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<— Stolpen. Am 5. April ist die 6 Jahre alte Tochter des Schmiedemeisters Karl Traugolt Kunath in Dittersbach erschossen wor den. Der Gutsbesitzer Ryssel hatte sich bei Kunath vor vierzehn Tagen ein Gewehr geborgt, um damit Sperlinge zu schießen. Am Abend des 5. April brachte Ryssel das geborgte Gewehr an Kunath zurück, ohne Kenntniß zu haben, daß sein Sohn das Gewehr geladen und ein Zündhütchen aufgesteckt hatte. Kunath beauftragte seinen 16 Jahre alten Sohn, das Gewehr aufzubewahren; als aber nun Letzterer sich dasselbe besehen wollte, entlud es sich Plötzlich, wobei der Schuß seiner 6 Jahre alten Schwester beim rechten Auge in den Kopf ging, so daß das Gesicht gänzlich verstümmelt wurde und das Mädchen Nachts ^12 Uhr an den Folgen gestorben ist. — Wie man sich noch erinnern wird, ward vor ca. 2^ Jahren in der Nähe von Chemnitz an dem 6jährigen Mädchen eines Malers ein Lustmord verübt, wobei es trotz aller Recherchen nicht gelingen konnte, des Mörders habhaft zu werden. Dieser Tage hat sich nun in einem Orte bei Chemnitz ein Gutsbesitzer durch Erhängen entleibt vorher aber an seine Angehörigen einen Brief geschrieben, worin er angad, daß er der Mörder des Kindes fei, auch wegen anderer von ihm begangenen Vergehen von Gewissensbissen getrieben, sich das Leben genommen habe. — Eine wunderbar glücklich abgelaufene Episode ereignete sich am Sonntag Abend in Chemnitz. Es sprang dort aus der im 2. Stockwerk in der Sonnenstraße gelegenen Wohnung eines Feilenhauers dessen Frau mit ihrem ^jährigen Kind im Arm zum Fenster hinaus, fiel aber glücklicherweise auf das Dach eines Hinterhauses und kam so mit dem Kinde ohne Verletzung davon. Ursache des verzweifelten Sprunges war das Gebühren ihres betrunken nach Hause gekommenen Mannes, der sie mit einem Holzschnitzer (Messer) bedrohte. Dieser Mann legte sich, als seine Frau nach dem Alkoven geflüchtet war, von dessen Fenster aus sie hinabsprang, ruhig ins Bett und schlief auch sofort ein. — In Leipzig ist nunmehr der Streik der Maurergesellen ein allgemeiner geworden. Seit Montag Morgen sind auf sämmtlicheu Neubauten die Arbeiten eingestellt worden, da die Meister nicht ge sonnen sind, auf die Forderungen der Arbeiter einzugehen. Als Letz teren dies bei Beginn der Arbeiter eröffnet wurde, verließen die Ar beiter die Werkplätze bis auf einzelne, theils Lehrlinge, theils am Streik nicht bctheiligte ältere Werkleute. Aber auch diese sind seitens der Baumeister, zur Vermeidung jeden Konflikts mit den Streikenden, aus der Arbeit entlassen worden. Man hört zwar von einer namhaften Streikkasse, die den feiernden Arbeitern zu Gebote stehen soll, aber auch die Zahl der Letzteren ist eine ganz bedeutende. Wie man sich übrigens erzählt, soll der weit größere Theil der streikenden Arbeiter mit der durchaus ungerechtfertigten Arbeitseinstellung gar nicht einver standen, vielmehr nur durch die Ueberredungskunst einzelner Unzufrie dener, namentlich aber zweier Berliner Emissäre hierzu vermocht wor- den sein. Gattin-Treue. Nachdruck verboten. Nach der Niederwerfung des jakobitischen Aufstandes in England im Jahre 1716 wurden die Anhänger des Prätendenten Jakob Stuart, dem selber die Flucht nach Frankreich gelang, aufs grausamste verfolgt, geächtet, hingerichtet und ihre Güter könfiszirt. Die Lords Derwent- water, Kenmuir, Wintoun und vier ihrer Genossen wurden zu London enthauptet, zweiundzwanzig andere