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hat dieses selbe Gesetz doch auch den Nachtheil gehabt, daß es die öffent liche Meinung über die wahren Ziele der Sozialdemokratie in Dunkel ge hüllt und gewissermaßen einschläfernd gewirkt hat in Bezug auf die Auf fassung der wahren Ziele dieser durchaus international verbrüderten revo lutionären Gesellschaft im Staate. Wenn die Vertheidigung aufgestellt habe, die Sozialdemokratie wolle nur die Verbesserung des Arbeiterlooses, eine Verstaatlichung der Produktionsmittel, so genügt es demgegenüber, darauf hinzuweisen, mit welchem bitteren Hohn die einzig in der Weltgeschichte da stehende Einleitung und Krönung der durch die allerhöchste Botschaft ver kündeten Sozialreform, dieses großartige Werk, grade von der Sozialdemo kratie aufgefaßt und ihm begegnet worden ist. Natürlich wird von Den jenigen, welcke dazu verdammt sind, sich in das Netz der Agitation hinein ziehen zu lassen, immer vorgespiegelt: es handelt sich um die Verbesserung Eures Looses. Aber wer die Sprache des Parteiorganes, des „S.-D." studirt, weiß genau, warum es sich handelt, wenn auch gewisse Führer der Sozialdemokratie aus taktischen Gründen sich als noch so maßvoll und noch so wenig zu Gewaltthätigkeiten geneigt darstellen. Dafür, daß man nur darauf ausgehe, das Sozialistengesetz zu umgehen, beruft sich dann der Herr Staatsanwalt noch auf die Aeußerungen anerkannter Führer im Reichs tage, welche dies ausdrücklich ausgesprochen, und führt an, daß dafür ferner sprechen: die Gründung des Parteiblattes im Auslande, die Verlegung der Kongresse in's Ausland, die Anordnung zu einer geheimen Organisation und zur Verbreitung des „S.-D.", sowie sonstiger verbotener Druckschriften, die Anordnung zur Sammlung von Geld, die doch nichts weiter seien als Bethätigung des Willens, das Gesetz zu umgehen, Im „S.-D." aber wird fast auf jeder Spalte Alles, was uns heilig und theuer ist, mit giftigem Geifer besudelt, und dem deutschen Arbeiter, der zu dieser Lektüre verdammt ist, werden thatsächlich alle Ideale, Alles, was ihm Schule und Erziehung theuer und heilig erscheinen gelassen und sollen, in jeder Weise vernichtet. Die Sozialdemokratie arbeitet auf die „Revolutionirung des Volksgeistes" hin, sie droht sogar die „Revolutionirung des Heeres" an. Bei einer solchen Partei, die zielbewußt, so grade auf die Erschütterung der Grundfesten unseres ganzen Staatswesens losgeht und Alles, was der Deutsche als sein Eigenthum erachtet und als Theil seines innersten Lebens besudelt, ist es nicht angebracht, sie mit anderen Parteien, wie es die Ver theidigung gethan, in Vergleich zu bringen, und der schweren Gefahr der Sozialdemokratie gegenüber giebt es nur ein Mittel: das feste Zusammen halten aller staatserhaltenden Kräfte, die Beilegung alles Parteihaders und jeglicher konfessioneller Streitigkeiten. Wer den Meineid predigt, was zu diesen Erfolgen in diesem Prozesse geführt hat, der hat kein Recht, zu sagen, wir befinden uns in einem Ausnahmezustand; es ist auf der anderen Seite Pflicht, dafür zu sorgen, daß dieses gefährliche Gist nicht weiterfrißt und noch größeren Schaden verursacht. Unter den Handel-und Gewerbetreibenden Thüringens ist jetzt eine lebhafte Agitation im Gange, die sich gegen die beabsichtige Gründung eines Waarenhauses für deutsche Beanite in Berlin mit Filialen in allen grö ßeren Städten des Deutschen Reiches richtet. Den Anfang mit dieser Agi tation hat der Gcwerbeverein in Jena gemacht, der in einer zahlreich be suchten Versammlung eine Petition beschloß, in der die großherzogliche Staatsregierung ersucht