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sagt mir Conrad, welche Nachbarschaft hat mein Pflegevater erhalten? — Ich sah noch ein zweite« Grab —" „Das stimmt, nebenan liegt eine Frau mit ihrem Kinde, man fischte beide aus dem Flusse auf und begruben sie dort im Winkel, wo alle armen Sünder hin kommen." Während die reichen Sünder hier unter marmornen Denkmälern schlafen", murmelte Frank, „die alte Geschichte der Menschheit. Kannte »an die Unglückliche nicht?" fragte er nach einer Weile, „ich vcrmuthe, daß sie jung gewesen ist." „Stimmt", nickte Conrad, die Pforte, welche aus dem Friedhöfe hin ausführte öffnend, „ich mußte, wie gewöhnlich bei solchen Todten, den Sarg mit abholen, und kam just, wie der Tischler ihn zunageln wollte. Eine feine Frauensperson, ganz schwarz gekleidet, mit einem Schleier um den Kopf, das Haar sah aus wie Gold, weil just die Sonne zum letzten Male darauf schien. Zum letzten Mal!" wiederholte der rauhe, gegen jede« weichere Gefühl abgestumpfte Mensch mit leiserer Stimme, als ob ihn diese Erinnerung seltsam packte. Auch Frank wiederholte das Wort im Innern, es lag eine so schlichte unbewußte Poesie darin. „Sie hatte ihr todtes Kind im Arm," fuhr Conrad in demselben leisen Tone fort, „es mochte vielleicht drei Jahre alt sein, sah aus wie ein Königskind." „Wie lange ist es her?" fragte Frank. „Ueber ein halbes Jahr schon, Herr!" — Ob sie jemand hier kannte? O ja, ich kann's Ihnen wohl sagen, hier hört's doch keiner. .Herr Fichtner schien sie gut zu kennen." „Mein Pflegevater kannte sie?" Biese Frage kam angstvoll, stockend von Franks Lippen. — „Er sah die Todte also?" setzte er hastig hinzu. Conrad drängte sich dicht an seine Seite, die rauhe Stimme desselben ging in ein heiseres Flüstern über. „Erzählte dem alten Herrn von der tobten Frau, wie sie aussah und von dem Goldhaar, da wurde er unruhig und wollte sie sehen; er war nämlich verreist gewesen, hatte nichts davon gehört. Wir mußten den Sarg wieder ausgraben, es war Mondschein, ganz hell, wie am Tage, und als er die Frau mit dem Kinde sah, fiel er wie todt darüber hin, dann riß er sich das graue Haar aus und war ganz von Sinnen, nannte sich einen Mörder und ein von Gott verlassenes Ungeheuer, es war schreck lich anzusehen." „Nannte er ihren Namen?" fragte Frank leise. „Er klang so wunderlich, daß wir ihn nicht behalten konnten." „Vielleicht Felicitas?" „Ja, so mag's wohl gewesen sein, so fremdländisch. — Na, nach und nach ging's vorüber, er stand auf, wir nagelten den Deckel wieder zu und senkten den Sarg hinab, dann warf er drei Schaufeln Erde da rauf und ging, ohne ein Wort zu sagen, weg. Nach acht Tagen erst kam er wieder, er sah aus wie ein Gespenst und brachte selber Epheu mit, den er mit eigener Hand auf den Hügel, den wir der todten Frau aufgeschüttct hatten, pflanzte. Dann sprach er kein Wort mehr von ihr, doch kam er öfters spät abends in der Dunkelheit und blieb bis Mitternacht an ihrem Grabe. Wir thaten aber, als ob wir nichts davon merkten. Letzthin, als er dem Vetter Niklas den Brief für Sie gab, war es eigentlich nicht so recht mit ihm, denn warum? — Weil er von seinem Ende sprach, als ob er ein Vorlaat gehabt hätte." „Was meint Ihr damit, Conrad?" fragte Frank, wie aus einem schweren Traum auffahrend. „Ein Vorlaat? Ja, Herr, kennen Sie das denn nicht?" „Habe diesen Ausdruck nie gehört." „Gott — das ist nichts anders als ein Vorlaat —" sich nachdenklich hinter'm Ohr kratzend, „es ist mir grab' nicht