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3S. Freitag den 19. Mai 1871. für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Giebenlehn und die Umgegenden. Mmtsßsatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den StadtraLH daselbst. Tagesgeschichte. ÄIN Sonnabend, den 13 Mai, sind abermals vier gefangene Franzosen von der Festung Königstein in rasfinirter und kühner Weise entwichen. Die Flüchtlinge hatten vorher mittels eines Zwirn fadens, worawein Stein gebunden, die Höhe gemessen von den Fenstern der Kassematten, in welchen sic lagen, bis zu einem Felsenvorsprung unterhalb ihres Aufenhalts. Hierauf haben sie aus Tüchern und Hemden eine stramme Leine zusammengeflochten, haben sich bis zu dem vorgenannten Punkte herabgelassen und sind dann in einer weiter abwärts führenden Felsenschlotte glücklich bis an den Fuß der Festung gelangt. Dies Alles ist in der Nacht geschehen, und will man bis jetzt festgestellt haben, daß die Flüchtigen früh gegen 5 Uhr das Städtchen Königstein passirt und dann die Richtung nach Böhmen über Psaffendorf nach den Zschirnsteinen bei der Kohlenstätte vorüber genommen haben. Aus dem Plaucnschcn Grunde. In der fiskalischen Wal dung nahe bei Unterweißig hat sieh an einem der drei ersten Tage voriger Woche der Handarbeiter Bruno Bormann aus Mohorn bei Tharandt durch Erhängen selbst entleibt. Berlin, 14. Alai, lieber die Sitzung des Reichstages am 12. Mai, in welcher bekanntlich Fürst Bismarck die ausführliche Er klärung bezüglich des Friedensschlusses abgab, wird nachträglich Folgendes berichtet: Der Reichskanzler sprach mit sehr schwacher und stockender Stimme. Ein oder zweimal schöpfte er nach einem Satze tief Athcm, wie Jemand, der an Beklemmungen leidet und während wir nach den telegraphischen Nachrichten von Frankfurt hätten erwarten können, daß er in recht freudigem Stolze vor die Versammlung treten würde, war er viel eher geneigt, die Punke hervorzuheben, in denen es ihm nicht gelungen war, sein Ziel zu er reichen und die gemachten Costcessioneu zu entschuldigen. Es war unverkennbar, daß der Fürst von den schweren Anstrengungen der letzten Woche sehr angestrengt ist. Die Versammlung Hörle zuerst feine Auseinandersetzung mit tiefem Schweigen an, erst bei der Mit- thciluug, daß die Pariser Forts noch bis zur erfolgten Zahlung der zweiten halben Milliarde besetzt bleiben würden, rief man Bravo, was sich bei der Erwähnung der geforderten Grcnzberichtigung im Norden und am stärksten beim Schlüsse der Rede wiederholte. Der erste Beifall war wohl am charakteristischsten, denn er zeigte, daß die Versammlung nach den über die Fricdensbedingungcn bisher ver breiteten Nachrichten im Stillen gefürchtet haben mußte, daß die Sicherheit der Ausführung des Friedens durch einen zu schnellen Rückzug der Truppen gefährdet sei. Der Definitiv-Frieden von Frankfurt ist ein noch größeres Meisterwerk von politischer Combi- uation, welche alle gegebenen Umstände, alle vorhandelten Factoren in Betracht zieht, als der Präliminarfrieden von Versailles, der allerdings, die nothwcndige Grundlage für ihn gebildet hat. Berlin, 17. Mai, Nachmittags. Der Reichstag hat heute einen Antrag seines Gesammlvorstandcs angenommen, wonach das Haus die Sitzungen bis zur Erledigung sämmüichcr gegenwärtig vorhandenen und etwa'noch einkommeuder Vorlagen sorlsctzen wird; die Sitzungen sollen nur an den beiden Pfinqstseicrtagcn ansfallcn und am 30. d. wieder beginnen. Staalsministcr Delbrück erklärt, die hauptsächlichste Vorlage fei die über die Verwendung der Kriegslasten, welche gestern dem BundeSralbc vorgelegt worden sei. Die „Prov.-Corr." bestätigt, daß die Ratification des Friedensschlusses durch die französische Nationalversammlung und nach Bewältigung van Paris der größere Theil der OccupalionStruPpen aus Frankreich zurückkehrcn wird. Die Mittheilung, der Einzug der Truppen in Berlin werde anfangs Juni stallfinden, fei jedoch irrig, da der Rückzug nicht so schleunig ausgcführt werden könne. Der Frankfurter Frieden wird einen glänzenden Namen in der deutschen Geschichte führen, er erst hat gesichert, was der Krieg erworben: Land und Leute und Geld die Fülle. Bismarck eilte, i» Berlin angekomnien, sofort in den Reichstag und erklärte, Deutsch land darf mit