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Es gibt also wieder Krieg! Zum Glück ziemlich weit hinten. Der Emir von Afghanistan hat auf das Ultimatum Englands keine Antwort gegeben und keine Antwort ist ja auch eine. England hat diese Antwort verstanden und seinen Truppen in Indien den Befehl zum Ueberschreiten der Grenzen telegraphirt. In Peschawer war alles fertig zum Ausmarsch. Im Herbst wollen oder sollen die englisch-indischen Truppen die Festungen von Ali-Musjid, Kurum und Kandahar nehmen und im Frühjahr gegen Kabnl marschiren. Diese drO Punkte sperren nämlich die drei Haupteinfallsstraßen nach Af ghanistan, welche sich sämmtlich bei Kabul vereinigen. Die nördlichste Straße führt von Peschawel am Indus über Ali-Musjid und durch die Khyber-Pässe an Dschellalabad vorbei nach Kabul, die mittlere Straße geht vom Indus, das Thal des Kurum - Flusses aufwärts über die gleichnamigen Pässe ebenfalls nach Kabul. Die dritte Straße endlich hat ihren Ausgangspunkt in Quettah in Beludschistau, wo sie durch den Koluk-Paß nach Kandahar und dann nach Kabul sührt. In Peschawer, Jamrud und Nowihera stehen unter General Sir Samuel Browne eine Infanterie-Brigade mit zusammen 7200 Cvm- battanleu und eine Cavallerie - Brigade mit 1000 Mann Hierzu werden stoßen das Contingent der Sikhs, bestehend aus 3000 Mann Infanterie, 1000 Reitern und 13 Geschützen, sowie das Byopul- Contingent unter Hassan Abdal. Die Kurum-Division unter General Roberts formirt sich in Thall. Die dritte, unter General Biddulph bei Quettah stehende Cvlonne besteht ans 6 Infanterie- und 3 Ca- vallerie-Regimeutern und 2 Gebirgs-Batterien, 10,OM Kameele wurden in Sukkur und 20,MO Kameele in Karachi versammelt. In Qnettah treffen fortwährend frische Truppen ein. Eine erlassene Proclamation des Vicekönigs recapitulirl die Ge schichte der Beziehungen Indiens und Afghanistans in den letzten zehn Jahren. Die britische Regierung unterstützte den Emir von Zeit zu Zeit, die Afghanen genossen Handelsfreiheit mit Indien, aber diese Wohlthaten wurden durch Uebelwollen und rücksichtsloses Betragen vergolten. Der Emir versuchte durch Wort und That den Religions- Haß zu schüren und einen Krieg gegen das britische Reich in Indien h rbeizusühren. Den Anstrengungen der Erzielung eines freundlichen Verkehrs Trotz bietend, empfing er eine russische Mission und wies gewaltsam den britischen Gesandten zurück, dessen Kommen ihm recht zeitig angemeldet worden war. Die lange Nachsicht der britischen Regierung für Schwäche verkennend, habe er sich jetzt deren gerechten Zorn zugezogen. Die britische Regierung wolle die Unabhängigkeit Afghanistans respectiren, aber sie könnte nicht dulden, daß sich eine andere Macht in die inneren Angelegenheiten Afghanistans mische. Der Emir allein trage die Verantwortlichkeit dafür, die Feindschaft der Freundschaft der Kaiserin von Judien vorgezogen zu haben. Die Goldentdeckungen in Indien sind, wie der „Times" berichtet wird, höchst wichtiger Art. Ein australischer Sach verständiger berichtet, daß in einem Gebiete von 25 Meilen zu 13 Meilen er 90 Erzlager mit einer Stärke von 2—4 Fuß entdeckt hat, die bis zu 2M Unzeu Gold per Tonne ergeben würden. Er gibt der Meinung Ausdruck, daß die Goldindustrie, wenn sie richtig