wird, den ihr unterstellten Beamten den Beitritt zu dieser Gründung zu untersagen. Die Petition cirkulirt nun bei allen Gewerbvereinen Thüringens und findet aller Orten die größte Zustimmung und Unterstützung. Ueber die Gründe der Abwehr der Gewerbetreibenden gegen die beabsichtige Errichtung des Waarenhauses wird gesagt, daß darin eine Art sozialistischer Bestrebung liege, welche gerade von den staatserhaltenden Elementen in's Volk getragen werde, und daß die Beamten eines Landes, die aus den Steuern der Gewerbetreibenden dieses Landes besoldet würden, auch die Pflicht hätten, bei diesen Gewerbetreibenden ihre Bedürfnisse zu kaufen, damit das Geld im Lande bleibe und nicht nach Berlin wandere. Großes Unglück hat mehrere Danziger Fi sch erfamil ien getroffen. Sieben Fischer, beinahe alle verheirathet und Väter, waren zum Fischfang in See gefahren, von wo sie gegen Abend nach dem Hafen zurückkehrten. Beim Einsegeln in denselben kenterte das Boot und alle seine Insassen ertranken nach kurzem Kampf mit den Wellen. Bis jetzt ist es gelungen, drei der Leichen zu bergen. Der Nothstand in Galizien hat eine Höhe erreicht, dis jeder Be schreibung spottet und die man inmitten Europa kaum für möglich halten sollte. Im Wiener Parlamente haben die Parlamentarier nichts zu thun, als sich um den Nachtwächter von Leitomischl zu streiten, während in Ga lizien viele Tausende von Menschen dem Tode des Verhungerns und Er frierens entgegensetzen. Der gesammte Viehstand großer Striche, Pferde, Kühe und alles kleine Vieh ist theils geschlachtet, um die Haut zu verwerthen, für die der Bauer vom Pferd z. B. kaum 2 Mark seitens des jüdischen Händlers erhält, theils wurde das Vieh von seinen Besitzern in's Freie gejagt, wo es auf den Feldern verendet; es verpesten die Kadaver die Lust und die Gefahr ansteckender Krankheiten ist in der Zeit einer totalen, an persische oder indische Verhältnisse erinnernden Hungersnoth doppelt groß. Der gänzliche Mangel an Nahrungsmitteln hat die Bauern gezwungen, ihre letzte Habe, selbst ihre Schafpelze, zu verkaufen, so daß sie, die zu gleich alles Feuerungsmateriales entbehren, das ihnen sonst der Viehmist in den unbewaldeten Gegenden lieferte, bei der strengen Kälte in ihren eigenen Hütten erfrieren. Daß wir uns bei dieser Schilderung nicht der geringsten Uebcrtreibung schuldig machen, schreibt die „Kr. Ztg.", geht wohl am besten daraus hervor, daß in einer dieser Tage an alle gali zischen Gemeindebehörden ergangenen Instruktion seitens des Lemberger Statthalters auf die furchtbaren sanitären Uebclstände, die aus diesen Ver hältnissen erwachsen, hingewiesen wurde, freilich ohne die Mittel der Ab hilfe, ohne welche eine solche Belehrung ein Schlag in's Wasser ist, zu bieten. Der Pariser Korrespondent der „Times" bestätigt die Niedermetzel- ung von 30 sibirischen Verbannten in Jakutsk und beruft sich auf authen tische Aussagen von Augenzeugen. Die verbannte Sophie Gorirewitsch wurde dabei durch Bajonnetstiche umgebracht und furchtbar verstümmelt. Der Stadtkommandant suchte dem Morden Einhalt zu thun, doch verhinderte dies der Gouverneur Ostaschine, der eigenhändig zwei Verbannte erschoß. Madrid, 28. Dezember. Die tägliche Sterblichkeitsziffer in Folge I der Influenza hat sich verdreifacht. — In Barcelona sind 30 000 Per sonen erkrankt. Man meldet aus Zanzibar: Der Zustand Emin Paschas hat sich wieder verschlimmert, der fortdauernde Ausfluß aus dem Ohr beunruhigt die Aerzte und wird als ein ungünstiges Anzeichen aufgcfaßt. Der Weihnachtsengel. Von E. Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Schluß.) „Heute Abend", — fuhr er nach einer Pause leise fort, — „am hei ligen Weihnachtsabend, wie «ar's traulich daheim im Elternhause. Die gute Mutter zündete uns Kindern den Tanncnbaum an, war das eine Pracht! — O ja, wohl ist's was Schönes um eine glückliche Kindheit, wo man an das Christkindlein glaubte und die Engel herabsteigen sieht, und wo der heilige Abend wie ein Märchen uns winkt. — Schade, daß es später so ganz anders ist!" Wie wogten die Erinnerungen in dem unglücklichen Manne hin und her und klammerten sich an die reine Lust der Kindheit. Er wußte es nicht, wir lange er hier gesessen; die grimmige Kälte zwang ihn doch endlich zum Aufstehcn. Fröstelnd reckte er die Glieder, zog den Rock an und warf die Büchse über die Schulter, worauf er langsamen Schritts den Weg nach dem Forsthause einschlug. Die Hunde waren ja sämmtlich unschädlich gemacht, da die Koppel hunde der kranken Tochter halber nach dem Försterhause gesandt waren. Der Wilderer, welcher sich noch niemals in die Nähe des stattlichen Obcr- förstcrhauses gewagt, schritt heute Abend mit einem wilden Triumphe dort hinab, umkreiste das Haus von allen Seiten und überstieg dann ein Gitter, um in den Garten zu gelangen. Gartenwärts war ein großes Zimmer im unteren Stock hell erleuchtet. Man hatte vergessen, die Rollgardinen herabzulassen, oder wollte die präch tige, vom Mondlicht wieder sanft erhellte Winterlandschaft mit dem mär chenhaft geschmückten Tannenbaum in poetischen Einklang versetzen. Der Wilderer starrte unbeweglich in den ebenso eleganten alsgemüth- licken Raum, welcher in diesem Augenblick vom reinsten Familienglück er füllt war. Er sah die bleiche Mutter mit ihren beiden dem Tode entris senen Kindern im Arm, von dem zärtlichen Blick des Gatten behütet. Er sah die kranke Tochter auf dem Sopha gebettet und neben derselben einen schlanken Schüler, den ältesten Sohn des Oberförsters. Sein glühender Blick schweifte nach dem Kamin und haftete an einem jungen Mädchen, bei dessen Anblick der Unglückliche, dem Neid und Groll das Herz zerfraßen, einen Schrei unterdrücken mußte. Margarethe's Ebenbild! vielleicht ihre Tochter, nein, sie war älter. Neben ihr stand ein junger Jägerbursche, derselbe welcher ihn gebunden; — des Wilderers Faust zuckte nach der Büchse, lag es nicht in seiner Macht, dieses Glück jählings zu zerstören? Ja, sie waren in seiner Hand, — dieser Gedanke hatte etwas Berauschendes für ihn, den Gehetzten! Dort stand auch Otto in seinem schäbigen Flaus, er sah trotz alledem stattlich aus, eine echt männlich-stolze Erscheinung, wie Fritz Werner erstaunt bemerkte. „Er wird sich dieses Mädchen zum Weibe nehmen", dachte der Un glückliche, von Haß erfüllt. „Für den verlorenen Sohn wird ein Kalb geschlachtet. — Fluch euch allen!" Er lächelte ingrimmig, und hob die geladene Büchse an die Wange mit sicherem Blick dem Oberförster sich aus's Korn nehmend. Da sprang der Knabe von der Mutter Schooß herab und sang mit jubelnder Stimme: „O, Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter!" Dem Schützen sank der Arm mit der tödlichen Waffe; das alte be kannte Lied tönte wie eine Mahnung an die längst verstorbene Mutter ihm ins Herz. Er kehrte in wilder Verzweiflung den Lauf gegen die ei gene Brust, um den letzten Schuß zu thun, dessen Knall wie eine Dishar monie das Glück da drinnen treffen sollte. In diesem Augenblicke erklangen die kräftigen Töne eines Flügels, vor welchen das junge Mädchen sich gesetzt. Nach kurzem Präludium ging sie zu dem wunderbaren Choral „Nun danket alle Gott!" über und sang mit tiefbewegter Stimme das herrliche alte Kirchenlied. Bald stimmten