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377 schen Landestheilen von Lothringen zu formirenden Jägerbataillone bilden. Alle Verwaltungsmaßregeln, die jetzt im Elsaß und den deut schen Gegenden von Lothringen bis zur Mosel, Metz und Thionville eingeschlossen, getroffen werden, zeigen sehr bestimmt, daß der König von Preußen fest entschlossen ist, diese Ländertheile für immer mir Deutschland zu vereinigen und niemals wieder an Deutschland abzu- treten. So sind für Metz schon fest bestimmte höhere Artillerie- und Jngenieuroffiziere eingetroffen und wird in den nächsten Tagen be reits damit begonnen werden, die Befestigung einiger wichtiger Außen forts, die von den Franzosen noch nicht vollendet waren, möglichst bald fertig zu machen. Die deutschsprechende Landbevölkerung in Loth ringen söhnt sich schon immer mehr mit dem Gedanken aus, fortan für immer von Frankreich getrennt und mit Deutschland vereinigt zn werden, wozu viel beiträgt, daß die Steuern auf Grund und Boden in Preußen beträchtlich niedriger sind, als sie in Frankreich bisher waren. Auch die jetzigen anarchischen Zustände, die in Frankreich herrschen und voraussichtlich noch lange fortbestehen werden, lassen in einem großen Theile der besitzendeffBevölkerung von Elsaß und Loth ringen immer mehr den Wunsch aufkommen, von ersterem Lande, was jetzt so geringe Garantie des Vermögens bietet, getrennt und für immer mit einem fo fest organisiricn Staate, wie es Preußen un zweifelhaft ist, vereinigt zu werden. Die unbedingte Hoffnungslosigkeit jedes Versuches, den eisernen Gürtel zu durchbrechen, der die französische Hauptstadt umschloffen hält, resultirt einerseits aus den großartigen Vorbereitungen, welche die Belagerungsarmee für den Falt eines Angriffs der Belagerten ge troffen hat, andererseits aus der Thatsache, daß alle noch im Felde operirenden französischen Truppen durch die jüngsten Operationen der deutschen Truppen so weit von der Hauptstadt 'abgedrängt sind, daß au das Zusammenwirken eines im Rücken der Belagerungsarmee auftretenden Corps mit den Ausfallenden unter keinen Umstanden ge dacht werden kann. Im Gegentheil dürften die noch vorhandenen Reste und Anfänge militärischer Organisationen in Frankreich, na mentlich aber die Loircarmee, binnen Kurzem trotz der beruhigenden Erklärungen des „Moniteur" sich selbst zu unangenehmen Erlebnissen verurtheilt sehen, durch welche dann hoffentlich die Ungeduld, welche in Deutschland hier und da über das Ausbleiben von detaillirten Nachrichten über die Bewegungen der I. und II. Armee vernehmlich wird, vollständig und gründlich beschwichtigt werden dürfte. Alan hätte sich übrigens in Deutschland schon daran gewöhnen können, mit etwas mehr Vertrauen zu warten, wenn von Heercskörpern, über deren Operationen Diskretion beobachtet werden muß, nicht an jedem Tage jede Etappe oder gar das ganze Marschtableau veröffent licht wird. Wemr sich 100,000 Esser durch die eiserne Mauer durchschlagen könnten, so wäre es sür Paris eine Erleichterung von acht Tagen; denn in dieser Riesenstadt geht alles zu Ende, der Proviant, die gute Laune und die Energie und cs steigt der Hunger, der Jammer und das Elend in Gestalt von Krankheiten aller Art, namentlich des Hungertyphus und der Blattern. Alle Zeitungen, die rothen ans- genommen, rufen im Chor, es müsse ein Ende gemacht werden, wenn ein Entsatz von außen nicht schnell komme, Friede oder doch rasche Einberufung einer Nationalversammlung. Der Finauzminister erklärt, auch das Geld gehe zu Ende, er habe allein an die National garde täglich 500,000 Fres, auszuzahlen, abgesehen von Len Mvbil- garden und Liniensoldaten und ölü von den Armen, die unterhalten werden müssen. Am humansten ist das deutsche Hauptquartier, es sammelt bereits ungeheure Vorräthe von Lebensmitteln, die von den hungerndeu Parisern gestürmt werden, wenn die Thore aufgehen. Die Kartoffelsucher kommen jetzt schon zu Tausenden aus Paris heraus, sodaß auf sie geschossen werden muß, um sie in die Stadt zurückzutreiben. Der nördliche Theil von Frakreich scheint immer mehr durch die deutsche Cavallerie von den Frauktireurbanden und herumstreifenden National- und