinen Segen für unser gesummtes deutsches Vater land. Segne Kaiser und Reich, vereinige alle Fürsten und Stämme des deutschen Volkes immer inniger durch das Band des Friedens, erhalte sie in Deiner Furcht und Liebe und laß Glauben und Treue, Kraft und Einigkeit unsres Volkes Schmuck und Ehre fein." Dresden, 29. November. Nach dem „Drcsdn. Journ." ist Kammerherr v. Zchmcn auf Stauchitz vom König zum Präsidenten der ersten Kammer ernannt worden. Morgen werden beide Kammern die Candidatcn wählen, aus denen Se. Majestät den Präsidenten der zweiten und die Viccpräsidcnten der ersten und zweiten Kammer ernennt. Freitag dürfte dann die Constituirung der Kammern und Sonnabend die feierliche Eröffnung durch den König stattsinden. Nach einer Bekanntmachung der Ministerien der Justiz und des Innern ist die Communalbank für das Königreich Sachsen ermäch tigt worden, Anlehnsschcine über 100 Thlr., die auf den Inhaber lauten, also lOOthülrige Cassenbillets, in demselben Betrage auszu- gebcn, wie die Bank Anleihen an Stadt- und Landgemeinden des Inlandes gewährt: man darf also schon in nächster Zeit erwarten, daß derartige Scheine auf den Markt kommen werden. Das neueste Gesetz- und Verordnungsblatt enthält die Verord nung ZU- Anwendung des ExpropriationSgcsetzes für die Eisenbahn von Nossen nach Freiberg; darnach wird die Bahn folgende Fluren berühren: Nossen. Zella, Zellaer Staatswald (Marbacher und Rei chenbacher Revier), Großschirma, LanghenncrSdorf, den Nonnenwald, KleinwaltcrSdorf, Kleinschirma, Freibergsdorf, Freiberg. Die sächsischen NeichStagsabgeordnctcn haben bei der wichtigen Abstimmung über das Gesetz, welches den Mißbrauch der Kanzel zu politischen Zwecken mit Gcfängniß strafe belegt, zum größten Theil sich für dieses Gesetz erklärt. Es stimmten mit Ja die Abgeordneten Ackermann, Birnbaum, Böhme, Brockhaus, Günther, Minckwitz, Graf Münster, Pfeiffer, Schwarze, Stephani, mit Nein die Abgeordneten Eysoldt, Thiel und Wigard. Im Hause wareu nicht anwesend die Abg. Mosig v. Aehrenfcld, Bebel, Georgi, Ludwig, Köchly, Hirsch berg, Schraps, Oehmichen und Schaffrath. Das „Dr. Irl." berichtet aus Dresden vom 27. Nov.: Ein in Altstricßen wohnhafter hochbejahrter Mann, welcher gestern in die Stadt gekommen war, um sich eine Ergötzlichkeit zu verschaffen, dabei aber sich etwas angetrunken haite, wurde Abends auf der Rückkehr nach seinem Wohnorte vor der Stadt von zwei Männern, die sich unterwegs zu ihm gesellt halten, mit Gewalt seiner Baarschaft von ca. 25 Thlrn. beraubt. Das „L. T." enthält folgende Mittheilnug: Den sächsischen Ständekammern wird alsbald nach ihrem im Laufe dieser Woche ge schehenden Zusammentritt der Entwurf eines neuen VvlksschulgcsctzeS vorgelegt werden. Die Hoffnung, daß über dasselbe eine Einigung zwischen Negierung und Landtag erzielt werde, würde nicht unwesent lich verstärkt werden, wenn sich als richtig bestätigte, was uns von glaubhafter Seite versichert wird, daß nämlich der Gesetzentwurf nicht in allen Stücken den Beschlüssen der LandeSsvuode Rechnung tragen, sondern namentlich in Bezug auf die von der Synode bean spruchte Aufsicht über die gcsammte sittlich-religiöse Erziehung in der Volksschule von Seiten der Geistlichen eine Zurückhaltung beobachten werde, welche den betreffenden Wünschen der Mehrheit der Synodal- mitglicdcr nicht in ihrem ganzen Umfange entsprechen dürfte. Aus Borna berichtet man dem „L. T." vom 25. Nov.: Vor einigen Tagen ist während der Nacht in dem benachbarten Dorfe Eula ein äußerst frecher Diebstahl verübt worden. Man hat dort durch Einstcigcu in die zu ebener Erde gelegene Wohnstube eines Bauergutcs und durch Erbrechen der Speisekammer sümmtlichc darin befindliche Kirmcßvorräthc — 40 Stück Kuchen, 2 gebratene Gänse, 2 gebratene Haasen, 10 Pfund Schweinebraten, 5 Bratwürste, 8 Kannen Butter, mehrere Pfund Rindfleisch, gegen zwei Schock Hüh nereier u. s. w. — gestohlen. Die Frechheit der Diebe ist so weit gegangen, daß sie aus der Remise des Gutes einen Schicbebock und Tragkorb herbeiholten und mittelst