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1871. Freitag de» 14. April für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Mcbcnlchn und die Umgegenden. Umisökatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Gtadtrath daselbst. Tagesgeschichte. Wilsdruff, 13. April. Gestern in der 7. Abendstunde wurden wir schon wieder einmal durch die Sturmglocke allarmirt; es brannte in dem 1 Stunde von hier entfernten Braunsdorf. Wie wir hören, sind 5 kleine Wirthschaftcn, zusammen 11 Gebäude umfassend, total uiedergebrannk, auch sind 1 Kuh, 1 Schwein und 1 Ziege mit ver brannt. An Mobiliar konnte wegen schnellen Umsichgreifen des Feuers nur sehr wenig gerettet werden, was um so mehr zu beklagen ist, da keiner der Brandcalamitosen versichert hatte. Brandstiftung wird vermuthet. Der jetzige Commandant der Festung Königstein hat praktische neue Vorrichtungen in seinem Nahon getroffen, indem er eine schon seit 4 Wochen arbeitende, zierliche Dampfmaschine für das Brunnen haus «»fertigen ließ, um das Wasser leichter Heraufziehen zu können. Das alte bisherige Tretrad bleibt indcß für vorkommende Fülle stehen. Ebenso wird die nebenan neu errichtete Dampfküche mit dem Kesseldampf gespeist, welche das Essen der ganzen Besatzung weit schneller und besser hcrstellt, als früher. Aus Dresden melden die „Dr. Nachr.": Vor Kurzem ist einer der tüchtigsten Lehrer an der hiesigen katholischen Hauptschule, Herr Pawlikowsky, mit seiner Familie zur evangelischen Kirche übergetreten. Der Hirtenbrief des Bischofs, in Welchem wohlweislich das Unfchd- barkeitsdogma nicht offen proclamirt, wohl aber das gegenwärtige Malheur des Papstes in einer das religiöse Gefühl tief verletzenden Weise mit dem unschuldigen Leiden Christi verglichen und ZUM Belen und Beisteuern für den Papst anfgefordert wirb, soll den Entschluß des Herrn P. zur Neife gebracht haben. Hoffentlich gewährt ihm die evangelische Kirche, obwohl sie nicht auf Proselhlenmächerei auS- gcht, eine seinen Fähigkeiten angemessene Stellung. Trotzdem, daß in den letzte Jahren zwei neue Lehrerseminare in Sachsen errichtet worden sind, ist der Lehrermangel immer noch ein notorischer, was z. B. daraus deutlich hervorgeht, daß diese Ostern der Kirchen- und Schulrath der Dresdner itreisdirection 58 Lehrerstellen zu besetzen Halle, aber nur 19 davon besetzen konnte, und im Zwickauer Kreise waren für 150 Stellen nur ca. 28 «chul- amtscandidatcn vorhanden. Die Universität Leipzig beabsichtigt, ihren in dem nun beendeten Kriege für die Ehre und Unabhängigkeit des Vaterlandes gefallenen Commilitonen ein Denkmal dankbarer Erinnerung zu setzen, welches außer den Namen der Gcsallenen Tag und Ort der Geburt und womöglich auch Tag und Ort des Todes enthalten soll. Alle Deutsche, wo sie auch in der Well lebten, durchfuhr es wie ein elektrischer Strom, als ihr Mutter- und Stamm-Land sich zum Riesenkampf Wider den Erbfeind erhob. Ihre Theilnahme be- lhätigten sie auf die wohlthuendste und nachdrücklichste Weise. Diese Theilnahme hat die deutsche Erhebung gestärkt, den Schritt der sieg reichen Heere beflügelt, die Opfer gemildert und viele Wunden ge lindert unk geheilt. Aus voller Seele hat diesen Stammesgenoffeu in aller Welt der deutsche Reichstag seinen wärmsten Dank ausge sprochen, er gilt namentlich auch den Deutschen in Oesterreich und Amerika. Für sämmtliche Truppen der deutschen Armee, sowohl Com- battanten, als Richt-Cvmbaltanten, wird vom Kaiser eine Denkmünze zur Erinnerung an den Feldzug von 1870—1871, aus eroberten broncenen Kanonenröhren gefertigt, verliehen werden. Den Fürsten der Einzelstaaten soll es jedoch überlassen bleiben, ihren resp. Heeres theilen außerdem noch eine besondere Denkmünze zu verleihen. Berlin, 11. April. Nach der „Kreuzzeitung" wird aus diplo matischen Kreisen die Nachricht bestätigt, daß die englische Regierung sich gegenwärtig um die Intervention der deutschen Truppen in Paris bemühe. Dem Einzuge der Truppen in Berlin sieht man in Folge der Unruhen jetzt nickst vor dem Monat August entgegen. Vierzehn Tage Frist hat der Erzbischof vom München Döllinger zur Unterwerfung gegeben. In seinem Hirtenbriefe sagt er statt aller Antwort: Rom hat gesprochen. Damit, will er sagen, hat alle Disputation über die Unfehlbarkeit aufgehört. Er wird sich täusche«; schon hat sich die