passirt, aber meine selige Großmutter und meine Tante von mir, die auch längst todt ist, haben's hundertmal erzählt, daß sie's gesehen und gefühlt haben, — bald fliegt es wie ein Wind durch die Stube und stößt einen erbärmlichen Ton ans, dann kommt es wie eine Gestalt vom Kirchhof, oder es klingt an der Thür, klopft an die Wand oder ans Fenster, und allemal stirbt der Eine oder Andere in der Verwandtschaft." „Ach so, nun versteh' ich, was ihr meint, Conrad!" sprach Frank mit einem schwachen Lächeln, „glaubt Euer Vetter auch an solchen Spuk?" „Der Niklas Fischer? — Nein, Herr, der glaubt nicht daran, er sagt, eS find Narrenspossen, Gespenster und Vorlaate giebt es nicht. Na, hab' auch noch nichts davon gesehen und gehört, aber glauben thu' ich doch daran." „Sagtet Ihr nicht, daß Herr Fichtner von seinem Todte gesprochen habe?" erinnerte Frank. „Na, ja, das stimmt, er gab meinem Vetter den Brief und zeigte uns dabei ein Bild, — schwerebrett," fuhr Conrad, wie vom Blitz getroffen, zusammen, „daran denk' ich just eben erst, sind Sie denn auch der Richtige?" Er blieb stehen und schaute den jungen Herrn forschend an. „Daß der Vetter so was ausschwitzen konnte," fuhr er kopfschüttelnd fort, „ist doch die Möglichkeit. Ich weiß es auf einmal ganz bestimmt, auf dem Bilde stand ein Offizier, ein schmucker Cavallerist, dem und keinem Anderen sollten wir den Brief geben. O jerum, was wird der Vetter für Augen machen, wenn ich ihm das sage. Lieber Herr, Sie sind ja doch der Richtige nicht, sind kein Offizier, was machen wir nun, geben Sie man gleich den Brief wieder her." Frank legte ihm die Hand auf die Schulter. „Beruhigt Euch, lieber Freund!" sagte er, „ich bin doch der Richtige, hab' nur auf eine Weile die Uniform ausgezogen, um ganz ungenirt bei »einem Pflegevater wohnen zu könnnen. Werde Euch morgen ein gleiches Bild von mir zeigen. — Doch sagt mir noch eins, sprach er ganz bestimmt von seinem nahen Tode?" „Na, das just nicht, er meinte nur, cs könne doch leichtlich sein, daß er bald daran müßte, und dann wollte er's uns nur auf die Seele binden, daß wir ihn dicht neben der Frau mit dem Kinde begraben thäten, anderswo könnte er keine Ruhe finden. Das haben wir denn auch gethan." „Weil man dem Selbstmörder doch keinen andern Platz gegeben halt'.", sprach Frank bitter. Er war durch dieses Gespräch in einen inneren Zwiespalt gerathen, welcher ihm eine wahre Seelenpein verursachte, da er den Selbstmord seines Pflegevaters motivirt finden mußte. War sein Besuch bei Schutzmann Eilert, mit dem er über ein an dem Todten begangenes Verbrechen sprechen wollte nicht völlig überflüssig? Die Sache erschien so einfach, so klar, die Lösung des RäthsclS so natürlich. Frank blieb stehen. Hatte er den Brief des armen Vaters denn so gänzlich vergessen? Er schien ihm jetzt die Brust zu versengen. Hier trug er die Lösung des schauerlichen Räthsels jedenfalls bei sich. Der Brief mußte ihm Aufschluß geben. Hastig schritt er weiter, daß Conrad ihm kaum zu folgen vermochte. Sie hatten die Stadt erreicht der Alte bog in eine Seitenstraße ein. „Sind wir noch nicht bald zur Stelle?" fragte Frank erregt. „Gleich, Herr, dies ist die Langestraße, der Schutzmann Eilert wohnt in der Steinstraße. Sehen Sie, dort! —" „In jener Straße?" „Das stimmt, hier ist sein Haus." Frank ließ sich Straße und Nummer nennen und meinte, daß er erst nach seinem Hotel müsse, worauf er seinem Begleiter die Hand schüttelte und rasch von dannen schritt. Conrad blickte