derselben das gestohlene Gut fort schafften. Aus mehreren vor der Wohnstube anfgefundenen starken Knüppeln schließt man, daß die Diebe bei etwaiger Ueberraschung Widerstand geleistet haben würden. Die GenSdarmcrie ist mit der Entdeckung der Thäter eifrig beschäftigt. Bei Messungen für Grundstückstheilungen sind vom 1. Januar 1872 ab als Längcnmaaß das Meter und die Dceimalbruchtheile des Meters und als Flächenmaaß das Quadratmeter, das Ar gleich hundert Quadratmetern und das Hektar gleich 100 Aren oder 10,000 Quadratmedern ausschließlich in Anwendung zu bringen. Der Gesetzentwurf, „betreffend die Ergänzung des Strafge setzbuches für das deutsche Reich", lautet nach den in zweiter Berath- ung gefaßten Beschlüssen nunmehr: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen w. verordnen im Na men des deutschen Reiches, nach erfolgter Zustimmung des Bnndes- rathes und des Reichstages, was folgt: Einziger Artikel. Hinter 8 130 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich wird folgender neue § 130 a eingestellt: Ein Geistlicher oder anderer Rcligions- diener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge, »der welcher in einer Kirche oder an einem andern zu religiösen Versammlungen be stimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staates in einer, den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise, zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird, mit Gcfängniß oder Festungshaft bis zn zwei Jahren bestraft." Als wir die hochinteressante Rede des bayer. CultuS Mi nisters von Lutz lasen, die er am vorigen Donnerstag im deutschen Reichstag gehalten hat, zur Begründung des Zufatzparagraphen zum Strafgesetzbuch über den Schutz des Staates gegen den Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt, da war es uns doch nicht anders, als hörten wir wieder aus jenen mittelalterlichen Zeiten des deutschen Reichs erzählen, wo Kaiser und Papst sich bekämpften und um den Vorrang ihrer Herrschaft stritten. Denn daS war ja auch das Thema dieses gewaltigen Vortrags: der Gegensatz zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem dasselbe bekämpfenden RomaniSmuS. „Wer Herr im Staate sein soll, die Negierung oder die römische Kirche", so bezeichnete Herr v. Lutz selbst den Kern der Sache, um den es sich hier handele. Die Kirche, sagt er, verlangt ganz offen die Oberhoheit über den Staat. Sic bekämpft ihn mit ihren Organen, so ost sie nicht mit ihm einverstanden ist, und zwar unter Anwendung des Ausspruches, daß seine Gesetzgebung mit dem göttlichen Gesetze in Widerspruch stehe, daß es Gottes Gebot sei, den schlechten Ge setzen des Staates den Gehorsam zu verweigern, und religiöse Pflicht, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Natürlich will die Kirche cs sein, welche zu bestimmen bat, was Gott befiehlt, was nicht! Würde der Staat das anerkennen, er läge bald mit ge bundenen Händen zu den Füßen der Kirche. Eine Folge muß daraus gezogen werden: daß auch dem Staat seine Freiheit werde. Das kann aber nur geschehen durch Ausrichtung eines Systems von Boll werken gegen jeden feindlichen Angriff. Der Feind des Staates ist aber der Elcrus, der neuerdings ei» ganz anderer geworden: wesent lich das Ebenbild des Jcsuitismns. Diese Geistlichkeit will das Ansehen des Staates untergraben, darum schmeichelt sie den Massen und kriecht vor ihnen, gewissenlos predigt sic Ungehorsam gegen die Staatsgcsetzc, und das Alles im Ramen Gottes! Gegen solche An griffe, die seit der Verkündigung der Lehre von der Unfehlbarkeit nur einen ungleich heftigeren und gefährlicher» Charakter angenommen haben, muß der Staat sich und seine Unlerlhancn schütze». — Das war ungefähr der Gedankengang der Lutz'schcn Rede, die eine» liefen Eindruck hinterließ. Ei» homerisches Gelächter erscholl im Reichstage, als Bischof Kette ler i» der Verthcidigung gegen den ihm hart zu Leibe gehen den Abg. Fischer von Angsburg sich äußerte, er befinde sich hier in einer gemischten Gesellschaft — ans verschiedenen Eonfcssioncu, meinte er nämlich.