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DIE MALEREI DER GOTIK IN DEUTSCHLAND Wenn wir im Ausgang des Mittelalters in Italien und ein Jahrhundert später in den sich vom Kern des Deutschen Reiches absplitternden Nieder landen zugleich mit dem Erstarken eines neuen Nationalbewußtseins ein neuartiges Lebensgefühl und eine neue Kunstgesinnung aufkommen sehen, läßt sich in den im Staatenverband des Deutschen Reiches verbliebenen Ländern eine solche gleichzeitige Entwicklung nicht feststellen. Wohl voll zieht sich auch hier im 14. und besonders um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert in der Kunst jener entschiedene Wandel zur neuen Gesin nung, den wir anderwärts bemerken, aber er wird von einem staatlichen Niedergang begleitet, in dessen Verlauf erhebliche Teile vom Reich ab bröckeln. Gegenüber der Macht des Kaisers wächst die einzelner Fürsten und eine neue Gesellschaftsschicht, das Bürgertum der aufblühenden Städte, nimmt nach dem Ver fall des Rittertums an den Kulturgütern wachsenden Anteil. Für den wohlhabenden Bürger arbeitet jetzt einKünstlergeschlecht, das sich überall gegen über dem internationa len Zeitstil eine eigene, landschaftlich geson derte Tradition schafft und mancherorts aus gebreitete Werkstatt betriebeeinrichtet. Ne ben den Kunsthand werkern wird vom Bür gertum vor allem der T afelmaler b eschäftigt. Die fürstlichen und die nicht minder begüter ten geistlichen Höfe, die Kirchen und Klö ster bleiben auch weiter große Auftraggeber für die Künstlerschaft, als Stifter von Altären er scheinen auch hier nicht anders als inden Nieder- landen schon oft einzel ne reiche Bürger, Kauf- mannsgesell schäften und Handwerkergilden. Wie wir schon in der Einführung in die Malerei der Alt-Niederländer be merkten, beschränkte die kirchliche Baukunst der Gotik nördlich der Alpen die Monumentalmalerei. An ihre Stelle trat als farbiger Schmuck der Kir chen das gemalte Fenster, das zwar bereits in romanischer Zeit, also der voraufgehenden Stilepoche, eine große Zeit erlebt hatte, nun aber erst ein wesentlicher Bestandteil und Stimmungsfaktor des Kirchenbaues wurde und riesige Ausmaße annahm. Vor allem die Chorpartien der großen Dome er hielten einen überirdischen Farbenglanz durch die mächtigen, bis zur Höhe der Wölbung hinaufgeführten Glasgemälde, die besonders im Morgenglanz der Sonne, wenn die Gläubigen sich zur ersten Andacht versammelten, in leuchtender Buntheit strahlten und in der Dämmerung ein magisches Licht im Kirchenraum verbreiteten. Sie übernahmen den ganzen Bilderkreis der Fresken, faßten aber in den künstlerisch vollendetsten Werken die einzelnen Szenen farblich und kompositionell inniger zusammen, als es die weitläu figen Freskenreihen vermochten, und gliederten sie wieder durch ein Sy stem von Ranken oder architektonischen Motiven, wozu auch die Fassung der Glasteilchen mittels Bleiruten und die zur Versteifung der Fenster gegen Winddruck dienenden Windeisen nötigten. Dieselbe Art der Aufteilung einer großen Fläche in viele Szenen mit einer ins Wunderbare gesteigerten Scheinarchitektur von Spitzgebäuden und Maßwerkgalerien, von Bekrönungen, Fialen, Wimpergen und Baldachi nen erblicken wir auch auf großflächigen bemalten Chorschranken aus Holz, die in manchen Kirchen den Chorraum vom Kirchenschiff trennten, und deren bedeutendsten Repräsentanten wir in den Chorschranken des Kölner Doms von etwa 1350 besitzen. Auch bei den großen Flügelaltären, mit denen sich jetzt Kirchen und Kapellen als einem billigeren Ersatz für die kost spieligen und vielfach gefährdeten Glasgemälde schmückten, bemerken wir diese Vielteiligkeit. Überall entstanden Werkstätten für solche mit bemalten Holztafeln ausgestattete, aufklappbare Altäre, die oft im Innenteil, dem Mittelschrein, der nur an Sonn- und Festtagen geöffnet wurde, aus Holz geschnitzt, ein szenisches Relief, eine Figurengruppe oder eine einzelne Figur enthielten; die ser plastische Schmuck setzte sich vielfach auch auf die Innenseiten der Flügel fort, während ihre werktags bei ge schlossenem Schrein sichtbaren Außensei ten meist bemalt wa ren. In der Regel muß man annehmen, daß Malerei und Plastik ei nes solchen Altars in ein und derselben Werk statt entstanden, die von einem Künstler ge leitet wurde, der zu gleich als Bildschnitzer und als Maler tätig war. Es gab jedoch auch, besonders gegen Ende der Spätgotik, reine Schnitzaltäre und be reits seit der Mitte des 14. Jahrhunderts Klappaltäre, die nur aus gemalten Tafeln zusammengesetzt wa ren, auf denen in an einandergereihten Sze nen das Leben und Leiden Christi, das Ma rienleben oder Heili genlegenden erzählt wurden. Daneben wurden, meist für den Privat gebrauch Einzelner, kleinere Altäre geschaffen, von denen einige auch als Reisealtärchen dienten, die man im Reisegepäck mitführen und allerorts aufstellen konnte. So löste sich nördlich der Alpen stärker als im Süden die Malerei von der Bindung an die Architektur und die Geschichte der Malerei des Nordens ist fast ausschließlich eine Geschichte der Tafelmalerei; so ist denn auch hier auf die Wiedergabe von Fresken, die sich nördlich der Alpen aus gotischer wie romanischer Zeit nur in meist kümmerlichem Zustande erhalten haben, verzichtet worden. Neben den Altären gewinnt im 15. Jahrhundert im Norden ebenso wie im Süden das einzelne Tafelbild an Bedeutung, aber erst spät im Verhältnis zu Italien, Frankreich-Burgund und den Niederlanden erscheinen in der deutschen Malerei Bilder weltlichen Inhalts und Porträts. Die älteste Form der Tafelgemälde im Norden repräsentieren einige für den Altar bestimmte Vorsatz- oder Aufsatztafeln, wie sie uns aus dem 12. und 13. Jahrhundert aus Soest in Westfalen erhalten geblieben sind. Die Altar vorsatztafel, die in der lateinischen Kirchensprache Antependium genannt wurde, und die in frühester Zeit aus Edelmetall bestand, zierte die den Kirchenbesuchern zugekehrte Seite des Altartisches, hinter dem der Priester, Westfälischer Meister des 13. Jahrhunderts: Altarvorsatztafel mit der heiligen Dreifaltigkeit, Maria und Johannes Berlin, Deutsches Museum