ihm nachdenklich nach. „Es wird doch wohl nicht der Richtige sein", brummte er, mit in grimmigem Gesicht den Heimweg antretend. (Forts, folgt.) Vermischtes. * Der erste offizielle Besuch eines Gliedes der österreichschen Kaiser familie am königl. preußischen Hofe fand im Februar 1732 statt. Der Herzog Franz von Lothringen, nachmals Kaiser Franz I., knüpfte in dieser Weise, wie die „Voss. Ztg." erinnert, persönliche Beziehungen an. König Friedrich Wilhelm I. empfing den hohen Gast in Potsdam, wo derselbe die von Friedrich I. benutzten Gemächer im östlichen Flügel des Stadt schlosses bezog. Um ihn zu ehren, entsagte der sparsame Regent für einige Tage der gewöhnlichen Einfachheit seines Hofhaltes und befahl, Alles so prächtig als möglich einzurichten. Den Hauptplatz im Festprogramme nahmen die Vorführungen der Riesengrenadiere und ein Schnepperschießen im königl. Marly-Garten ein. Die Vogelstange war auf derselben Stell« aufgerichtet, wo heute die Statue der Hoffnung von Thorwaldsen steht. Die ganze Hofdienerschaft und die Querpfeifer des großen Regiments, lauter Mohren, theils von Georg I. geschenkt, theils aus den brandenburgisch preußischen Kolonien in Westafrika hcrübergesendet, wurden zu diesem Schnepperschießen befohlen. Jedes Mal, wenn ein glücklicher Schuß ge fallen war, kam ein Hoffourier, von Dienern und den Querpfeifer-Mohren begleitet, von der Vogelstange auf den Schiebstand mit der betreffenden Meldung, worauf dann der zur Schau ausgestellte Preis dem Gewinner unter Musik überreicht wurde. Unter den Gewinnen gab es auch goldene und silberne Schaumünzen im Gewichte von neun Loth. Den Hauptge winn aber bildete ein junger, als Hanswurst gekleideter Bär. Der König Friedrich Wilhelm I. hatte Alles selbst angeordnet und war in der weit gehendsten Art auf alle Bedürfnisse seines hohen Besuchers bedacht gewesen. So z. B. hatte er vorher persönlich die katholische Kirche in Potsdam be sucht und dem Pfarrer Pater Bruns befohlen, den Herzog mit allen Ehren eines regierenden Herm zu empfangen und ihm einen besonderen erhöhten Platz mit Sessel und Baldachin in der Kirche herzustellen. Herzog Franz war auch dreimal bei dem Gottesdienste anwesend, benützte aber den Sessel nicht, sondern kniete in einer gewöhnlichen Kirchenbank nieder. Da er bemerkte, daß vor dem Sanctisstmum die Lampe fehlte, so sandte er später eine solche, silbern unb gegen acht Pfund schwer, aus Wien. Schon im Sommer desselben Jahres 1732 erwiderte der König Friedrich Wilhelm I. den ihm gewordenen Besuch in Prag, wo damals Kaiser Karl VI. rcstdirte. * In dem schlesischen Dorfe Schwammelwitz hat sich ein interessantes Ereigniß zugetragen. Mittwoch Nachmittag bewegte sich von Stübendorf aus ein Leichenzug nach dem Pfarrorte Schwammelwitz. Die Häusler stellenbesitzerin Arbeiterin Mattner, eine in hohen Jahren stehende Person, welche am Montag gestorben war, sollte in Schammelwitz beerdigt werden. Der Sarg stand auf einem zweispännigen Wagen. Neben dem Sarge gingen sechs Träger. Nachdem der Leichenzug sich schon eine Zeit lang fortbewegt hatte, hörten die Träger ein Geräusch im Sarge, gleich einem Kratzen. Der Zug hielt, man öffnete den Sargdeckel und sand die Frau mit offenen Augen im Sarge liegen; an der rechten Seite, an der Stelle, wo die Hand das Bein berührte, fand man die Sterbekleider zerrissen und etwas blutende wunde Stelle; die Frau bewegte den Arm. Davon über zeugten sich die Träger, die Verwandten und alle Leidtragenden. Man