in Angriff genommen wird, die größten Hoffnungen übertreffen dürfte. OertlicheS und SächfischeS. Freiberg. Großes Aufsehen erregt das Verschwinden des Expedienten Schulze beim hiesigen Proviantamte, der mit einer Sämme von 60,OM M. nach vorausgegangener Fälschung einer Quittung seit dem 21. Nov. flüchtig geworden ist. Die nöthigen Vorkehrungen zur Habhastwerdung des Flüchtlings sind feiten der Polizeibehörde sofort getroffen. Das Schicksal des Vorschußvereins zu Roßwein ist nicht ohne Wirkung auf die übrigen derartigen Vereine der dortigen Gegend ge blieben. Nachdem sich bereits der Vorschußverein zu Hainichen auf gelöst hat, geht auch der „Spar- und Darlehnsverein" zu Döbeln seiner Liquidation entgegen. Infolge des eingetretcnen Mißtrauens haben seit der Roßweiner Katastrophe sehr viele Mitglieder des Döbelner Vereins ihre Mitgliedschaft und damit ihre Stamman theile gekündigt. Geising. In Löwenhain waren im Laufe dieser Woche von 69 Schulkindern 47 an den Masern erkrankt. Riesa, 19. Nov. Dieser Tage ist cs der hiesigen Gerichts behörde gelungen, einen allem Anschein nach langjährigen Dieb zu verhaften. Der Maurer und Hausbesitzer W. in dem benachbarten Dorfe P. wurde auf eine gegen ihn gemachte Anzeige hin verhaftet und gestand in dem mit ihm angestellten Verhöre einige Diebstähle zn, deren Ergebniß in einer Lade in seiner Wohnung verborgen sein sollte. Die Oeffnung der zur Stelle geschafften Lade ergab, daß darin Sparkassenbücher, Banknoten und baares Geld im Betrage bis zu 9000 M. enthalten waren. Auch Waffen, Diebeswerkzeuge und andere gravirende Gegenstände sanden sich darin vor. Als Ofenkehrer konnte sich W. eine genaue Kenntniß der Wohnungen verschaffen. Ec besitzt ein schuldenfreies Gartengrundstück und war durch sein Amt als Kirchvater lange Zeit als unantastbar hingesteüt. Ob die diesen Herbst in der Stadt vorgekommenen Diebstähle von W. ausgeführt worden, wird die Untersuchung lehren, die sich übrigens, da der Be stohlenen viele sind, sehr in die Länge ziehen wird. Was beachte den hübschen jungen Techniker Schubbe auf die Anklagebank des Schöffengerichts in Chemnitz und in das Gesängmß? — Zehn Glas Bier, die er am Abend des 29. Septbr. ge trunken hatte. An diesem Abend ging er durch die Straßen in Franken berg, kam mit einem Kutscher in Streit und gab ihm eine Ohrfeige. Dieser wirft ihn nieder und ohrfeigt ihn rechts und links; da stößt ihm Schubbe im Ringen sein Taschenmesser in den Rücken. Der Kutscher war schwer verwundet, ist aber jetzt wieder auf. Schubbe, der Sohn eines Capitäns in Aklam, kam dieser Tage vor's Schöffen gericht. Er gab alles zu und sagte nur, er sei durch das Bier in einem Zustande gewesen, daß er nicht gewußt und nicht bedacht, was er that, nur in dem Augenblicke, als er mit dem Messer zugestoßen, habe ihn der Gedanke wie ein Blitz durchzuckt: Du bist ein Verbrecher, ein Mörder! — Die Schöffen verurtheilten ihn zu 2 Jahr 3 Monat Gefängniß. — Der Verurtheille verläßt leichenfahl im Gesicht und wie gebrochen den Saal. Das Polizeiamt in Leipzig hat kurz und bündig bekannt ge macht, daß die städtischen Schutzmannschasten Anweisung erhalten haben, in allen Fällen der Nothwehr zur Abwendung der ihren Per sonen drohenden Gefahr von der Waffe Gebrauch zu