Universität München fast wie ein Mann für Döllinger erhoben. Das sind die Männrr der Wissenschaft, und das katholische Volk Deutschlands wird auch seine Stimme erheben. Ein Pfarrer Pedcrzani fordert in den Blättern zn einer Adresse an Döllinger auf. In der Einladung sagt er: „Die nächstkomwcnden Tage werden liefe Leiden über den großen Kirchenlehrer bringen. Das ehrwürdige Haupt Döllingers wird bM» der Darncnkrauz der, Excommunicalion krönen. Soll und darf der greise Dulder allerer und einsam am Kreuze kirchlicher Verfolgung dulden?" Von Wichtigkeit ist die Nachricht, daß General von Göben Be fehl erhalten hat, die in unmittelbarer Nähe vor Paris stehendew deutschen Truppen mit seinem ersten (Ostpreuß.) Armcecorps zu ver stärken, um im entscheidenden Augenblick durch einen kräftigen Schlag den Aufstand niederschmettern zu können. Gäben war in Berlin, wohnte einem Kriegsrathe bei und erhielt genaueste Anweisung über den Zeitpunkt des Einschreitens. Die Berichte über angeblich bevorstehende Verhandlungen zwischen Paris und Versailles lauten noch so verworren, daß man sich kein nur annähernd richtiges Unheil darüber bilden kann. Tröstlich für eine baldige Wiederherstellung der Ruhe in der Hauptstadt lauten die Nachrichten nicht, welche uns der Telegraph über die Ereignisse vom 8., 9. und 10. April gestern und heute ge bracht hat. Die Lage ist trotz vielen Kämpfens nicht wesentlich ver ändert. Die Truppen der Versailler Negierung haben den nordwest lich von der Enceintc gelegenen Ort Neuilly behauptet und sich sogar hier in der unmittelbar an die Enceinte grenzende Vorstadt Sablvn- Ville festgesetzt, sowie einen großen Theil des Boulogner Holzes und den Rennplatz oceupirt. General Mae Mahon scheint alle Kräfte in dieser Gegend, namentlich um Neuillh herum, zu sammeln, um nach Bezwingung der Enceinte durch die große Straße von Neüilly und die Avenue der Champs Elysees in das Herz von Paris vorzudringen. Die aufständischen Rationalgarden dagegen suchen diesen Theil der Stadt durch Errichtung eines Netzes von Barrikaden noch widerstands fähiger zu machen, sie verabsäumen aber weiterhin auch nicht zur Offensive vorzugehen, wenn sich die Gelegenheit darbietet. So ließ z. B. der durch die Commune ernannte neue militärische Befehlshaber von Paris, Graf Dombrowsky, von Montmartre aus über Clichy einen Vorstoß gegen den am linken Seineufer gelegenen Ort ASnieres unternehmen, der auch geglückt zu sein scheint/da ein Pariser Tele gramm vom 10. Morgens die Besatzung von Asnieres mit dem Be- merken meldet, daß daselbst Befestigungen angelegt werden, welche man mit Schiffsgeschützen armirt. Aus Paris vom 0. April wird berichtet: Das Depot derPoli- zeipräfectur gleicht immer mehr der Conciergerie in den Tagen des Schleckens von 1793. ES beherbergt Generale, Geistliche, Schrift steller, Personen beider Geschlechter und jedes Alters und Standes, im Ganzen über 500 Gefangene. Die Verhaftung des Erzbischofs von Paris, Msgr. Darboy, seiner Schwester und des ganzen Per sonals des erzbischöflichen Palastes erfolgte am Dienstag Nachmittag 4 Uhr unter Anordnung cines Mitgliedes der Commune, welches in der folgenden Nacht die sämmtlichcn Gemächer des Palastes aus räumen ließ, ohne für drs Privatcigenlhum des Erzbischofs eine Ausnahme zu machen. Der Pfarrer von Madeleine, Hr. Degeurry, die Pfarrer von St. Angustin nnd St. Philippe du Roule, endlich Msgr. Maret, Bischof von Sura, sind ebenfalls verhaftet worden. Mehrere kirchliche Genossenschaften wurden von Abgeordneten der Com mune geplündert. Die Jesuiten der Rue de Sevrcs, vorsichtig wie immer, hatten sich schon vor zwei Tagen nach ihrer Besitzung Mou- lineaux geflüchtet, und nur der Direktor der vvn ihnen geleiteten Anstalt in der Rue des Postcs konnte noch ergriffen werden: alles was sie zurückgelassen haben, ist von der Commune mit Beschlag belegt worden, und dasselbe Schicksal widerfuhr den Lazaristen (eben falls in der Rue de Sevres) und den Dominicanern der Rue Jean de Beauvais. Wir entnehmen diese Details der „Veritce," cinem in der Regel zuverlässigen Blatte. Der „Affranchi" geht noch weiter, und meldet, daß der Jesuitcnabt, Pater Olivain, der Oekonom, Pater Jules Conbuet, sowie sämmtliche Professoren, Beamten und Dienst boten des Jesuitencolleginms der Rue des PvsteS verhaftet worden