legte den Deckel neben den Sarg und kehrte mit offenem Sarge nach Stüben- dors zurück. Nachdem der Sarg vom Wagen gehoben war, wurde die Wiedererstandene in's Bett gebracht. Nach kurzer Zeit, als sie sich etwas erwärmt hatte, fing sie zu weinen an; sprechen konnte st« nicht. Heute, Donnerstag, früh 6'/? Uhr, erwachtest«, trank eine Tasse Kaffee und sprach: „Wie war mir schlecht." Weiter konnte sie nichts herausbringen. * Von den Kaisertagen in Straßburg. Eines merkwürdigen an'S Wunderbare streifenden Zwischenfalls erwähnt die „Straßb. Post" bei Be schreibung des großen Huldigungszuges der Straßburger Vereine und Körperschaften. Gerade als die ersten Leuchtkugeln an dem Nachthimmel emporfuhren und mächtige Hochrufe über den wetten Platz brausten, erschien über dem Kaiserplatze eine weiße Taube, man wußte nicht, woher sie kam. Ein paar Mal kreiste das anmuthige Tierchen über dem Palast, dann ließ es sich auf dem Dachsims gerade über dem Arbeitszimmer Kaiser Wilhelms nieder. Vom Gral wird diese weiße Taube nun wohl nicht ge rade gesandt worden sein, aber immerhin wird man zugeben müssen, daß ihr Erscheinen unter diesen Umständen und an diesem Orte sich sehr hübsch und bcziehungsvoll ausnahm. Nach längerem Verweilen verschwand der kleine Friedensbote, wie er gekommen. * Wieviel Bier wird in München in einem Jahre gebraut? Einen Kranz bis an den Rand gefüllter Maßkrüge könnte man auf der Erdkugel vom Nordpol bis zum Südpol aneinander reihen und wollt« man dann die Menge des in diesen Krügen befindlichen Bieres berechnen, so würde man auf di« überraschende Thatsache stoßen, daß in ihnen viel weniger vorhanden ist, als die gute Stadt München in einem einzigen Jahre zu eigenem Genüsse und zu Nutz und Frommen der Mitwelt braut. Ein Münchner Bicrstatistiker hat, dem „Hannoverschen Courier" zufolge, be rechnet, daß aus den vierzig Münchner Brauereien, in denen nach amtlichem Ausweise im Jahre 1886 nicht weniger als 1006488 Hectoliter Malz verschrotet wurden, in demselben Jahre 201297600 Liter Bier hervor gingen. Um diese Biermmge in Maßkrüge von 10'/, cm Durchmesser zu füllen, brauchte «an 201297600 Stück Krüge. Diese Krüge, in einer geraden Linie hart neben einander gestellt, würden eine Reihe bilden, welche 2948 geographische Meilen oder 21136 km lang wäre. Allein die Linie vom Nordpol bis zum Südpol beträgt auf der Oberfläche der Erde nur 2695 geographische Meilen oder 20002 km, und jene Maß krüge würden also noch 134 km über den Südpol hinausreichen. — Der Bierkonsum wird in München auf 492«/,g Liter pro Kopf und Jahr veranschlagt, in Wien auf 296 Liter, in Berlin auf 240 Liter, in London auf 254 und in Paris gar nur auf 20 Liter. Die unbestritten« Ehre, die größte Bierstadt der Welt zu sein, kommt aber den Münchnern nicht gar zu billig zu stehen. Nimmt man nämlich an, daß für den Liter durchschnittlich 25 Pf. gezahlt werden (22, 24 und 40 Pf.), so trank München 1886 für 32281050 M. und täglich für 88441 M. Bier, und auf den einzelnen Kopf der Bevölkerung trifft dann jährlich eine Ausgabe von 123 M. 31 Pf., täglich eine Ausgabe von 33V,o Pf. * Einer merkwürdigen Todesursache ist der Oberstabsarzt Dr. Scharm in Schweidnitz zum Opfer gefallen. Bei der Untersuchung eines diph- theritiskranken Kindes ist ihm ein Thcilchen des Hustenbelages in das Auge geflogen, worauf bald Erblindung eintrat. Von hier aus mag sich das Gift auch dem übrigen Körper mitgetheilt haben, sodaß nach etwa 8 Tagen der Tod des Arztes erfolgte.