diesem Frieden zufrieden sein. Die erste halbe Milli arde Wird innerhalb 30 Tagen nach der Einnahme von Paris ge zahlt, die Zahlung erfolgt in barem Gelde, in besten Banknoten und in Wechseln erster Classe. Die 2te Zahlung von 1000 Milli onen erfolgt fpätcstcns bis zum Schlüße 1871. Erst nach Zahlung dieser 1000 Millionen räumen die Deutschen die Pariser Forts. Das ist also eine doppelte Bürgschaft. Die 4te halbe Milli arde wird bis zum 1. Mai 1872 gezahlt, die Zahlung der letzten 3 Milliarden erfolgt bis zum 1. März 1874. Einige vbcrclsaßische Ortschaften, 4—5 Kilometers vor Belfort, wird Frankreich zurücker hallen, wenn es seinerseits die in der Versailler Conferenz übersehenen deutschen Dörfer an der Luxemburger Grenze an Deutschland heraus- giebt. Die Versailler Nationalversammlung soll über diesen Tausch entscheiden. Bis zum 20. Mai muß der Frieden von beiden Theilen unterzeichnet sein. Da der alte Handelsvertrag mit Frankreich nicht forldauert, fv wird Deutschland, was den Handel betrifft, an die Stelle der meist begünstigten Völker, also Englands, Belgiens re. treten. In Bezug auf die verstärkte Freilassung der französischen Ge fangene», die der Reichskanzler in seiner letzten Rede in Aussicht stellte, erfährt man, daß ungefähr noch 60,000 Mann sofort nach Frankreich znrückdirigirt werden, der Rest dagegen bis nach voll ständiger Niederwerfung des Aufstandes in Paris in Deutschland verbleibt. Die französischen Staatsmänner, die mit Jules Favre nach Frankfurt gereist waren, wunderten sich nicht wenig, daß Roth schild, ohiw sich zu besinnen, sofort eine Anleihe von 500 Millionen für Frankreich aufzubringen erklärte, er sei doch sonst ein bedächtiger Mann und gehe vorsichtig zu Werke. „Für den Kaiser Napoleon, entgegnete Rothschild, hätte ich allerdings eine solche Anleihe nicht gemacht, denn ich wußte, daß nach ihm die Republik kommen werde, aber für die Republik bringe ich gern diese Anleihe auf, denn ich bin meiner Sache gewiß, daß in kurzer Zeit die Monarchie wieder au das Ruder kommt." Jules Favre, von Frankfurt nach Versailles zurttckgekchrt, hat der National-Versammlung mitgetheilt, daß Deutschland die ge fangenen Soldaten zurückgebe, daß 80,000 derselben zur Versailler Armee stoße«, 20,000 nach Algier gehen und die übrigen hinter der Loire stehen bleiben müssen. Er thcilte ferner mit, daß die früher ausgewiesenen Deutschen ihr Recht, in Frankreich zu wohnen und ihr Eigenthum zurückerhaltcn. Also auch das ist eine Bedingung des Frankfurter Friedens. Die Franzosen suchen sich für ihre Niederlagen, die sic dcn. Deutschen gegenüber erlitten haben, durch die „Siege" schadlos zu halten, welche sie über die Insurgenten erringen. Sedan und der Fall von Metz und Paris haben in Deutschland kaum den begeisterten Jubel hcrvvrgerufcn, wie die „Eroberung" des Schutthaufens, Fort Jssy genannt, in Versailles. Mau suchte eben die erblaßte Gloire der graacko imtion lind der heldenmüthigen Armee mit dem Blute der eigenen Landsleute aufzufrischen. Wie der „Times" aus Ver sailles'berichtet wird, wurde dort am 10. Mai die Einnahme von Jssy besonders festlich begangen. Dclegirtc der verschiedenen zu de« Divisionen der Generale Faron und Susbielle gehörigen Regimenter sollten dem Chef der Executive die von den Insurgenten im Fort Jssy erbeuteten Fahnen und Geschütze überreichen, infolge dessen sie um halb 3 Uhr Nachmittags vor der Prafcctur erschienen. Zuerst kamen 12 Tambours, deren Trommeln mit Lorbecrkränzen geschmückt waren, dann 24 Trompeter mit ähnlich aufgeputzten Instrumenten, dann sieben Soldaten, welche auf ihren Gewehren die sieben von den Insurgenten erbeuteten rothen Fähnchen angebracht hatten. Diese« folgte« 24 berittene, abermals mit Lorbeer geschmückte Trompeter. De« Schluß des Zuges endlich bildeten, von berittenen Artilleristen begleitet, die 28 eroberten Kanonen und 4 Mitrailleusen, die cbcn- salls mit grünem Reisig umwunden waren. Herr Thiers, gefolgt vom Marschall Mac Mahon, empfing vor dem Präfccturgebäude ent blößten Hauptes die Trophäen. Er beglückwünschte die Truppen, während die zahlreiche in der Avenue de Paris angesammcltc Menge ein- über das anderemal: ..Vivv W lTauoo!" rief. Die Truppe« brachten ThierS und dem Marschall zahlreiche Hochs aus, worauf