machen. Im letzten Jahre allein sind die betr. Mannschaften 24mal thätlich ange griffen, bedroht und mißhandelt worden. Der Wilddieb. Eine wahre Begebenheit. (Nachdruck verboten.) Es sind nun schon einige Jahre her — theilte mir mein Freund, der Förster W. in L., am traulichen Ofen mit, — als ich nach S. in der Niederlansitz kam, um in den gräflich Solms'schen Forsten eine Stelle anzunchmen. Das Forstpersonal des Grasen bestand aus vier Förstern, die alle tüchtige, schöne Reviere hatten, von denen mir das kleinste, aber auch schwierigste zufiel, denn mein Vorgänger, den ich ablöste, erschien mir als ein so schlechter Forstverwalter, daß ich über die grenzenlose Verödung Verwüstung seines Bezirks erstaunte, da man in Sachsen dergleichen nicht gewohnt ist. Meine Verwunderung verminderte sich indessen bald, als ich hörte, daß vcr alle Hedrich — so hieß Ler Mann — 25 Jahre hindurch Büchsenspanncr und Leib- jäger des Grafen gewesen war und die Stelle gleichsam als Ruhe» posten erhallen hatte, wozu sie freilich gar nicht angelhan schien, denn ich sah ein weites Arbeitsfeld vor mir. Das Forsthaus lag mitten in der Haide an höchst einsamer und melancholischer Slelle, weit cnl- jernt von allen menschlichen Wohnungen. Da das Revier noch immer umfangreich genug war, hätte ein Gehilfe dem Alten recht nützlich sein können, aber Hedrich lieble keine Gesellschaft und behalf sich mit einem schon bejahrten Waldausscher, der im nächsten Dorfe wohnte. Um mein Revier kennen zu lernen, bchi.lt ich den allen, kinder losen Förster, der nur eine kränkliche Frau nm sich hatte, noch einige Wochen im Forslhause und wir schlenderten tagelang herum i i den unendlichen, schweigsamen Wäldern, die uns umgaben. Aber, h lf Himmel! wie sah das darinnen aus! Tie Holzdiebe hatten förmliche Schläge angerichtet und mit größter Mühe gelang es mir kaum, Spuren eines einzigen Stück Wildes zu entdecken. „Die Wilddiebe!" flüsterte dann allemal der Alle achselzucken". Ich geloble mir im Slillen, daß das anders werden müßle, vermied es aber, dem Alten seine Verwahrlosung vorzuhalten. „Gehen Sie denn nicht Abends hinaus, um dem Gesindel aus- zupaffen?" frug ich, nicht ohne Bitterkeit. „Ich verlaffe das Haus am Abend nie," sagte er mit unsicherer Stimme, besonders seitdem der Hentschel wieder los ist." Das machte mich neugierig. „Wer ist denn das?" „Sie werden ihn schon noch kennen lernen. Er ist der schlaueste und gefährlichste Wilddieb der ganzen Gegend. Sie müßten von ihm gehört haben, wenn Sie nicht so weit her kämen." „Warum aber gehen Sie Abends nicht aus?" drang ich Weiler in ihn. Hedrich seufzte. „Lasten wir die alte Geschichte. Es ist schon zehn Jahre her. Ich war damals in entsetzlicher Lebensgefahr, die auf mich einen so fürchterlichen Eindruck gemacht hat, daß ich säwor, niemals des Abends wieder auszugehen, hab's auch bis heute ge- hallen." „Ihre Geschichte!" „Sie ist gewöhnlich. Die Wilddiebe trieben es einmal so arg in unsern Forsten, daß bald kein größeres Stück mehr darin zu sehen war und es für den Jäger lebensgefährlich wurde, selbst am Tage sich im Forste auszuhalte». Man wußte, daß der verwegene Hentschel der Führer dieser Bande war, konnte ihrer aber, trotz aller Anstrengungen, nicht habhaft werden. Um dem