Edelleute zu Preston und Manchester gehängt. Einige wenige entkamen glücklich nach Frankreich, unter ihnen Lord Nithisdale, der im Tower eingekerkert war und bereits sein Todes urtheil erhalten hatte. Der Muth und die Entschlossenheit seiner jungen Gemahlin retteten ihm das Leben. Im März 1716 wurde es ihr nämlich gestattet, ihren Gatten, der am folgenden Tage hingerichtet werden sollte, noch einmal zu sehen. Sie begab sich also in den Tower, auf zwei ihrer Kammerfrauen gestützt, ein Tuch vor die Augen hal tend, wie eine unglückliche Frau, die vor Verzweiflung ganz außer sich ist. Sobald sie bei ihrem Gemahle im Kerker war, wo man die bei den rücksichtsvoll allein ließ, sagte sie hastig: „Ich komme nicht, um von Dir Abschied fürs Leben zu nehmen, mein Gemahl, fondern um Dich zu retten. Wir sind von derselben Größe, die Wachen haben mein Gesicht nicht gesehen, Du mußt auch Dein Antlitz verhüllen, wenn Du mit meinen Kammerfrauen hinausgehst. Hurtig! Wir wollen unsere Kleider wechseln. Dann nimmst Du den schwankenden Gang und die Haltung einer verzweiflungsvollen Frau an. Meine Kutsche wird Dich geschwind nach einem stillen Landungsplatz an der Themse bringen; dort harrt ein Nachen auf Dich mit zwei treuen Bootsleuten, welche Dich auf ein Schiff bringen werden, das nur Deine Ankunft erwartet, um sofort heimlich nach Frankreich unter Segel zu gehen. Der Schiffer ist ein kühner, geschickter Schmuggler und hat sich für die Sicherheit Deiner Flucht verbürgt. Der Wind ist günstig, die Ebbe tritt bald ein, nach wenigen Stunden bist Du außer aller Ge fahr!" — „Und Du, meine Liebe?" fragte der Lord, erschüttert von so viel Opfermuth und Treue. „Wie soll es mit Dir werden?" — „Ich bleibe hier und täusche Deine Kerkermeister und Wachen, bis Du in Sicherheit bist," versetzte die Lady. „Glaube nicht, daß die Gefahr für mich so groß ist. Man wird sicherlich einer Frau kein Leides zufügen, die pflichtgetreu ihren Gemahl zu retten sucht." — Lord Nithisdale machte noch Einwendungen, weil er doch gerechte Be sorgnisse hegte, ihr könne Uebles widerfahren; aber sie wußte durch ihre inständigen Bitten und heißen Thränen ihn doch schließlich zu bewegen, daß er ihren verwegenen Plan guthieß und befolgte. Die beiden wechselten rasch ihre Anzüge. Der Lord, als Dame gekleidet, sein Antlitz mit einem Tuche verhüllend und anscheinend schluchzend und weinend, schwankte zwischen den beiden Kammerfrauen durch die Schaar der Kerkermeister und Wachen, und gelangte unbehelligt zur draußen harrenden Kutsche, die ihn, was die Pferde laufen konnten, nach dem verabredeten Ort an der Themse brachte. Dort stieg er in den bereitliegenden Nachen und wurde rasch nach dem Schiffe gerudert, .das sogleich unser Segel ging und mit der Ebbe stromabwärts eilte. Nach einigen Stunden befand er sich in völliger Sicherheit. — Unter dessen saß die Lady, angethan mit den Kleidern ihres Gemahls, im halbdunklen Kerker des Towers auf einem Holzschemel, den Kopf auf die Hände und die Arme auf den Tisch gestützt. Sie betete zu Gott, daß er das gewagte Unternehmen möge wohl gelingen lassen. Der Kerkermeister kam einmal herein und brachte Speise und Trank. Er sah die Leidensgestalt in der beschriebenen Stellung und störte sie nicht, denn er glaubte, daß der zum Tode verurtheilte Gefangene seine letzten Stunden im Gebete zubringen wolle. So verging die Nacht. Am anderen Morgen kamen die Gerichtspersonen und Schergen der Gewalt, um den Lord zur Richtstätte