Alle mit ein, die Kleinen hörten erstaunt zu, doch draußen vor dem Fenster in der Winternacht rang eine arme Seele mit dem bösen Feind des Hasses, der endlich weichen mußte, von dem ewigen Worte der Liebe besiegt. Als der Choral zu Ende, lag die Büchse des Wilderers im Schnee, er selber aber barg das Antlitz in den Händen und weinte bitterlich. Dann entfernte er sich rasch, schwang sich über das Güter und stieg langsam bergan. Dort, wo der alte Türk erstarrt und todt unter einer Schneedecke lag, blieb der Unglückliche stehen. Der Mond warf sein fahles Licht auf den Platz und beleuchtete die Erhöhung. Schneidend kalt pfiff der Wind durch die schauerliche Oede und vernichtete jedes Atom von Leben. Der Wilderer entfernte mit seinen rauhen Händen den Schnee von dem Hunde und streckte sich dann bei ihm nieder. „So, mein alter Bursche, warst mir vor Jahren ein treuer Kamerad und mußtest nun doch von meiner Hand fallen, das thut mir leid, war aber nicht zu ändern, dummer Türk, — das Leben der Menschen ist alle mal mehr werth, wenn sie auch weniger treu sind als Du. — Nun wollen wir selbander schlafen." Er zog eine gefüllte Feldflasche hervor und that einen langen Zug. „Das führt leicht hinüber", murmelte er, „ich danke Dir, mein Herr gott, daß Du mir zur rechten Zeit den echten Weihnachts-Engel gesandt, mein Haß ist geschmolzen, ich lege meine Seele in Deine Vaterhande, Amen!" Noch einmal erhob er sich, von einem Gedanken gequält. Er riß aus einer alten Brieftasche ein Stück Papier und schrieb mit Bleistift beim dämmernden Mondlicht einige Worte darauf, welche er offen an Herrn Otto Hellach adressirte. — Dieses Papier steckte er in die Börse, welche jener ihm gegeben, trank in einem Zuge die Flasche leer und streckte sich mit einer Art Behaglichkeit neben Türk, seinen Kopf auf diesen bettend So entschlief er, die Börse fest in der Linken haltend. Stunde um Stunde verging. Der Mond war verschwunden; schauer lich pfiff der Wind und peitschte die großen Flocken vor sich her, welche immer dichter aus grauen Wolken herabwirbelten und bald ein Leichentuch über die beiden stillen Schläfer bildeten. „Weihnacht! Fest der Liebe und Versöhnung! Es Hal auch unser« Herzen wieder zusammen gekettet und den Haß für immer vernichtet. Wie danke ich Euch Beiden, daß Ihr mein Herz zur Milde gewandelt gegen jenen Unseligen," so sprach der Oberförster am ersten Weihnachtsmorgen und meinte dann, daß es doch wohl am Besten sein werde, den Verlornen mit den nöthigen Mitteln ausgestattet, wieder nach Amerika zurückzuschicken. „Ich werde das übernehmen, lieber Bruder!" versetzte Otto ruhig. „Du? — Vergieb, aber ich meine doch —" „Daß ich selber der Hülfe bedürftig sei," lächelte Otto und der Bruder nickte ebenfalls lächelnd. „Bist mir in dem alten Flaus ebenso lieb", sagte er, aber wir in Deutschland bcurtheilen den Mann nun einmal nach dem Rock. Hast in den Hinterwäldern Amerika's sicherlich Lust am Waidwerk gewonnen und wenn Du bei mir bleiben willst —" „Darüber reden wir später, mein guter Bruder!" unterbrach ihn Otto ruhig, indem er seine Uhr zog. „Ich möchte jetzt in die Berge, um den Fritz Werner mein Wort zu halten. Wenn Du ihm beistehen wolltest Ferdinand!" „Hier meine Hand darauf, — ich will sogar dafür sorgen, daß er als Jäger oder dergleichen ein Unterkommen findet." „Dann werde ich diese Weihnacht segnen, welche solche Blüthen der Liebe und Versöhnung hervorgetricben", sprach Otto, dem Bruder die Hand drückend. „Doch noch eins, sende den Knecht hinaus, um den Türk zu holen, — das alt« treue Thter soll nicht draußen den Geiern zur Speise dienen."