Unwesen zn steuern, setzte der Graf eine Belohnung qon 100 Thalern aus, wem cs gelänge, einen der Spießgesellen aufzuhebcn. Einem reitenden GenSdarm in F gelüstete es, sich die st pulirten hundert Thaler zu verdienen. Er war Familienvater und mein in timer Freund. Tagelang durchstreifte er die Wälder und glaubte öfters, Spuren gesunden zu haben, die aber wie durch Zauberei stets wieder verschwänden. Endlich erfuhr Martin, so nannte er sich, in einem Heidekruge die verbürgte Nachricht, daß jdie Bande in einem nicht allzusernen Kicfernwalde nächste Nacht jagen würde. Er sandle sofort einen Bolen in's Schloß zu S. und bat um Hil e. Es traf mich das Loos, den Gensdarm begleiten zu muffen. Ich gestehe gern, daß man in meinem Alter nicht mehr den Muth der Jugend besitzt, weshalb mir auch das Abenteuer nicht eben lieb war. Ich schritt schweigend neben dem Pferde des GcnSdarmen her, in die kühle Nackt hinein. Niemand sprach. Da donnerte ein Schuß so dicht vor uns, daß das Pferd bäumte. „Da haben wir sie!" ries der Gensda m und stürzte mit geschwungenem Säbel vorwärts. Eine Anzahl von fünf bis sechs Wohl bewaffneten Männern floh über den Waldweg. „Steht, Hunde, und ergebt Euch!" schrie der mulhige Gensdarm und machte Miene, sie niederzureiten. Da sah ich, wie ein langer Mensch die Büchse ruhig anlegte, als cben mein Freund einhauen wollte. Ein Krach — und aus des Pferdes Rücken sank der Gensdarm ge- l troffen nieder. „Hedrich, hilf mir!" stöhnte er. Was sollte ich thun, ! allein gegen diese Neberzahl? Ich versuchte mich in die Büsche zu ! retiriren, aber bald sah ich mich eingeholt und gefangen. ! Die Mündungen von sechs Büchsen richteten sich auf meine Brust ! die Todesangst überkam mich, unwillkürlich fiel ich auf meine Knie j und bat die Strauchdiebe, meiner zu schonen. Wie die blutdürstigen Indianer hielt man Kriegsrath um mein Leben. Endlich trat Hcntfchel ! — das war der Anführer — hervor und kündigte mir an, daß ich ! am Leben geschont werden solle, wenn ich schwören würde, sie nicht s anzuzeigen und künftig in Ruhe zu lassen. Ich schwur in der Todes» ! angst. Gott möge mir diese Sünde verzeihen! Darauf nahm man j mir mein Jagdzeug ab und verließ mich. Ich blieb allein bei dem ! röchelnden Verwundeten, der bald darauf verschied. Es war ein cnl- ! sctzlicher Augenblick, den ich nie vergessen werde. Und als ich nun ! das treue Pferd langsam mit dem Todten svrtsührte, den ich erst festgebundeu hatte, und wir in diesem fürchterlichen Auszuge in's Schloß gelangten, gelobte ich mir, mich nie wieder diesen Kannibalen , auszusetzcn. So, nun wissen Sie's!" Der alte Förster seufzte tief auf und wischte sich eine Thräne aus den Augen. „Aber was geschah mit Hentschel und Consorten?" srug ich. „Ich that meine Pflicht und zeigte sie an. Sie wurden einge zogen und Hentschel leugnete mit großer Beharrlichkeit. Er behauptete, es sei ihm bei der Flucht die Büchse an einem Zweige hängen ge blieben und dadurch der Schuß losgegangen. Er log sich gut heraus, daß er mit sechs Jahr Zuchthaus Wegkain, die er nun verbüßt hat." Nun wußte ich allerdings auch, warum das Revier so verwahr lost war. Die Schelme kannten die Nervenschwäche deS alten Hedrich und erlaubten sich das Unerhörteste. Das mußte anders werden.