zu führen. Ganz in der Nähe, auf Towerhill, war das Schaffot errichtet und Tausende von schau lustigen Menschen harrten erwartungsvoll auf das blutige Schauspiel. Auch ein Geistlicher stellte sich ein, der den Verurtheilten auf seinem letzten Gange begleiten sollte. Statt des Lords wurden die höchlich überraschten Ankömmlinge der Lady ansichtig, die mittlerweile den Anzug ihres Gemahls mit einem weiblichen Gewände, welches die Kammerfrauen vorsorglich im Gefängnisse zurückgelassen, wieder ver tauscht hatte. „Mein Gemahl ist gerettet," sagte sie mit fester Stimme, „Gott im Himmel sei ewiglich gepriesen, daß ich das bewerkstelligen konnte! Ihr werdet ihm also nicht das Haupt abschlagen. Vielleicht landet er in diesem Augenblicke schon an Frankreichs Küste. Nun geht und erkundigt Euch bei den grausamen Ministern, was mit mir, seinem Weibe, geschehen soll! Sagt ihnen, daß ich ihren Zorn nicht fürchte. Ich bin gerne bereit, für meinen Gemahl zu sterben!" . . . Diese Begebenheit erregte in Loudon und ganz England sehr viel Aufsehen. Selbst die erbittertsten Gegner der jakobitischen Partei priesen den opferfreudigen Muth der jungen Lady und zollten ihr warme Theilnahme. Der Kommandant des Towers erhielt Befehl, sie unverzüglich in Freiheit zu setzen. Sie reiste nach Calais, wo sie mit liebevollem Entzücken von ihrem Gemahle empfangen wurde. Lauge Jahre noch lebten sie in Frankreich glücklich mit einander. F. L. Vermischtes. Ein kürzlich aus Amerika nach Deutschland zurückgekehrter Thü ringer schreibt der „Hildb. Dorfztg.: Wie ich bereits ans den letzten Nnmmern Ihres Blattes ersehen, haben Sie es an Warnungen zur Auswanderung nicht fehlen lassen, und ein Jeder, der in Folge dessen dem „gelobten Lande" nicht zugeeilt ist, muß Ihnen hierfür ungemein dankbar sein. Obwohl die Auswanderung in den letzten Jahren bei weitem geringer ist, als früher, so ist doch, und gerade in diesem Jahre, eine so große Ueberfüllung an Arbeitern in den großen Städten, daß in New-Jork allein die dortige Deutsche Zeitung im Monat Januar24,000 arbeitslose Menschen uachweist. — Castle Garden, der Landungshafen New-Jorks, in welchem sich gleichzeitig ein großes Arbeitsbureau befindet, konnte täglich kaum die Hälfte der schon bei Anbruch des Tages sich am Eingänge versammelnden arbeitslosen Leute anfnehmen. Hier saßen nun auf Bänken dicht nebeneinander gedrängt an 4 bis 500 Menschen und warteten sehnsüchtig von Mor gens 9 bis Abends 6 Uhr auf Arbeitgeber, von denen nur 5 oder 6 im Laufe des Tages sich sehen ließen. Daß die Wenigen, die das Glück hatten, Beschäftigung zu erhalte», nur einen sehr bescheidenen Lohn ! erwarten konnten, das wird wohl Jeder bei der großen Auswahl von Arbeitern einsehen. Hatten diese Wenigen nun ein besseres Loos, einen höheren Lohn gefunden, als in ihrer alten Heimath? War alles in Erfüllung gegangen, was Auswanderuugsagenten ihnen Schönes und Herrliches von dem neuen Glückslande geschildert halten? Die nackte Wirklichkeit bewies das Gegentheil! Froh, nur Obdach und Wohnung zu finden, ergriffen viele schon um diesen Preis jedwede Arbeit.