Mobilgarden gesäubert zu werden. Die neuesten De peschen erwähnen wenigstens mehrere kleinere Gefechte, welche die Cavalleriedivision des Generals von Gröben in der Umgegend von Amiens siegreich gegen den Feind bestanden hat. Ueber den Truppenbewegungen im weiten Umkreis vor Paris liegt ein dichter Schleier; selbst Zeitungen, Lie sonst in alle Geheim nisse des Hauptquartiers eingeweiht zu sein pflegen, schweigen jetzt bescheiden. Es scheint die stille Schwüle vor der Entscheidung, die dießmal wahrscheinlich bei Orleans füllt. Es ist so recht eine Zeit für die Moltkes und Blumenau's im Wirihshaus, um ihr Genie glänzen zu lassen. Trochu in Paris will seinen Ausfall erst dann machen, wenn er die Kanonen der Loire-Armee donnern hört. Aus Amiens vom 26. d. M. schreibt ein Correspondent der „Daily News": Ein hier von Paris eingetroffener GesandtschtafS- Attachö ist der Ansicht, daß die Siadt, obwohl die Vorräthe von fri schem Fleisch erschöpft sind, sich noch drei Wochen halten wird. Die Truppen erwarten Hilse von der Armee der Loire, wenn dieselbe aber nicht kommt, ist das Spiel aus. Die rotheu Republikaner ver ursachen den Freunden der Ordnung viele Sorge und bereiten der Negierung große Verlegenheiten. Außer den Pocken, die wöchentlich 324 Opfer fordern, grassiren bis jetzt keine anderen Krankheiten. Der Attache brauchte zwölf Tage zur Reise von Paris nach Amiens. Er hält es für Wahnsinn, den eisernen Gürtel um Paris herum durch brechen zu wolle». Die Preußen brennen vor Ungeduld, das Feuer auf Paris eröffnen zu köuuen, siud aber der Meinung, der Befehl dazu werde nie ertheilt werden. Neueste Nachrichten aus Versailles wollen wissen, Trochu zeige sich bereit ans Unterhandlungen mit dem deutschen Hauptquartier cinzngeheu 1) wenn nicht eine Capitulalivn auf Guade und Ungnade gefordert und 2) eine Bürgschaft für die Erhaltung der republi kanischen StaatSform bis zur Wahl einer definitiven Regierung durch eine Nationalversammlung gegeben werde. Die unterirdischen Militärstationen in Paris. Paris ist eine große Festung, welche namentlich Napoleon mit aller Berechnung ausgebaut hat, um vor Ueberraschungen seiner lieben Pariser gesichert zu sein. Sie umfaßt 30 Kasernen und 16 detachirte Forts, die sammt dem Mont Valerien unter sich durch unterirdische Telegraphen in Verbindung stehen. Der Centralpunkt dieses militärischen Netzes ist die Seme-Citö mit ihrer riesigeir Kaserne municipale. Paris hat aber einen Doppelboden, einen auf der Erdoberfläche und 18 Fuß tiefer genau denselben. Straße für Straße unterirdisch. Das sind die neuen Cloaken von Paris, die einen Raum von 60 Lieues umfassen und nur Wenigen gezeigt werden. Beiin Gaslicht steigen wir 18 Stufen einer Treppe hinab und befinden uns in einem hohen Gange von 8 Fuß Breite, dessen Wände aus rothlichen Mühlstein quadern bestehen, in der Milte läuft ein schmaler, tieser Kanal mit geruchlosem Wasser, zu beiden Seiten zieht sich ein Trottoir hin, auf welchem Schienenstränge laufen, von oben fällt alle 20 Schritt durch runde Löcher Dämmerlicht herein. In den Schienen steht ein kleiner Waggon, in den lvir uns setzen und der von vier Männern blitzschnell geschoben wird. Hunderte von andern Gängen münden in unsern Hauptweg, in denen allen auch Schienen laufen und an deren Ecken auf Schilderu die Namen der Straßen ange geben sind, welche an gleicher Stelle über uns auf der Oberfläche von Paris dahin ziehen, Wir hören dumpf und fernher das Rollen der Wagen in den Straßen über uns, deO aber übertäubt wird von dem monotonen Geräusch der Cloaken und ihren ÜLasserfällen. Air der Wand gegenüber läuft eine gußeiserne Röhre, die neue Wasser leitung» Spränge diese Röhre zufällig, so müßten wir ertrinken. ' Fort geht es von Stollen zu Stollen, von Straße zu Straße, die Luft wird immer eisiger und feuchter, die Männer, die uns schieben, flehen zuletzt bis an die Knöchel im Wasser, die Wände werden modrig und rinnend. Hier beginnen die alten Cloaken. Einmal passiren wir eine Stelle, die mit feuchtem, warmen Qualm erfüllt ist; wir befinden uns unterhalb eines stark besuchten Dampfbades. Dann Wieder plötzlich, welche milden, felsigen