— Man sagte niir zwar, daß es nach dem Westen zu besser sei, Haupt» sächlich für diejenigen, deren Verwandte sich bereits dort befänden, doch wären die Aussichten auch dort gegen früher bedeutend schlechter geworden. — Ich beschränke mich daher nur auf die großen Städte, worüber ich ein eigenes wahrheitsgetreues Urtheil abgeben kann, da ich selbst längere Zeit Augenzeuge von dem Elend, das dort herrscht, war. — Die in Castle Garden täglich neu ankommenden Fremden, die zunächst New-Jork als ihren Aufenthalt wählen, werden von den Wirthen der Stadt, resp. deren Vertretern (Nunner) in Empfang ge nommen und zu den Logirhäujern gebracht, wo sie so lange ein Ob dach finden, bis der letzte heimathliche Pfennig verausgabt ist. Dann fortgewiesen und ihrem Schicksale überlassen, liegen sie Nächte lang auf den Bänken in Castle Garden, nachdem bereits Kleider, Werth- gegenstände, ja selbst oft der Trauring, dem Versatzamt übergeben ist. Morgens 3 Uhr werden die Zeitungsoffizinen umlagert, wo jedes Exemplar für 2 Cents (8 Pf.) zu erhalten ist. In möglichster Eile wird der Jnseratentheil überflogen und etwa paffende Stellen ausge schrieben. Dann geht die wilde Jagd nach den verschiedenen Plätzen zu, da jeder der erste an Ort und Stelle sein will. — Zwanzig, oft vierzig Menschen harren erwartungsvoll vor den betr. Häusern und doch kann nur einer von diesen Arbeit erhalten, oder auch keiner, denn bei diesem wird das fertige Sprechen der englischen Sprache, bei jenem die Hinterlegung von 100—200 Dollar verlangt. Letzteres beruht noch größtentheils auf dem so berühmten Schwindel, der ja in den großen Städten Amerikas in hoher Blüthe steht und dem der ahnungslose Deutsche ost genug zum Opfer fällt. Ohne Arbeit, ab gestoßen von den Sitten und der Lebensweise des Amerikaners, fühlt der neu herübergekommene Deutsche nur eine Sehnsucht: „Zurück in's alte Hei mathl and" und so kommt es, daß viele Einwanderer schon nach kurzem Aufenthalte in dem „Glückslande" demselben entschlossen den Rücken kehren, den Kampf mit dem Ozean auf's neue aufnchmen, um dem „Deutschen Lande" wieder zuzueilen. Im Unglück, fern der Heimath, lernt Mancher die Wahrheit des echt Deutschen Sprichworts kennen: „Bleibe im Lande und nähre dich redlich!" * Ein 12jähriger Knabe in Rixdorf, dessen sehnlichster Wnnsch es gewesen war, dem Kaiser einmal persönlich zu seinem Geburts tag zu gratuliren, hatte die Freude auf feine Meldung hin am Tage nachher vorgclassen zu werden. Nachdem er feinen Glückwunsch aus gesprochen, und der Kaiser sich nach seinen Familienverhältnissen erkun digt, erbat der Knabe sich die Erlaubniß ein Liedchen singen zu dürfen, was der Kaiser ihm ebenfalls gewährte. Der Text des Liedes, das den Kaiser gewiß gerührt haben muß, lautete: Unser Kaiser liebt die Blumen; Denn er hat ein sanft Gemüth, Doch vor Allen, liebt er eine, Die in keinem Garten blüht. Nicht nach Rosen steht sein Sehnen, . Draußen pflückt er sie im Feld — Eine kleine blaue Blume, Die er sür die schönste hält- Unvergeßlich bleibt Louise, Preußens Stolz und lichter Stern; Sie trug einst die blaue Blume Als den schönsten Schmuck so gern. Darum hat der Sohn der Eltern Sie als Liebling sich gewählt, Weil die Liebe zu der Mutter Wunderbar sein Herz beseelt. Als er geendet hatte, trat der Kammerdiener ein und meldete den Kronprinzen. Da stand der Kaiser auf, reichte dem kleinen Patrioten die Hand mit den Worten: „Es ist brav von Dir, mein Sohn. Grüße Deine Mutter von mir recht herzlich." Dann ließ er ihn noch seinen Nomen in das Gratulationsalbum eintragen, in dem all die erlauchten und vornehmen Namen verzeichnet waren, deren Träger TagS zuvor ihren Besuch abgestattet hatten. Freudestrahlend über das genossene Glück und über die Freundlichkeit des Kaisers, kam der kleine Rixdorfer wieder bei den Seinigen an.