Wohlgerüche? Ueber uns wird in einer Parsümer>efabrlk gearbeitet. Nirgends eine Spur von Ratten. So durchfahren wir halb Paris unterirdisch. Endlich gcrathen wir in eine neue Serie gerader und gewundener Wege. Wir entsteigen dem Waggon und gelangen nach einigen Schritten in einen weiten hohen Kuppelbau, an das User einer breiten Kanattsirung. Es ist der Hauptfluß. Und nun. die Hauptsache: Diese zahllosen schmalen Schienenwege durchfahrend, waren wir schon wiederholt, breit ausmündend, in ungeheure runde und hohe Kup pelbauten gelangt, — das sind die unterirdischen Militärstationen zur geheimen Con- centrirung der Truppenmasfen entsprechend und in geheimer Verbindung mit den überirdischen Befestigungen — Kasernen und Forts — von Paris. Sie sind von Napoleon gebaut gegen seine inneren Feinde, die Revolutionäre, — ob sie auch gegen einen äußeren mächtigen Feind Dienste leisten, werden wir bald erfahren, Mottke sind sie nichts weniger als ein Geheimniß. (G.-A.) Vermischtes. Berlin denkt ernstlich daran, die Stadt der Moden zu werden. Mit den Männer hüten hat es bereits den Anfang gemacht und Modelle ausgestellt. Es wäre an der Zeit, auch schönere Frauen- hütc herzustellen. Die jetzigen find wie die Schwalbennester. Carl Wilhelm, der Componist der Wacht am Rhein, hat in Berlin große Triumphe gefeiert. Er mußte in einem großen Concerte im Circus Renz die Aufführung seines Liedes selber leiten; „wie Donnerhall" brauste es durch die Versammlung, als er an das Dirigentenpult geführt wurde. Julius Rodenberg widmet ihm einen schönen Artikel. Carl Wilhelms Lied traf den rechten Ton und gab ihm jenen halb martialischen, halb empfindsamen Ausdruck, der der gegenwärtigen Stimmung entspricht. Wir brauchten ein solches Lied und siehe — es war da; denn im Haushalte der Natur geht nichts, nicht einmal eine Hanvvoll Noten verloren. Eines Tages, nachdem das Lied jahrelang ein kümmerliches Leben in den Liedertafeln und Turnvereinen geführt, war es das Nationallied geworden, und eines Morgens wachte Wilhelm in dem kleinen Städtchen Schmalkalden als berühmter Mann aus. Er trägt den Ruhm, dem deutschen Kriege von 1870 sein - Nationallied gegeben zu haben, mit äußerster Be scheidenheit. Als er mitten unter den rauschenden Ovationen, die ihm das bis unter das Dach gefüllte Haus darbrachte, vor das Dirigentcnpult trat, schien er mehr verwirrt, als es die Söhne des Ruhmes zu sein pflegen. Und als nun das Lied selbst erscholl, ge leitet von dem 40—SOjährigen Manne von schüchternem, aber freund lich schlichten Wesen, von untersetzter Statur, mit schwarzem Bart, schwarzem langen Haar, dunkeln Augen und etwas kränklicher Ge sichtsfarbe, — als diese Klänge dahinbrausten, mit denen unsere Heere über den Rhein zogen, in allen Schlachten siegten und bis vor Paris drangen, diese Klänge, die das Letzte waren, was Tausende von unseren Braven hörten, unter denen sie das Auge schlossen für immer — da wurden alle eigcnthümlich bewegt und manche Thrüne mischte sich in die stürmischen Rufe. Daä Gebot der Pflicht und die Liebe zur Heimath — diese beiden mächtigen Impulse, die unsers Volkes beste Kraft zur Wacht am Rhein versammelten, sie sprechen sich in diesem Liede kunstlos, aber Allen verständlich aus. Der Componist errölhete verlegen unter den Huldigungen, er hat sich aber um das Vaterland verdient gemacht. * Ein deutscher Offizier fchrcibt aus Frankreich folgenden charakteristischen Zug: Derselbe war bei einem Geistlichen in der Nähe von Chartres einquarliert. Als der fromme Herr in Erfahrung brachte, daß sein Gast Protestant sei, ließ er mehrmals des Tags das Haus ausräuchern, als wäre der Gott sei bei uns in höchsteigner Person bei ihm eingezogcn. Der französische Bauer Dutonr, der seine Preuß. Einquartierung mit Grünspan in den Speisen zu vergiften suchte, ist vom Kriegs gericht zu 12 Jahren Zuchthaus (in Halle) verurtheilt worden. Das schwerste Kriegsloos traf einen blutjungen Grenadier aus Hamburg, August Persicl. Er lag vor Metz im Schützengraben und hob den Kopf, um über die Böschung zu sehen. Da kam eine französische Kugel und zerstörte ihm beide Ange». Blind muß der Arme durchs Leben gehen.